Berlin (dpa)

Mord an Georgier: Fehlende russische Kooperation beklagt

| 10.08.2020 05:17 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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In wenigen Wochen beginnt in Berlin einer der spektakulärsten Polit-Prozesse der vergangenen Jahre: Es geht um den Mord an einem Georgier, hinter dem die Bundesanwaltschaft die russische Regierung als Drahtzieher vermutet. Schon jetzt hat der Fall politische Folgen.

Knapp ein Jahr nach dem mutmaßlichen Auftragsmord an einem Georgier in Berlin wartet die Bundesregierung weiter auf russische Kooperation bei der Aufklärung.

In der Antwort auf eine Anfrage der Linken-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen weist das Justizministerium darauf hin, dass deutsche Regierungsstellen und Behörden von August bis November 2019 mehr als ein Dutzend Mal Kontakt mit russischen Stellen gesucht hätten, um an Informationen zu dem Fall zu gelangen. Im Dezember seien zudem zwei formelle Rechtshilfeersuchen gestellt worden.

„Die letztlich erfolgte Beantwortung seitens der russischen Generalstaatsanwaltschaft mit Datum vom 2. Juni 2020 lieferte in der Sache weiterhin keine substanziellen russischen Beiträge zur Aufklärung“, heißt es in der Antwort, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Der Mord hatte im vergangenen Jahr eine Krise in den deutsch-russischen Beziehungen ausgelöst. Am 23. August wurde ein 40-jährige Tschetschene mit georgischer Staatsangehörigkeit im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit aus nächster Nähe von einem Fahrrad aus erschossen. Ein dringend tatverdächtiger Russe wurde noch am selben Tag gefasst und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

PROZESSBEGINN VOR JAHRESENDE ERWARTET

Die Bundesanwaltschaft erhob Mitte Juni Anklage gegen ihn und geht davon aus, dass er mehr als einen Monat vor der Tat von „staatlichen Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation“ beauftragt wurde. Der Prozess soll noch in diesem Jahr vor dem Berliner Kammergericht beginnen, einen Termin gibt es aber noch nicht.

Die Bundesregierung hatte Russland schon im Dezember fehlende Kooperation bei der Aufklärung des Mordes vorgeworfen und deshalb zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Moskau hatte mit der Ausweisung zweier deutscher Diplomaten reagiert.

Nach der Anklage im Juni hatte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) mit einer weiteren Strafaktion gedroht: „Die Bundesregierung behält sich weitere Maßnahmen in diesem Fall ausdrücklich vor“, sagte er. Russland wies die Vorwürfe dagegen als „unbegründet und haltlos“ zurück. Die Linken-Politikerin Dagdelen mahnte eine bessere Kooperation auf beiden Seiten in dem Fall an: „Vorverurteilungen und das gegenseitige Zurückhalten von Informationen sind für die notwendige Aufklärung des Mordes nicht hilfreich.“

AUCH HACKER-ANGRIFF AUF BUNDESTAG BELASTET VERHÄLTNIS

An diesem Dienstag reist Maas nach Moskau, um sich mit seinem Kollegen Sergej Lawrow zu treffen. Der SPD-Politiker sagte am Montag, es werde dabei um die Konflikte in Libyen und in der Ukraine gehen, aber auch um den Atomstreit mit dem Iran und ganz generell um die Zusammenarbeit im UN-Sicherheitsrat. „Diese Reise kommt zum rechten Zeitpunkt“, sagte er.

Es ist gut möglich, dass auch die zunehmenden Probleme in den bilateralen Beziehungen zur Sprache kommen. Die Verärgerung in der Bundesregierung über Russland wächst jedenfalls. Neben dem Mord im Kleinen Tiergarten gibt es nämlich noch einen anderen Fall, in dem sich der Generalbundesanwalt mit Russland befasst: die bisher größte Cyber-Attacke auf den Bundestag im Mai 2015. Rechner in zahlreichen Abgeordnetenbüros waren damals mit Spionagesoftware infiziert worden, darunter auch Computer im Bundestagsbüro der Kanzlerin.

Die Karlsruher Ermittlungsbehörde hat einen internationalen Haftbefehl gegen einen jungen russischen Hacker erwirkt. Ihm wird geheimdienstliche Agententätigkeit und das Ausspähen von Daten vorgeworfen. Merkel hatte den Angriff kürzlich im Bundestag als „ungeheuerlichen“ Vorgang bezeichnet. Die russische Führung wies auch da eine Beteiligung zurück.

MAAS GEGEN EINLADUNG RUSSLANDS ZU G7-GIPFEL

Der anhaltende Konflikt in der Ostukraine führt unterdessen dazu, dass Deutschland die von US-Präsident Donald Trump gewünschte Einladung Russlands zu einem möglichen G7-Gipfel im Herbst weiter blockiert. Der Grund für den Ausschluss Russlands aus der Gruppe wichtiger Wirtschaftsmächte seien die russische Annexion der Krim und der Konflikt in der Ostukraine gewesen, sagte Maas am Montag nach einem Treffen mit der südkoreanischen Außenministerin Kang Kyung Wha in Berlin. Er sehe nicht, dass der Frieden in der Ostukraine unmittelbar bevorstehe. „Solange das nicht der Fall ist, halte ich auch nichts davon, Russland in dieses Format noch einmal einzuladen.“

Die USA haben dieses Jahr den Vorsitz in der G7, zu der auch Großbritannien, Frankreich, Japan, Italien und Kanada gehören. Russland wurde nach Vereinnahmung der ukrainischen Krim 2014 ausgeschlossen. Trump will möglichst im September zu dem Gipfel einladen und möchte, dass auch Russland, Südkorea, Indien und Australien teilnehmen. Die Teilnahme Südkoreas befürwortete Maas: „Südkorea zählt zu den Staaten, die global von besonderer Bedeutung sind, die auch ein Wertepartner von uns sind, deswegen würde ich das sehr begrüßen.“

© dpa-infocom, dpa:200810-99-105995/4

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