München (dpa)

Gedenken an das Oktoberfest-Attentat vor 40 Jahren

Sabine Dobel, dpa
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Von Sabine Dobel, dpa
| 26.09.2020 15:04 Uhr | 2 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Jahrzehnte war das Oktoberfestattentat einem Einzeltäter mit privaten Motiven zugeschrieben worden. Jetzt erst wird es offiziell als rechter Terror bewertet. Das Gedenken zum 40. Jahrestag wird so zu einem starken Appell gegen Rechts - es ist auch die Stunde der Opfer.

Überlebende schildern in bewegenden Worten ihre Lage, erstmals ist mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Staatsoberhaupt dabei.

40 Jahre nach dem Oktoberfest-Attentat haben hochrangige Gäste aus Politik und Gesellschaft sowie Vertreter der Opfer und Überlebenden am Samstag am Tatort auf der Theresienwiese in München an den schwersten rechtsextremistischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik erinnert.

Deutlicher denn je geht von dem Gedenken der Appell aus: Der Kampf gegen Rechtsextremismus und rechte Netzwerke muss verschärft werden.

„Der Rechtsextremismus hat tiefe Wurzeln in unserer Gesellschaft“, sagt Steinmeier. „Die rechtsterroristischen Mordtaten der vergangenen Jahrzehnte waren nicht das Werk von Verwirrten.“ Die Täter seien eingebunden gewesen in Netzwerke des Hasses und der Gewalt. „Diese Netzwerke müssen wir aufspüren.“ Sie müssten noch entschiedener bekämpft werden. „Wegschauen ist nicht mehr erlaubt.“ Die Aufklärung der NSU-Morde habe Licht in einen toten Winkel der Strafverfolgung gebracht. Ermittlungen liefen ins Leere, wenn sie nicht vorbehaltlos, sondern von Befangenheit und Vorurteilen geleitet würden. Der Schrecken rechten Terrors sei wieder nah, „gerade jetzt, nach dem Mord an Walter Lübcke, nach den Taten von Halle und Hanau“.

Am 26. September 1980 hatte eine Bombe zwölf Wiesngäste und den rechtsextremen Bombenleger Gundolf Köhler in den Tod gerissen und über 200 verletzt. Die Bundesanwaltschaft hatte erst im Juli nach neuen Ermittlungen die Tat als rechtsextremistisch eingeordnet. Früher sprachen Ermittler von der Tat eines Einzelnen aus privatem Frust. Am Gedenken nahm auch Generalbundesanwalt Peter Frank teil.

Klarer als je zuvor räumen Politiker nun nicht nur Fehler bei den damaligen Ermittlungen, sondern auch bei der politischen Einschätzung ein - und es gibt Entschuldigungen an die Adresse der Opfer. „Ihre Hilferufe hat man ignoriert, ihre Forderungen nach Unterstützung wurden oft genug abgelehnt und sie selbst sogar als Simulanten diffamiert“, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: „Es tut mir leid und ich entschuldige mich für die Fehler, die in den Ermittlungen, aber auch in der Einschätzung zu der Tat gemacht wurden.“ Er spreche als Rechtsnachfolger aller anderen Ministerpräsidenten und als Verantwortlicher für den Freistaat. „Wer Rechtsradikale unterschätzt, versündigt sich an der Demokratie.“ Er gab ein „Schutzversprechen“ ab: „Wir werden nicht zulassen, dass Rechtsextremismus, Hass, Antisemitismus, Rassismus geduldet, akzeptiert oder irgendwie unterschätzt werden.“ Söder wandte sich auch an die Opfer: „Wir verneigen uns. Wir werden diesen Tag nie vergessen.“

Eindrücklich schilderten Überlebende ihre Geschichte. „Ich möchte endlich wieder auf einen Berg steigen, mit dem Rad um den Starnberger See fahren“, sagte die als Folge gehbehinderte 73-jährige Renate Martinez. Am meisten aber habe sie sich gewünscht, dass die Täter verurteilt werden „und im Knast landen, wo diese vielfachen Mörder längst hingehören“. Solche Verbrechen dürften nie wieder geschehen.

Robert Höckmayr (52) sagte, die Kultur des Erinnerns sei ein starkes Signal einer wachsamen Gesellschaft gegen Rechts. Vergessen sei aber nicht möglich. „So habe ich zwei Geschwister direkt beim Anschlag verloren. Vierzig Jahre Gedenken - das ist für mich daher vor allem ein Denken an ihre vierzig Jahre ungelebtes Leben.“

Die Überlebenden riefen auf zum Kampf gegen Rechts - aber auch zu Optimismus. Das Attentat dürfe nicht in Vergessenheit geraten, sagte die damals ebenfalls schwer verletzte Gudrun Lang. Sie habe ihre erste große Liebe verloren. „Das Attentat zwang mich und viele andere zu einer neuen Wegführung, mit der ich mich erst nur schwerlich zurechtfand.“ Aber sie sagt auch: „Aus Zerstörung muss wieder etwas erwachsen - nicht Hass, sondern die Hoffnung des Guten.“

Dimitrios Lagkadinos (57), der beide Beine verlor, mahnte, Rechtsextremismus nähre sich aus Hass und Ausgrenzung und gehe selten von Einzelnen aus, sondern sei organisiert und vernetzt. Er rief auf, nicht nur in der Vergangenheit zu bleiben. „Das Leben ist schön“, lautet der Appell des Mannes, der seit 40 Jahren im Rollstuhl sitzt.

Für die DGB-Jugend, die über Jahrzehnte das Gedenken maßgeblich aufrechterhielt, erinnerte Pia Berndt an den langen Weg bis zur Wiederaufnahme der Ermittlungen und zur Einstufung der Tat als rechtsextremistisch. Viele hätten seit 1980 gewusst, dass der Attentäter kein verwirrter Einzeltäter war.

An der Theresienwiese wurde ein neuer Dokumentations-Ort unter freiem Himmel mit rund 200 lebensgroßen Silhouetten und Videoinformationen eröffnet. Bund, Land und Stadt München brachten am Mittwoch einen Opferfonds mit einem Volumen von 1,2 Millionen Euro auf den Weg.

© dpa-infocom, dpa:200926-99-719400/3

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