Berlin (dpa)

Anhörung von Geheimdienst-Chefs: Extremisten und Fremdmächte

Martina Herzog, dpa
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Von Martina Herzog, dpa
| 27.10.2021 10:36 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Thomas Haldenwang (v.l.), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, und Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes in Berlin. Foto: Fabian Sommer/dpa
Thomas Haldenwang (v.l.), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, und Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes in Berlin. Foto: Fabian Sommer/dpa
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Der Name sagt es schon: Geheimdienste operieren im Verborgenen. Doch einmal im Jahr geben sich die Chefs der drei Nachrichtendienste des Bundes halbwegs transparent. Einer räumt deutlich Fehler ein.

Die größte Gefahr in Deutschland geht laut Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang vom Rechtsextremismus aus. „Wie ein Mantra trage ich es vor mir her.“

Doch bei der öffentlichen Anhörung der Chefs der Nachrichtendienste des Bundes vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium ging es am Mittwoch in Berlin längst nicht nur um bekannte Einschätzungen, sondern auch um Aktivitäten fremder Mächte und das Fiasko in Afghanistan. Das neunköpfige Gremium überwacht die Arbeit der Nachrichtendienste des Bundes und tagt normalerweise geheim. Nur einmal im Jahr befragen die Mitglieder die Behördenchefs öffentlich.

Besorgniserregend findet Haldenwang, dass in rechten Netzwerken nicht selten auch Angehörige von Sicherheitsbehörden oder Streitkräften aktiv sind. Von diesen gehe eine besondere Gefahr aus, da sie teils über sensible Informationen oder spezielle Ausbildungen verfügten und oft Zugriff auf Waffen hätten. Generell gebe es aber eine „Scheinzunahme der Dimension“ von Rechtsextremisten in Behörden - es würden einfach mehr Fälle aufgedeckt. Details will das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im kommenden Frühjahr in einem zweiten Lagebild zum Thema nennen.

Auch Linksextremisten radikalisierten sich zusehends, Schwerpunkte seien Hamburg, Berlin und Leipzig. „Diese Szene nimmt den Tod von Menschen auch billigend in Kauf.“

Beim Islamismus fürchteten die Sicherheitsbehörden, dass die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kleine Gruppen von Attentätern nach Westeuropa schicken könnte. Bei Al-Kaida sehe man hingegen die Gefahr komplexer Anschläge wie am 11. September 2001, als von Islamisten gesteuerte Flugzeuge in die Türme des New Yorker World Trade Center steuerten. Der Vormarsch der Taliban in Afghanistan gebe „der gesamten Szene Rückenwind“, erklärte Haldenwang.

Bruno Kahl als Präsident des Auslandsgeheimdiensts BND kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen. IS und Al-Kaida profitierten vom Ende des „Verfolgungsdrucks“ durch afghanische und internationale Sicherheitskräfte, der Vormarsch werde gefeiert. „Dies könnte Afghanistan perspektivisch auch attraktiv für Dschihad-Freiwillige machen.“ Es bleibe zu beobachten, ob Islamisten aus Europa und anderen Regionen nun verstärkt nach Afghanistan reisten und ob das Land ein Rückzugsort für Terrororganisationen werde.

Gleichwohl dürften die Taliban nach Einschätzung des BND zunächst jegliche Anschlagspläne von Al-Kaida aus Afghanistan unterbinden, wenn sie davon erführen. „Ein offenes Auftreten von Al-Kaida wird von den Taliban nahezu sicher zunächst nicht geduldet“, sagte Kahl. Der Antagonismus zwischen dem IS und den Taliban werde fortbestehen. Der IS in der Region werde zunächst nur im Verdeckten operieren können, aber weiter Anschläge planen. Man müsse sehen, ob die Organisation sich als globaler islamistischer Akteur etablieren könne.

Das BND-Versagen vor dem Abzug der Bundeswehr und anderer ausländischer Kräfte aus Afghanistan räumte Kahl ein. Man habe nicht damit gerechnet, dass die Taliban das Land und die Hauptstadt Kabul so schnell unter ihre Kontrolle bringen würden. „Wie alle anderen Nachrichtendienste auch gingen wir davon aus, dass die afghanischen Sicherheitskräfte länger durchhalten“, sagte Kahl. Er habe die interne Revision beauftragt, Ursachen für diese Fehleinschätzung auszumachen und Handlungsempfehlungen abzugeben.

Eine weitgehend positive Bilanz zogen Haldenwang und Kahl hingegen mit Blick auf jüngste Landtagswahlen, den Bundestagswahlkampf und die Bundestagswahl Ende September. Es habe keine Aktion ausländischer Akteure gegeben, „die konkret den Wahlprozess angegriffen hätten“, sagte Kahl. Das „so genannte Grundrauschen“ sei indes angewachsen: So hätten fremde Nachrichtendienste und Akteure in Medien und sozialen Medien versucht, die gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben.

Die Sicherheitsbehörden seien auf verschärfte Versuche der Einflussnahme eingestellt gewesen, betonte Haldenwang, zumal es dazu in den USA bei den vergangenen beiden Präsidentschaftswahlen gekommen sei, ebenso in Frankreich, dem Baltikum und Polen.

Am Anfang des Wahlkampfs habe es allerdings „massive Kamagnen“ gegen einzelne Politiker gegeben, stellte Haldenwang fest. Gerade über Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hätten zahlreiche Falschinformationen kursiert, auch Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) sei häufig betroffen gewesen. So etwas könne im Versuch der Angreifer begründet sein, Politiker zu beschädigen, die missliebige Positionen verträten. Häufig gehe es auch einfach darum, gesellschaftliche Spannungen zu verstärken und extreme Ränder zu stärken, um der Demokratie zu schaden.

Die Chefin des Militärischen Abschirmdiensts (MAD), Martina Rosenberg, musste vor allem Stellung beziehen zu Rechtsextremismus-Fällen bei der Bundeswehr. „Der MAD geht jedem Fall intensiv nach“, beteuerte sie. Die Dimension des Problems macht ein Bericht für 2020 deutlich, der am Vortag an den Bundestag gegangen war. Die Zahl der vom MAD untersuchten Verdachtsfälle stieg demnach von 363 im Jahr 2019 auf nun 477. Rosenberg führte das auf eine gestiegene Sensibilität für das Thema zurück.

Für den BND kündigte dessen Präsident Kahl „ein neues organisatorisches Gerüst“ an. Strukturen sollten verschlankt, die Beschaffung von Informationen enger verzahnt werden mit deren Auswertung. Bislang seien Entscheidungswege teils zu langsam gewesen und Verantwortung zu breit gestreut. Der Prozess solle aber nicht vor Mitte kommenden Jahres abgeschlossen sein.

© dpa-infocom, dpa:211027-99-753355/5

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