OZ-Weihnachtsaktion

Die Hilfe kam, als es alleine nicht mehr ging

Lena Mimkes
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Von Lena Mimkes
| 04.12.2020 19:17 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Alle drei Kinder der Familie Schlenkermann haben Behinderungen. Der mittlere Sohn, Jonas, ist besonders schwer krank und pflegebedürftig. Mutter Marion erzählt der OZ, warum sie erst zögerte, Hilfe von einem Pflegedienst in Anspruch zu nehmen.

Westoverledingen - Bei Familie Schlenkermann geht es hoch her: Mutter Marion ist gerade erst mit Sohn Jonas aus dem Hospiz in Bremen zurück, sie muss das Auto noch auspacken, die anderen Kinder Alexa und Timo wuseln um sie herum. Das Wort „Mama!“ fällt beinahe minütlich. Der Familienalltag ist wieder in vollem Gange. Die Zeit im Hospiz hat sie genutzt, um ein bisschen Kraft zu tanken, sagt Mutter Marion. „Das sind aber nur wenige Tage im Jahr. Diese Auszeiten fehlen im Alltag“, sagt sie.

In ihrem Alltag ist Marion Schlenkermann rund um die Uhr gefragt. Alle ihrer drei Kinder haben Behinderungen, der 15-jährige Jonas ist besonders schwer krank und intensivpflegebedürftig. Bis er acht Monate alt war, war mit Jonas noch alles in Ordnung. „Er war ein kerngesundes Baby“, sagt Marion Schlenkermann. Plötzlich fing sein Körper an, sich zu verändern: „Er war entweder angespannt wie ein Flitzebogen, oder hing wie eine Qualle im Arm“, erzählt die Mutter. Mit der Zeit wurde Jonas blind. „Heute kann er gar nichts mehr, außer alleine atmen“, erzählt seine Mutter.

Für Kinder wie Jonas wird in Remels das Schutzengelhuus Michael gebaut. Dort sollen schwer kranke Kinder und ihre Familien nach einem Klinikaufenthalt wohnen, bis ein Pflegeteam für zu Hause aufgebaut ist. Die OZ sammelt in ihrer Weihnachtsaktion Spenden für den Förderverein der Einrichtung.

Mutter Marion isolierte sich komplett

Eine Diagnose hat Jonas nicht. Insgesamt zwei Jahre war er in stationärer Behandlung. Als er wieder zu Hause in Westoverledingen war, kümmerte sich seine Mutter um ihn und seine ältere Schwester Alexa. Einen ambulanten Pflegedienst hatte sich die Familie nicht gesucht. „Wir wussten gar nicht, welche Möglichkeiten man hat“, erzählt Marion Schlenkermann. „Außerdem habe ich gedacht, das ist mein Kind, das muss ich schaffen“, erzählt sie.

„Ein Herz für Ostfriesland“

Die weihnachtliche Spendenaktion, eine Tradition der Ostfriesen-Zeitung, steht seit ein paar Wochen auf juristisch neuen Beinen. Als 100-prozentige Tochter der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) wurde die vom Finanzamt als mildtätig anerkannte gemeinnützige GmbH „Ein Herz für Ostfriesland“ gegründet. Über deren Konten läuft nun die Spendenaktion. Geschäftsführer der gGmbH ist Uwe Boden, Leiter des Geschäftskundenbereichs der ZGO. Ihm zur Seite steht ein Beirat, besetzt mit Führungskräften der ZGO.

Für Spender und Hilfsempfänger ändert sich dadurch nichts. Wie zuvor gehen 100 Prozent der Spendengelder an die Hilfsbedürftigen. Weiterhin trägt der Verlag alle Verwaltungs- oder sonstigen Kosten. Spendenquittungen dürfen nun allerdings von „Ein Herz für Ostfriesland“ ausgestellt werden. Wir sind nicht mehr auf gemeinnützige Partnerorganisationen angewiesen.

Spendenkonto:

Ein Herz für Ostfriesland gGmbH

IBAN: DE55 2859 0075 0011 1112 00

Ostfriesische Volksbank eG

Stichwort OZ-Weihnachtsaktion 2020

Nachts wachte sie an Jonas‘ Bett. „Er kann jede Sekunde anfangen zu krampfen, dann muss man sein Notfallmedikament bereithalten und aufpassen, dass er sich nicht verletzt“, so die Mutter. „Vormittags, wenn er in einer Einrichtung war, habe ich geschlafen“, erinnert sie sich. Vater Rainer Schlenkermann war beruflich auf Montage. Marion Schlenkermann hat sich während dieser Zeit völlig isoliert: „Ich hatte überhaupt kein Sozialleben mehr. Ich bin nichtmal einkaufen gegangen.“ Sie habe ihren Schwiegereltern eine Einkaufsliste gegeben und das Haus kaum noch verlassen. „Ich bin irgendwann auch nicht mehr spazieren gegangen, weil Jonas schrie und sich die Leute umguckten.“

Im Jahr 2010 wurden die Schlenkermanns erneut auf eine harte Probe gestellt: Sohn Timo wurde in der 27. Schwangerschaftswoche geboren, hatte Krämpfe, eine Hirnblutung, wurde voll beatmet. Dass Timo überlebt, hätte niemand geglaubt. Auch er wurde lange stationär behandelt, Vater Rainer nahm damals Elternzeit. Timo und Alexa haben verschiedene Kleindiagnosen: Seheinschränkungen, Hörschädigungen und Bewegungsbeeinträchtigungen. Obwohl sie ab dem Zeitpunkt drei behinderte Kinder hatten, suchten die Schlenkermanns zunächst keinen Pflegedienst. „Wir wollten einfach nicht zu laut rufen“, erzählt Marion Schlenkermann. „Nicht, dass wir unsere Kinder noch hätten weggeben müssen. Uns war nicht bewusst, was möglich ist.“

Viele Eltern zögern, Hilfe anzunehmen

Als es nach Timos Geburt jedoch immer schwieriger wurde, den Alltag zu bewältigen, hörten sich die Schlenkermanns nach einem Pflegedienst um. „Erst ist für ein paar Stunden ein Erwachsenenpflegedienst gekommen, über die Kinderklinik in Oldenburg haben wir dann von der Diakonie erfahren“, erzählt Marion Schlenkermann. Seit rund sechs Jahren kommt der Kinderintensivpflegedienst „Mokids“ der Diakonie Hesel-Jümme-Uplengen zu der Familie. Jonas wird nachts und auch tagsüber von Pflegefachkräften betreut. In die Betreuungseinrichtung in Papenburg kann er aus gesundheitlichen Gründen mittlerweile nicht mehr gehen.

Auch wenn sie und ihr Mann lange zögerten, Hilfe anzunehmen, habe die Diakonie ihnen die Entscheidung einfacher gemacht: „Die Mitarbeiter waren nicht wie Fremde, sie haben gleich mitgefühlt und gezeigt, dass es der richtige Weg ist“, erzählt die Mutter. Vor allem die Betreuung in den Nächten bereitete ihr anfangs Sorgen. „Die Mitarbeiter haben mir die Angst genommen“, so Schlenkermann. „Klar, eine gewisse Angst hat man als Mama immer, wenn man seine Kinder in fremde Hände gibt, aber es wurde eine vernünftige Einarbeitung und Vorstellung gemacht. Die Begleitung war von Anfang an sehr eng.“

Dass sich Eltern von schwerstkranken Kindern nicht sofort Hilfe suchen, erlebe sie häufig, sagt Sandra Groth, Pflegedienstleitung der Diakonie. In geschätzt 40 Prozent der Fälle versuchten sie, die Betreuung und Versorgung alleine zu schaffen - „oft bis zur völligen Erschöpfung“, so Groth. „Wenn das Kind krank ist, ist es erstmal der mütterliche Instinkt, alles alleine zu versuchen“, sagt sie. „Manchen fällt es leichter zu erkennen, dass der Alltag auf Dauer nicht allein stemmbar ist, anderen schwerer.“

In solchen Fällen müsse man behutsam vorgehen. „Die Versorgung an Fremde abzugeben, ist nochmal ein emotionaler Sprung“, so Groth. „Wir machen es dann so, dass wir langsam mit ein paar Diensten anfangen und die Eltern an uns gewöhnen.“ Wichtig dabei sei es, immer auf Augenhöhe mit den Eltern zu bleiben. Die Begegnung auf Augenhöhe schätzt auch Marion Schlenkermann an dem Team der Diakonie: „Es war einfach jemand da, der unsere Situation versteht“, sagt sie. „Keine unserer Fragen war falsch.“ Die verständnisvolle Art der Mitarbeiter tat der Familie gut: „Nahe Verwandte mussten erst einmal selbst mit ihren Gefühlen klarkommen“, sagt Marion Schlenkermann.

Pflegekräfte sehen das Kind in Jonas

Das Verhältnis zu den Pflegefachkräften ist nach wie vor gut. Zwölf bis 15 Mitarbeiter sind im Pflegeteam für Jonas. „Sie sehen in Jonas das Menschliche. Ja, er ist behindert, aber er ist ja auch ein Kind“, sagt Marion Schlenkermann. „Er wird nicht verschont, er kommt mit auf die Fähre nach Norderney oder in den Tierpark. Und wenn er mal von einem Hund angeschleckt wird, dann ist das eben so.“

Über den geplanten Bau des Schutzengel Huus freuen sich die Schlenkermanns sehr: „Die Idee ist genial. Solche Einrichtungen sind etwas Zuverlässiges und geben Gewissheit“, sagt Marion Schlenkermann. „Ob für Familien, die nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden, weil noch kein Pflegedienst aufgebaut ist, oder für einen selber, dass man weiß, wohin man kann, falls es mal eine Krise geben sollte.“ Eine solche Einrichtung hätte sie damals gerne genutzt: „Da hätte man nicht so in der Luft gehangen.“

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