Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ „De Weevstuuv“ – dieses Kulturerbe zieht die Leute an
Das Webmuseum in Westgroßefehn öffnet wieder. Hier gibt es nicht nur einen historischen Webstuhl zu bewundern. Vor allem möchten die Ehrenamtlichen für Material und Handwerk begeistern.
Westgroßefehn - Endlich geht es wieder los in der früheren Schule Westgroßefehns. Das Webmuseum „De Weevstuuv“ öffnet nach seiner Winterpause am Mittwoch, 1. Mai, seine Türen für die Besucher. Immer sonntags, mittwochs und an Feiertagen ist dort von 14 bis 17 Uhr Betrieb. Der Eintritt ist frei. Einheimische aber auch Touristen schätzen das kleine Museum. Schon jetzt laufen die Telefone bei der Vorsitzenden Annegret Terhorst, Vorstandskollegin Ulrike Neemann und den Mitstreitern heiß – viele Besucher können es kaum abwarten, bis sie hier wieder Wissenswertes über die Geschichte der Weberei erfahren und vor allem selbst Hand anlegen können. In der Museumswerkstatt geht es nämlich vorrangig darum, das Immaterielle Kulturerbe lebendig zu halten. Jeder der Webstühle hat einen Namen, zumeist resultierend aus seiner Herkunft. Die „Uschi“ stammt aus dem Oldenburger Land und wurde schätzungsweise 1873 erbaut. Sie ist ein Klassiker, weiß Terhorst: „Es ist ein Webstuhl, wie es ihn hier überall gab.“
Durch das Verweben von Wolle und Garn zu Schals, Handtüchern, Taschen oder auch Kleidungsstücken wird Tradition gelebt. Im Jahr 2023 wurde die Handweberei in das bundesweite Verzeichnis der Deutschen Unesco-Kommission aufgenommen. Während über Jahrhunderte hinweg flächendeckend nahezu überall Gebrauchstextilien hergestellt wurden, war das Handwerk im Zuge der Industrialisierung hinter die Mauern der Fabriken verschwunden. Längst wird der Großteil der Kleidung maschinell hergestellt. Die Massenproduktion findet zumeist im Ausland und nicht selten unter wenig menschenwürdigen Bedingungen statt. Das Bewusstsein dafür und der Wunsch nach individuellen Einzelstücken bringe die Menschen an den Webstuhl. „Das Ziel des Vereins ist es auf der einen Seite, die historischen Sachen auszustellen“, erklärt die Vorsitzende. „Aber auch das Wissen des Handwerks weiterzugeben. Uns ist diese Tradition wichtig.“
Die Kurse: reinschnuppern und vertiefen
Die Kurse für dieses Jahr sind bereits so gut wie ausgebucht, berichtet Terhorst. Im vergangenen November seien die Termine veröffentlicht worden – und innerhalb weniger Wochen waren fast alle Plätze weg. „Nur einzelne freie Plätze gibt es noch.“ Informationen dazu sind auf der Internetseite des Vereins zu finden. In Schnupperkursen, Anfängerkursen und besonderen Themenkursen geben die Ehrenamtlichen ihr Wissen weiter. Um die 20 oder 25 Kurse pro Jahr werden angeboten. Die Ehrenamtlichen versuchen, zumeist mit zwei Kursleitern auf die Bedürfnisse der fünf oder sechs Teilnehmer einzugehen. Die Teilnehmer sind vorwiegend Teilnehmerinnen, oft sogar Freundinnen, die sich für den Einblick ins alte Handwerk zusammengetan haben. „Es sind ganz oft Frauen, die das schon immer wollten“, weiß Vorstandsmitglied Irmgard Schütterle. Die Teilnehmer wollen selber etwas mit den Händen erschaffen – und erhofften sich Einblicke in unbekannte Bereiche. „Sie wollen selber etwas herstellen.“
Handarbeiten ist nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie wieder im Trend. In den 1980er Jahren, so Schütterle, habe es einen Knick gegeben. Kaum jemand wollte noch selbst etwas Tragbares herstellen. Heute sei das anders. „Dass man sich was Individuelles macht, das ist vielen ganz wichtig“, ergänzt Terhorst. Auch die Wahl der Materialien und Farben spiele eine gewichtige Rolle. Haltbare Naturfasern seien gefragt: Leinen, Baumwolle oder das Gemisch Cottoline. Nachhaltigkeit ist wieder mehr in den Fokus gerückt. Das gilt auch bei den Mitgliedern. Beim Mitgliederweben können Vereinsmitglieder ebenfalls ihr Können vertiefen oder sich Projekten widmen. So entstehen einmalige Materialien und Muster. „Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt.“
Der Verein und die Weberei
Seit 1999 widmet sich der Verein „De Weevstuuv“ der Tradition der Weberei. Initiator war im Jahr 1995 der mittlerweile verstorbene Auricher Webermeister Gerhard Peters. „Der überlegte, was er mit seinen Webstühlen machen sollte“, erzählt die Vorsitzende. Es wurde ein Verein gegründet, der Webstühle und Webgeräte aus Ostfriesland zeigen und auch nutzen wollte. Die Gemeinde Großefehn stellte dafür die frühere Schule zur Verfügung, die zuletzt in den 1970er Jahren von Schülern besucht wurde. Mittlerweile hat der Verein 110 Mitglieder. Nicht wenige davon sind fleißige Weber. Was diese herstellen, können die Besucher des Museums vor Ort und vereinzelt auf Ausstellungen kaufen.
Die meisten der Webstühle, die in der Museumswerkstatt ihren Platz gefunden haben, sind 50 oder 60 Jahre alt. Aber was passiert eigentlich auf den großen Holzwebstühlen mit den vielen Fußpedalen und den eingespannten Fäden? Peters hat dies in einem Büchlein für die Nachwelt festgehalten: „Weben ist die rechwinklige Verkreuzung von zwei Fadensystemen, von der Kette in Längsrichtung und dem Schuss in Querrichtung.“ Durch das Verkreuzen dieser Fäden entstehe eine Bindung. „Eine unerschöpfliche Vielfalt von Bindungen ermöglicht es, ein Gewebe zu mustern.“ Peters zufolge gab es 1851 beispielsweise in der Stadt Aurich acht Weber, im Amt Norden 38 sowie im Amt Wittmund 66. In Dornum betreibt Linda Detering mit der Fiefschaft noch eine Handweberei kommerziell.
Ein Klackern und Quietschen
Mehr als 30.000 Jahre alte, gefundene Gewebereste dokumentieren, wie lange die Menschheit bereits diesem Handwerk nachgeht. In Deutschland fand man Webstühle zumeist in Klöstern sowie flächendeckend in Haushalten. Frauen webten dort für den Eigenbedarf. Auch der historische Webstuhl, die „Uschi“, wurde einst so genutzt. Im Winter saßen die Frauen auf der Diele am Webstuhl und verarbeiteten Leinen. Im Sommer war keine Zeit für diese Arbeiten. „Der Webstuhl ist mit wenigen Handgriffen auseinanderzunehmen“, erläutert Schütterle. Anschließend ließ er sich platzsparend verstauen.
Verstauen lassen muss er sich in seinem Refugium in der Museumswerkstatt nicht. Hier wird der Webstuhl trotz seines Alters geschätzt und kommt regelmäßig zum Einsatz. Gerade schickt Vereinsmitglied Karin Tyedmers das Schiffchen munter von einer Seite auf die andere. Auch die „Anna“ steht parat. Auf ihr entfaltet sich ein Gewebe mit bunten Streifen auf hellem Untergrund. Gegenüber an der „Silke“ wird‘s hingegen kariert. Neben Annegret Terhorst hat Irmgard Schütterle Platz genommen – und kommentiert ein eigenartiges Geräusch. „Die Tineke quietscht manchmal“, verrät sie lachend eine Eigenheit ihres Webstuhls. Meist ertönt hier nur ein leises Klackern, wenn die Frauen mit ihren Füßen die Pedalen rhythmisch treten.
Teils arbeiten sie schweigend nebeneinander, teils ist Raum für Gespräche. Aber nur dann, wenn das Muster nicht zu schwierig ist, verraten sie. Wenn die Frauen routiniert ihrer Arbeit nachgehen, kann der Zuschauer schnell sehen, wie aus einzelnen Wollfäden ein Gewebe entsteht. Im Gegensatz dazu dauert es sehr lange, den Webstuhl einzurichten. „Es ist eine Menge Vorbereitung“, verrät Tyedmers. Für die Kursteilnehmer, die an einem Wochenende zwei Tage lang zum Schnuppern kommen, steht jedoch immer bereits alles fertig vorbereitet parat. Anfängerkurse beinhalten das Gesamtpaket, sagt Terhorst: „Am Ende der fünf Tage sind die Leute in der Lage, den Webstuhl selbst einzurichten.“ Etwas Greifbares mit nach Hause nehmen die Teilnehmer immer – zum Beispiel ein selbst gewebtes Geschirrhandtuch. Für viele ist dies nur der Anfang: Terhorst und die andere Ehrenamtlichen unterstützen im Nachgang auch bei der Anschaffung eines Webstuhls.