Nürnberg (dpa)

Gegen die Wegwerfgesellschaft: Einfach mal nichts kaufen

Irena Güttel, dpa
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Von Irena Güttel, dpa
| 26.11.2020 09:28 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Ein paar Clicks und das neue Paar Winterstiefel ist unterwegs. Einkaufen ist heute so einfach, aber eben oft auch unüberlegt. 24 Stunden ohne Shopping sollen dafür das Bewusstsein schärfen.

Die Versuchungen sind allgegenwärtig. Die Schaufenster in der Fußgängerzone werben mit der neuesten Mode und modernsten Technikgeräten. Drei T-Shirts zum Preis von zweien, Smartphones 16 Prozent günstiger - irgendeine Sonderaktion gibt es immer.

Später locken im Supermarkt zwei Kilo Orangen im Angebot, beim Bäcker gibt es beim Kauf von fünf Brötchen das sechste gratis dazu. Und zu Hause geht es weiter: Denn dank Internet können wir auch nach Geschäftsschluss noch auf Schnäppchenjagd gehen.

Zu widerstehen fällt selbst Christof Herrmann manchmal schwer. „Es ist schwierig“, sagt der 48-jährige Nürnberger. „Der Konsum ist ständig um uns herum.“ Doch Herrmann hat gelernt, sich in Verzicht zu üben. Er bezeichnet sich selbst als Minimalisten. In einem Blog beschreibt er, wie sein Leben sich dadurch gewandelt hat. „Ich besitze eigentlich nur Dinge, die ich brauche oder gebrauche“, sagt er. Bevor er etwas Neues kauft, überlegt er lange, ob das wirklich sein muss. Nie kauft er etwas spontan, aus einer Laune heraus.

Genau das will auch der weltweite „Buy Nothing Day“ erreichen. Dieser ruft jedes Jahr Ende November dazu auf, einen Tag lang kein Geld auszugeben, um so die Menschen für ein nachhaltigeres Kaufverhalten zu sensibilisieren. In den USA fällt der Tag bewusst auf den Tag nach Thanksgiving, den „Black Friday“, an dem dort traditionell das Weihnachtsgeschäft beginnt, und die Händler den Konsumrausch mit vielen Sonderaktionen befeuern. In Deutschland und anderen europäischen Ländern ist der „Kauf-Nix-Tag“ - so der deutsche Name - einen Tag später, am letzten Samstag im Monat.

Von einem Umdenken sind wir nach Ansicht des Nachhaltigkeitsexperten Matthias Fifka noch weit entfernt. „Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Erlangen. Die Produktionslogik sei darauf ausgerichtet, dass etwas hergestellt, verwendet und dann entsorgt werde. Daran hat aus seiner Sicht auch die Corona-Krise nichts geändert. „Ich glaube nicht, dass das ein Beschleuniger des Konsumverzichts ist.“

Über Wochen waren im Frühjahr die Geschäfte geschlossen. Die Menschen hatten mehr Zeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Es wurde wieder mehr gebastelt, gekocht, gestrickt und selbstgemacht. Sogar Influencer backten auf Youtube plötzlich Bananenbrot. Weniger konsumiert wurde im Großen und Ganzen trotzdem nicht. Die Menschen kauften stattdessen einfach mehr im Internet.

„Ich habe den Eindruck, dass es in Zeiten von Corona eine Art Zeitvertreib geworden ist“, sagt Fifka. Gerade der Online-Handel verführe zu Schnellschuss-Käufen, was der Experte angesichts der vielen Retouren besonders problematisch findet. „Viele Retouren gehen gar nicht mehr in den Verkauf, weil es logistisch nicht möglich ist.“ Oder weil es sich angesichts der geringen Herstellungskosten nicht lohne.

Trotzdem ist der Online-Handel nicht per se schlecht in Hinblick auf Nachhaltigkeit. „Man muss das differenziert betrachten“, sagt Jan Gimkiewicz vom Umweltbundesamt (UBA). In einem Forschungsprojekt untersucht das UBA derzeit, wie sich der Online-Handel auf die Umwelt auswirkt. „Dabei haben wir festgestellt, dass dieser auch für Umweltentlastungen sorgen kann: Ein effizientes Lager kann unter Umständen mehr Energie sparen, als Ladengeschäfte, die viel Wert auf die Präsentation der Ware und ein tolles Einkaufsgefühl legen. Außerdem fallen beim Online-Handel die Individualfahrten zum Einkaufen weg.“

Am nachhaltigsten ist es jedoch, Dinge möglichst lange zu benutzen - diese also zu reparieren, wenn sie kaputtgehen. Hilfe findet man dabei in Repair Cafés wie das des FabLab in Fürth. „Oft lohnt sich die Reparatur durch den Fachmann nicht durch die Anfahrt und den Stundenlohn“, sagt Sabrina Bohn vom FabLab. Ihr Eindruck ist, dass viele Elektrogeräte mittlerweile schneller kaputt gehen.

„Wir stellen aber auch eine steigende Nachfrage nach Reparaturen fest“, sagt sie. Vor allem mit Musikanlagen, Fernsehern, DVD-Playern, Kaffee-Vollautomaten und andere Küchengeräten kämen Hilfesuchende zu den Repair Café-Fachleuten. Allerdings werde es immer komplexer, Technikgeräte zu reparieren, sagt Bohn. „Manche kann man gar nicht mehr auseinandernehmen wie die elektrischen Zahnbürsten. Die muss man einschicken oder eine neue kaufen.“

Doch nicht immer muss es tatsächlich etwas Neues sein, wie Gimkiewicz vom Umweltbundesamt betont. Stattdessen könne man Sachen auch gebraucht kaufen oder teilen. So wie der Minimalist Herrmann. Seit Jahren besitzt er zum Beispiel kein Bügeleisen mehr. Wenn er eins seiner wenigen Hemden bügeln will, geht er einfach zu Nachbarn oder Freunden.

© dpa-infocom, dpa:201126-99-468669/3

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