Tipps fürs Tierwohl Ostfrieslands Igeln nach dem Winterschlaf helfen – so geht’s

| | 02.05.2023 13:04 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Im langen Gras finden Igel Käfer, Regenwürmer und andere kulinarische Köstlichkeiten. Foto: Pixabay
Im langen Gras finden Igel Käfer, Regenwürmer und andere kulinarische Köstlichkeiten. Foto: Pixabay
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Nach ihrem Winterschlaf kehren viele Igel zurück in Ostfrieslands Gärten, andere sind schon längst wieder unterwegs. Alle sind schwach – und hungrig. Jetzt sind sie auf Unterstützung angewiesen.

Ostfriesland - Ostfrieslands Igel haben Hunger. Gerade öffnen die Räuber überall die dunklen Knopfaugen und strecken ihre Nasen aus den Laubhaufen oder Igelhäusern. Ihnen knurrt der Magen nach dem langen Winter. Seit Mitte November etwa haben sie geschlafen und machen sich nun auf die Pirsch durch die Gärten. Viele laufen auf Reserve. Bei anderen ist der Akku nahezu leer. „Die Tiere, die klein und mager sind, sind jetzt schon wach. Die dicken, fetten, die schlafen bis Mitte Mai.“ Längst nicht alle finden jetzt schnell genug ausreichend Nahrung, bedauert Heidemarie Otten. Sie kam vor 18 Jahren durch Zufall auf den Igel und betreibt im Altkreis Norden eine von derzeit vier ehrenamtlichen Auffangstationen des Vereins Ostfriesen Igel. „Die Tiere verhungern“, sagt sie. Weil sie schlichtweg nicht ausreichend Nahrung finden. „Wir haben dieses Jahr schon viele Tiere beerdigt.“

Was und warum

Darum geht es: Bis Mitte Mai kehren Ostfrieslands Igel aus dem Winterschlaf zurück. Sie sind hungrig. Sie finden längst nicht genug Nahrung, um gut davon zu leben, sagt eine Expertin.

Vor allem interessant für: Natur- und Tierliebhaber, Freunde naturnaher Gärten

Deshalb berichten wir: Igel Paul kam vor wenigen Tagen aus dem Winterschlaf. Mehr tot als lebendig lag er plötzlich vor der Haustür der Redakteurin. Trotz Expertenhilfe war dem alten, fast zahnlosen und wie sich herausstellen sollte kranken Tier nicht mehr zu helfen. So wie Paul soll es anderen Igeln nicht ergehen. Ostfrieslands Gärten sollen wieder igelfreundlicher werden.

Die Autorin erreichen Sie unter: s.ullrich@zgo.de

Die Probleme der dämmerungs- und nachtaktiven Raubtiere sind vielfältig. Die milden Winter lassen sie zu oft aufwachen. Dann ziehen die Tiere los: „Ein Igel braucht am Tag 130 bis 150 Gramm Insekten“, rechnet Otten vor. Die finden die Tiere heute vielerorts nicht mehr. „Uns fehlen wirklich Insekten.“ In der kalten Jahreszeit sei es noch gravierender: „Die Insekten gehen ja auch in Winterruhe.“ Viele Igel seien zudem schon untergewichtig in den Winterschlaf gegangen. Der drohende Hungertod, dazu Verkehrsunfälle und Fressfeinde: Laut der Deutschen Wildtierstiftung nimmt die Anzahl der Igel in Deutschland ab. Genaue Zahlen, wie groß die Population ist, gibt es nicht. Vom Aussterben bedrohte Tiere stehen auf der sogenannten Roten Liste. Dorthin hat es der Igel zwar noch nicht geschafft, die Tendenz ist dennoch besorgniserregend: Er steht auf der Vorwarnliste gefährdeter Arten.

Genau hinschauen, ob ein Igel Hilfe braucht

In Ostfrieslands Gärten ist der Braunbrustigel unterwegs. Bis zu sieben Jahre alt kann er werden. Er frisst Käfer, Spinnen oder Kellerasseln, einige Schneckenarten und Würmer, aber auch Kleinvögel und deren Eier sowie Kleinsäuger. Der Einzelgänger wiederum steht auf der Speisekarte von Marder, Dachs, Uhu und Fuchs. Gefährlich für Igel ist aber auch die Unachtsamkeit der Menschen: Heidemarie Otten bekommt beispielsweise Tiere, die von Kantenschneidern aufgeschlitzt, von Forken aufgespießt oder von Mährobotern verstümmelt wurden. Diese pflegt sie. 2005 nahm sie den ersten Igel auf. Damals arbeitete sie bei einem Tierarzt und ein Igel brauchte Hilfe in der Not. „Man hat einen. Und dann geht das los.“ Von Jahr zu Jahr wurden es mehr Tiere, denn es sprach sich herum, dass sie sich kümmert. Aus einem Igel wurden 130. So viele nämlich betreue sie derzeit, überschlägt sie. Sie alle hat sie überwintert. Teils selbst, teils mit der Unterstützung von Pflegestellen.

Hungrige Igel machen sich in vielen Gärten auch über Vogelfutter her, wenn sie es wie hier auf dem Bild erreichen können. Foto: Pixabay
Hungrige Igel machen sich in vielen Gärten auch über Vogelfutter her, wenn sie es wie hier auf dem Bild erreichen können. Foto: Pixabay

Vier Auffangstationen in ganz Ostfriesland hat der Verein – alle sind voll. Betrieben werden sie von Menschen, die sich aus freien Stücken um die Belange der Tiere kümmern. Die Ehrenamtlichen leisten viel Arbeit, haben nicht selten schlaflose Nächte und bezahlen dazu vieles aus eigener Tasche. Jetzt würden zwei dieser Standorte auf der Kippe stehen, bedauert Otten. Und auch sie wolle mit ihren 62 Jahren langsam kürzer treten. Aber wie? Sie bekomme immer wieder erwachsene Igel und Jungtiere gebracht. Dabei seien viele Igel in ihrer gewohnten Umgebung, teils mit etwas Unterstützung aufmerksamer Menschen, gut aufgehoben. Der Naturschutzbund (Nabu) rät, Igel grundsätzlich möglichst in Ruhe zu lassen. Beim Nabu wie auch beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gibt es online viel Wissenswertes rund um das Stacheltier, Möglichkeiten naturnaher Gartengestaltung oder Bauanleitungen für Häuschen.

Igel-Auffangstationen platzen aus allen Nähten

Jan Fuchs, Regionalgeschäftsführer des Nabu Ostfriesland, empfiehlt, die Tiere aus der Distanz zu beobachten und im Zweifel bei den Auffangstationen oder Naturschutzverbänden nachzufragen, was zu tun ist. Er sagt, die Wildtiere sollte man wirklich nur dann aufnehmen, wenn sie verletzt, stark von Parasiten befallen oder stark abgemagert sind. „Solange die Tiere gesund sind, sollte man sie in der Natur belassen.“ Heidemarie Otten aber sagt, wenn dem Menschen ein Igel begegnet, dann sei er oft auch auf Hilfe angewiesen: „Igel sind nachtaktiv. Wenn sie am Tag unterwegs sind, haben sie ein Problem. Bitte immer einmal schauen, was los ist.“

Heidemarie Otten wünscht sich für die Zukunft wieder mehr Zeit für die Igel, die wirklich unbedingt Hilfe benötigen. Ein Baustein dazu sind igelfreundlichere Gärten, in denen die Tiere einen Lebensraum finden. Hilfestellungen zum Überwintern und Schulungen für den sachgerechten Umgang mit Igeln bekämen Interessierte bei ihr immer, unterstreicht sie. „Es würde schon helfen, wenn jeder seinen eigenen Igel versorgt.“ Alte, kranke und verletzte Tiere gehörten weiterhin in die Obhut der Auffangstationen. Für sie hat der Verein beispielsweise ein Igelrefugium geschaffen, in dem Tiere mit dauerhaften Beeinträchtigungen ungestört leben können.

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