Berlin (dpa)

Gerichte im Notbetrieb - „Aber es läuft“

Anne Baum und Jutta Schütz, dpa
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Von Anne Baum und Jutta Schütz, dpa
| 03.04.2020 09:45 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
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Auf den langen Gängen von Deutschlands größtem Strafgericht ist es ziemlich still. Wo in normalen Zeiten an einem Tag bis zu 300 Prozesse laufen, sind es in der Corona-Krise nur um die 25.

Nur wenige Schritte sind zu hören, viele Türen sind verschlossen. Alles auf Sparflamme, heißt es wegen der Corona-Krise auch im Kriminalgericht Berlin-Moabit, dem größten Strafgericht Deutschlands.

Prozesse, die nicht dringend anstehen, finden nicht statt. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wie im Fall eines Clanchefs, dessen Prozess um Körperverletzung und Bedrohung eigentlich im April zu Ende gehen sollte. Das Landgericht nutzte die vom Gesetzgeber wegen der Corona-Pandemie geschaffenen Möglichkeiten und unterbrach die Verhandlung bis Anfang Juni.

Wo an normalen Tagen bis zu 300 Hauptverhandlungen in etwa 90 Sälen auf dem Programm stehen, ist der Betrieb auf das Nötigste heruntergefahren. Stillstand gibt es aber nicht. Eine Strafkammer hat fünf Termine auf ihrem Tagesplan - in allen Fällen geht es um die Verkündung von Haftbefehlen.

In einem anderen Saal wird einem Einbrecher der Prozess gemacht. Der Mann hofft auf Entlassung aus der Untersuchungshaft. „Es läuft im Notbetrieb, aber es läuft“, sagt Lisa Jani, Sprecherin der Berliner Strafgerichte. Im Kriminalgericht gibt es derzeit täglich um die 25 Verhandlungen.

„Alle Gerichte sind offen, daran will ich auch festhalten“, sagt Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur. Sein Argument: Der Rechtsstaat müsse auch in Krisenzeiten handlungsfähig bleiben.

Der Deutsche Richterbund sieht bundesweit eine große Verfahrenswelle nach dem Ende der Krise auf viele ohnehin unterbesetzte Gerichte zurollen. 2019 sei versprochen worden, 2000 zusätzliche Richter und Staatsanwälte bis 2021 einzustellen, erinnert Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn.

Die Krise zeigt aus Sicht des Richterbundes zudem die Lücken bei der IT-Ausstattung der Gerichte sowie die begrenzten Kapazitäten der Datennetze. Ein Ausweichen auf Online-Verhandlungen etwa in Zivilprozessen wäre kaum umsetzbar, sagt Rebehn der Deutschen Presse-Agentur. In vielen Gerichtssälen fehle es an entsprechender Technik. Für Bund und Länder sollte die Corona-Krise deshalb aus seiner Sicht Anlass für einen Digitalisierungsschub in der Justiz sein.

Im Kriminalgericht der deutschen Hauptstadt sind es zwingende Termine wie etwa Haftsachen, über die Richterinnen und Richter trotz der Krise entscheiden müssen. „Da gibt es strenge Fristen“, betont die Gerichtssprecherin. In einigen Hauptverhandlungen habe sich bereits das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie ausgewirkt.

Nach der jetzigen Regelung können Hauptverhandlungen wegen der Corona-Krise für insgesamt drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden. Normalerweise dürfen Strafprozesse nur für drei Wochen unterbrochen werden oder für vier Wochen, wenn sie länger als zehn Verhandlungstage angedauert haben.

„Halten Sie bitte zwei Meter Abstand“, dirigiert ein Richter in einem Prozess wegen Raubes die Anwesenden. Auf Distanz weisen auch Zettel an den Saaltüren im Gericht: Jeder zweite Platz ist frei zu halten. Prozess-Zuhörer müssen sich mit Adresse und Telefonnummer in eine Liste eintragen. Für den Fall eines Coronavirus-Falles.

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