OZ-Weihnachtsaktion

Wie es sich anfühlt, wenn das eigene Kind stirbt

Lena Mimkes
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Von Lena Mimkes
| 11.12.2020 19:18 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Für Antje und Tobias Veenker ist das Schlimmste eingetreten, was sich Eltern vorstellen können: Ihre schwer kranke Tochter Amelie ist vor vier Jahren gestorben. Sie haben mit der OZ über die schwere Zeit nach ihrem Tod gesprochen.

Rhauderfehn - Im Flur der Familie Veenker hängt ein großes Foto. Es ist das Hochzeitsbild der Eltern Antje und Tobias. Das Brautpaar sitzt auf einer Wiese, vor den beiden liegt ihre Tochter Amelie. Das Mädchen lacht. Mittlerweile ist die Familie um die Söhne Jakob und Justus gewachsen - doch Amelie ist nicht mehr da.

Sie ist im Februar 2016 gestorben. Amelie kam 2010 auf die Welt - mit einem Klumpfuß. Wenig später wurde auch ein Problem mit der Hüfte festgestellt. Mutter Antje merkte jedoch, dass noch etwas nicht stimmte: „Sie entwickelte sich einfach nicht weiter“, erzählt sie. Außerdem schrie Amelie den ganzen Tag. „Zu Spitzenzeiten war ich 72 Stunden wach“, erinnert sich die Mutter. Eine Neurologin erkannte zwar, dass Amelie entwicklungsverzögert war, Untersuchungen lieferten allerdings keine auffälligen Ergebnisse.

Amelie erlitt rund 300 Krampfanfälle pro Tag

Der Tag, der für die Veenkers alles veränderte, war der 3. Januar 2011. Amelie fing plötzlich an zu krampfen. „Da war alles vorbei“, sagt Antje Veenker. „Man hat uns relativ schnell gesagt, dass wir unsere Maus nicht lange behalten dürfen.“ Das Mädchen werde höchstens das Schulalter erreichen. Amelie verbrachte lange Zeit im Krankenhaus und wurde auf Krampfmedikamente eingestellt. „Das war eine ganz furchtbar schreckliche Zeit“, erinnert sich Antje Veenker. „Plötzlich hatte man ein super krankes Kind.“ Bis zu 300 Anfälle am Tag erlitt das Mädchen damals. Über das Krankenhaus bekamen die Veenkers Kontakt zu einem Pflegedienst. „Eine Ärztin sagte zu mir: ‚Sie sehen schrecklich aus, Sie brauchen Hilfe‘“, erzählt Antje Veenker. Der soziale Dienst schickte „Mokids“, die mobile Kinderintensivpflege der Diakoniestation Hesel-Jümme-Uplengen. Die Mitarbeiter von „Mokids“ pflegen schwer kranke Kinder in ihrem Zuhause. Um Familien den Übergang vom Krankenhaus in die ambulante Pflege künftig leichter zu machen, baut die Diakoniestation in Remels das Schutzengel Huus Michael. Die OZ sammelt mit ihrer diesjährigen Weihnachtsaktion Spenden für die Einrichtung.

„Ein Herz für Ostfriesland“

Die weihnachtliche Spendenaktion, eine Tradition der Ostfriesen-Zeitung, steht seit ein paar Wochen auf juristisch neuen Beinen. Als 100-prozentige Tochter der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) wurde die vom Finanzamt als mildtätig anerkannte gemeinnützige GmbH „Ein Herz für Ostfriesland“ gegründet. Über deren Konten läuft nun die Spendenaktion. Geschäftsführer der gGmbH ist Uwe Boden, Leiter des Geschäftskundenbereichs der ZGO. Ihm zur Seite steht ein Beirat, besetzt mit Führungskräften der ZGO.

Für Spender und Hilfsempfänger ändert sich dadurch nichts. Wie zuvor gehen 100 Prozent der Spendengelder an die Hilfsbedürftigen. Weiterhin trägt der Verlag alle Verwaltungs- oder sonstigen Kosten. Spendenquittungen dürfen nun allerdings von „Ein Herz für Ostfriesland“ ausgestellt werden. Wir sind nicht mehr auf gemeinnützige Partnerorganisationen angewiesen.

Spendenkonto:

Ein Herz für Ostfriesland gGmbH

IBAN: DE55 2859 0075 0011 1112 00

Ostfriesische Volksbank eG

Stichwort OZ-Weihnachtsaktion 2020

„Die Pflegekräfte haben so viel mit Amelie auf die Beine gestellt“, erzählt Antje Veenker. „Sie haben mit ihr Gymnastik gemacht, sie massiert, ihr die Nägel lackiert und Zöpfe geflochten“, erinnert sich die Mutter. „Wenn sie nicht so liebevoll gepflegt worden wäre, wäre Amelie bestimmt nicht so alt geworden.“ Das Mädchen konnte nicht sprechen, laufen oder krabbeln. „Sie war ein großes Baby. Aber sie war unser ganzer Stolz“, sagt ihre Mutter. Amelie hatte viele gesundheitliche Aufs und Abs im Leben, doch im November 2015 verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch. Am Ende des Jahres hatte sie einen Sauerstoffabfall und musste im Krankenhaus beatmet werden. „Ich wusste, das wird nicht wieder“, sagt Antje Veenker, die damals hochschwanger war. „Aber wir wollten so gerne, dass sie ihren Bruder kennenlernt.“ Der Wunsch erfüllte sich: Die Veenkers konnten mit beiden Kindern nach Hause.

„Man fühlt sich nicht mehr vollständig“

Nach drei Wochen kam Amelie wieder ins Krankenhaus, auf die Intensivstation. „Am 20. Februar 2016 ist sie dann eingeschlafen“, erzählt ihre Mutter unter Tränen. „Ein Kind ist gekommen, und eins wurde uns genommen.“ Seit Amelies Tod ist für die Familie nichts mehr so, wie es vorher einmal war. „Man fühlt sich absolut nicht mehr vollständig“, sagt ihre Mutter. Die Pflegekräfte der Diakonie standen der Familie in der schweren Zeit nach Amelies Tod zur Seite. „Sie waren jeden Tag da und haben mich unterstützt und sich mit um unseren Sohn gekümmert“, erzählt Antje Veenker. Die Familie musste zu dem Zeitpunkt obendrein umziehen. „Wir wollten, dass Amelie Platz hat, ein großes Zimmer und ein Badeparadies“, sagt ihre Mutter. „Eine Woche, nachdem wir den Kaufvertrag für unser Haus unterschrieben haben, ist sie gestorben.“

Wie sie diese aufreibende Zeit damals gewuppt hat, weiß Antje Veenker heute nicht mehr: „Nach einem halben Jahr kam dann das Loch.“ Doch auch hier waren die Diakoniemitarbeiter wieder zur Stelle. „Wir sind noch heute in Kontakt“, sagt Antje Veenker. „Wenn Amelies Geburtstag oder ihr Todestag ist, schreiben sie mir.“ Die Diakoniestation Hesel-Jümme-Uplengen hat zurzeit fünf speziell für die Trauerbegleitung ausgebildete Palliativkräfte. Auch nach dem Tod eines Kindes werden die Eltern weiterbetreut, sagt Sandra Groth, Pflegedienstleiterin der Diakonie. Die Mitarbeiter führen Gespräche, vermitteln Kontakte zu Selbsthilfegruppen und Seelsorge-Angeboten. Amelies Pflegekräfte waren für die Veenkers wie ein Teil der Familie. „Sie gehörten zu Amelie und zu unserem Leben dazu“, sagt Antje Veenker. Wenn ein Kind stirbt, ist das auch für die Pflegekräfte schlimm. „Unsere Mitarbeiter werden dann erst einmal freigestellt“, sagt Sandra Groth. „Manche brauchen eine gewisse Zeit, darauf gehen wir dann auch ein.“

Die Situation in der Klinik war belastend

Für manche Außenstehende sah es aus, als wäre Amelie eine riesige Belastung. „Das haben wir nie so empfunden. Sie war unsere Prinzessin, für die wir alles getan haben. Klar, wir waren damals 20 und 21, andere Leute in unserem Alter sind auf Partys, Schützenfeste oder in die Disco gegangen“, sagt Antje Veenker. „Aber wir haben unsere Tochter angenommen, wie sie ist. Durch sie haben wir so viele Menschen kennengelernt und gemerkt, auf wen man sich verlassen kann. Sie war eine Bereicherung für unser Leben.“ Belastend sei eine ganz andere Sache: „In der Klinik zu sitzen und nicht nach Hause zu können, weil man die Hilfe dort nicht hat“, weiß Antje Veenker aus Erfahrung.

In dieser Situation stecken viele Eltern mit einem schwerstkranken Kind. Bis ein ambulantes Pflegeteam für Zuhause aufgebaut ist, vergeht oft viel Zeit. Das Schutzengel Huus Michael soll für Familien eine Brücke zwischen Klinik und Zuhause sein und sie auf den Pflegealltag vorbereiten. Antje Veenker weiß, wie wichtig so eine Anlaufstelle ist: „Allein um zu erfahren, was einem von der Krankenkasse zusteht, wie man zu Hause klarkommt und welche Therapien man selbst machen kann.“

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