Berlin (dpa)

Kommt noch Bewegung in den StVO-Streit?

Andreas Hoenig und den dpa-Korrespondenten
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Von Andreas Hoenig und den dpa-Korrespondenten
| 17.09.2020 05:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Seit Monaten gibt es Streit um die neue Straßenverkehrsordnung und neue Raser-Regeln - seitdem ein Formfehler auftauchte. Am Freitag nun könnte es im Bundesrat zum Showdown kommen.

Haben Autofahrer und Radfahrer am Freitag Klarheit, wie es mit dem Bußgeldkatalog weitergeht? Die Fronten im Streit um die Reparatur eines Formfehlers in der neuen Straßenverkehrsordnung (StVO) waren lange Zeit verhärtet.

Doch kurz vor einer Sitzung des Bundesrats am Freitag könnte noch einmal Bewegung in die Sache kommen. Darauf deutet eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur hin. Einige Länder haben sich noch nicht festgelegt, wie sie abstimmen wollen, sondern wollen weitere Gespräche abwarten.

In Länderkreisen hieß es außerdem, bis Freitag würden noch viele Gespräche geführt mit dem Ziel, noch einen mehrheitsfähigen Kompromiss zu erreichen. Denkbar ist aber auch, dass die Abstimmung im Bundesrat vertagt wird.

Darum geht es: Ende April trat die neue Straßenverkehrsordnung in Kraft und mit ihr ein Bußgeldkatalog. Ein Führerscheinentzug droht, wenn man innerorts 21 Kilometer pro Stunde (km/h) zu schnell fährt oder außerorts 26 km/h zu schnell - dies hatte der Bundesrat in eine umfassende StVO-Novelle hineingebracht. Vorher waren die Schwellen höher.

Die Regelung wurde wegen eines entdeckten Formfehlers aber außer Vollzug gesetzt, eingezogene Führerscheine wieder zurückgegeben.

Strittig ist nun, ob nur der Fehler behoben werden soll - das wollen die Grünen. Oder ob auch die schärferen Sanktionen über Fahrverbote abgemildert werden, weil sie unverhältnismäßig seien - dafür setzen sich viele Länder wie Nordrhein-Westfalen und Bayern ein sowie Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).

Der Vorschlag sieht konkret vor, dass Fahrverbote bei Geschwindigkeitsübertretungen von mehr als 21 km/h innerorts und mehr als 26 km/h außerorts bei einem einmaligen Verstoß verhängt werden, wenn sie in besonders sensiblen Zonen wie vor Kindergärten oder in Baustellen geschehen. In übrigen Fällen solle eine „Warnschussregelung“ gelten und das Fahrverbot erst bei der zweiten Ordnungswidrigkeit verhängt werden, allerdings sollen beim ersten Mal die Bußgelder erhöht werden.

Diesen Kompromiss-Vorschlag hatten NRW, Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein in den Verkehrsausschuss des Bundesrats eingebracht, wo dieser eine Mehrheit fand.

Allerdings ist unklar, wie die Abstimmung im Bundesrat ausgeht. Denn wenn sich Koalitionspartner in Landesregierungen nicht einig sind, enthalten sie sich in der Regel. Die Grünen regieren in insgesamt elf von 16 Ländern mit.

So kündigte Sachsen-Anhalt an, sich zu enthalten. Es gebe generell einen Dissens zwischen Verkehrs- und Umweltausschuss, sagte ein Regierungssprecher. In Magdeburg regiert eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen.

Unklar ist, wie die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg abstimmt. Die CDU hatte zuletzt deutlich gemacht, Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) spreche nicht für die gesamte Landesregierung.

Hermann ist der Verhandlungsführer der Grünen in den Landesregierungen. Er hatte zuletzt überraschend deutlich gemacht, er halte eine Einigung in dem Streit für möglich. Es sei Bewegung in die Sache gekommen, sagte Hermann dem Nachrichtenportal „The Pioneer“. „Die vorgeschlagene Bußgeldhöhe ist deutlich zu niedrig und die Karenzzeit ist aus unserer Sicht nicht ausreichend“, betonte er.

„Wir wollen insgesamt eine Erhöhung der Bußgelder für Raserei. Außerdem sollte ab einer bestimmten Geschwindigkeitsüberschreitung der Führerschein auf jeden Fall erst einmal entzogen werden.“ Städten müsse zudem das Ausweisen von Fahrradwegen erleichtert werden.

Das CDU/FDP-regierte Nordrhein-Westfalen warf den Grünen in der dpa-Umfrage eine Blockade vor. Dies verhindere das schnelle Inkrafttreten von Regeln für mehr Verkehrssicherheit, insbesondere für Radfahrer. Durch den Formfehler werden Verstöße nicht mehr sanktioniert.

Bayern kündigte an, der geplanten Neufassung des Bußgeldkatalogs zuzustimmen. „Aus unserer Sicht wurde bei den Fahrverbotsregelungen ein sinnvoller Kompromiss gefunden. Dieser vermeidet einerseits unnötige Verschärfungen und stärkt andererseits die Verkehrssicherheit gerade in den Bereichen, wo zu schnelles Fahren besonders gefährlich ist, beispielsweise vor Schulen und Kindergärten“, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) der dpa.

„Wir raten den Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung dringend, ihre unverhältnismäßigen Maximalforderungen und damit ihre rein ideologische Blockadehaltung auf dem Rücken der Verkehrssicherheit aufzugeben“, betonte Herrmann.

In Kiel hieß es, das Verhalten von Schleswig-Holstein sei noch offen. In Kiel regiert eine Koalition aus CDU, Grünen und FDP. In Hamburg dagegen herrscht beim rot-grünen Senat die grundsätzliche Haltung, dass nur der Formfehler in der StVO korrigiert werden sollte. Gleichwohl sei aber noch nicht festgelegt, wie Hamburg im Bundesrat abstimme. Nach Angaben der Verkehrsbehörde hat Senator Anjes Tjarks (Grüne) bei dem Thema „freie Hand“.

Mecklenburg-Vorpommern will sein Abstimmungsverhalten erst nach Vorgesprächen am Donnerstagabend festlegen, wie ein Regierungssprecher sagte. In Schwerin regieren SPD und CDU. Auch das sächsische Verkehrsministerium wollte sich nicht festlegen.

Das Land Bremen lehnt eine Aufweichung der härteren Strafen für Raser ab. „Bremen steht für Verkehrssicherheit“, sagte Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne). Bremen fordere von Scheuer einen Gesetzentwurf, um den Formfehler zu heilen.

Das Saarland mit einer schwarz-roten Koalition verwies auf den Mehrländer-Antrag unter anderem mit NRW. Dieser schaffe Rechtssicherheit, ohne Abstriche bei der Verkehrssicherheit zu machen, sagte der Sprecher von Verkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD), die derzeit Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz ist. Rehlinger hatte wiederholt davor gewarnt, die StVO-Debatte „mit ideologischen Grabenkämpfen“ zu belasten.

© dpa-infocom, dpa:200917-99-594085/4

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