Jugendliche und Medien Warum ist Aurich für junge Leute so langweilig?

| | 26.04.2024 19:20 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Als sei es eine echte Aufzeichnung: Lena Neubert (rechts) macht am Mikrofon einen souveränen Eindruck. Foto: Boschbach
Als sei es eine echte Aufzeichnung: Lena Neubert (rechts) macht am Mikrofon einen souveränen Eindruck. Foto: Boschbach
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Lena Neubert lernt an der Realschule in einem Projekt, wie man Radio macht und Politikern auf den Zahn fühlt. Dafür fährt die 15-jährige Auricherin auch nach Hannover in den Landtag.

Aurich - Kein Frühstücksei ohne den Sound von NRD 2, später dann im Auto verspricht Shawn Mendes „Treat you better“, diesmal auf dem Sender ffn: Im Leben von Lena Neubert spielt Radio eine große Rolle. Damit ist die Realschülerin eine absolute Ausnahme, wie sie selbst sagt: „Junge Leute nutzen dieses Medium kaum noch.“ Dass ihre Hörgewohnheiten anders sind, führt sie auf ihre Eltern zurück: „Die hören vor allen Dingen bei den Mahlzeiten Radio − und meine Schwester und ich deshalb auch. Mein Vater mag besonders die Sendung ,Schlagerparadies‘.“ Es ist aber nicht nur die leichte Muse, die Lena Neubert wahrnimmt. Die 15-Jährige interessiert sich für Politik. Sie sagt, dass sie wissen will, welche Ziele die Parteien beim Klimaschutz, bei der Verkehrspolitik und der Mülltrennung verfolgen. „Man möchte eine gute Zukunft“, begründet sie ihre Ambitionen, sich für gesellschaftliche Themen zu interessieren und bei einem Radio-Projekt ihrer Schule mitzumachen.

Im Gespräch mit der Redaktion nennt sie immer wieder den Begriff „Ziele“, etwas, worauf man hinarbeiten kann. Für ihre Heimatstadt Aurich könnte das ein Bahnhof oder eine Disco sein, findet sie. Etwas, was auch das Leben junger Menschen bereichern könnt. Die wollen schließlich auch mal schnell woanders hin oder sich beim Tanzen die Zeit vertreiben. Sie ist derzeit in der Realschule Mitglied eines Vierer-Teams, das an einem mehrstufigen Online-Projekt der Landesinitiative n-21 teilnimmt. „Es geht uns um die Stärkung von Medienkompetenz“, sagt Projektleiterin Natalie Deseke am Freitag im Gespräch mit der Redaktion. Die gelernte Journalistin und Pädagogin erklärt den Jugendlichen Interviewtechniken und den Umgang mit Mikrofon und Aufnahmetechnik. Im Anschluss daran hat sie in der Realschule einen Termin unter dem Motto „Politik zum Anfassen“ arrangiert. Die CDU-Landtagsabgeordnete Saskia Buschmann ist zu Gast. Sie lässt sich von den Zehntklässlern ausquetschen. Dabei gibt sie sich locker und zugänglich.

Kostüm statt Schlabberlook

Die Auricherin trägt Boots, ein knallgelbes, sportliches Sakko und Jeans. Kleidung, die gut in den Rahmen eines Klassenzimmers passt. Stichwort Kleidung: Saskia Buschmann plaudert ein bisschen aus dem Nähkästchen. Als Landtagsabgeordnete müsse man nach außen ein gutes Bild abgeben. Ein Mitglied des Parlaments, das mittlerweile aus dem Gremium ausgeschieden sei, habe das offenbar anders gesehen. „Die kam immer im Schlabber-Look in die Sitzungen.“ Das sei kritisch beäugt und auch kommentiert worden. Schließlich habe die Abgeordnete sich in Begleitung modischer Berater zwei Kostüme kaufen müssen.

Saskia Buschmann (links) stellte sich den Fragen der Schüler.
Saskia Buschmann (links) stellte sich den Fragen der Schüler.

Gibt es auch Zuschuss für den Erwerb von Kleidung für die Politiker? Wenn ja, wie hoch ist der? Das wäre eine Frage gewesen, die man hätte stellen können. Die Schüler orientieren sich aber stark an dem, was sie vorbereitet haben. Sie wollen wissen, wofür die Steuergelder verwendet werden? Was das drängendste Problem im Land Niedersachsen sei? Saskia Buschmann antwortet sehr konzentriert und ausführlich. Einen Teil der Moderation übernimmt Natalie Deseke. Dabei geht es auch um den zweiten Teil des Projekts. Lena Neubert wird nämlich mit ihren Mitschülern Nico Friesenborg, Lena Nodstawa und Jarno Borgert im Mai in den niedersächsischen Landtag fahren, um dort das anzuwenden, was sie am Freitag in Aurich gelernt haben. Sie werden einen Politiker interviewen. Wen steht noch nicht genau fest. Vielleicht ist es Sebastian Lechner. Der CDU-Fraktions-Vorsitzende sei ein kerniger Typ, sagt Saskia Buschmann und gerät fast ins Schwärmen.

Podcasts waren gestern

Lena Neubert hört der Politikerin aufmerksam zu. Sie nutzt professionelle Kopfhörer, ihr Blick wandert zwischendurch immer wieder zum Aufzeichnungsgerät. Radio machen sei spannend, sagt sie. Durch das Projekt mit n-21 habe sie ihr eigenes Konsumverhalten verändert. „Früher habe ich mehr Podcasts gehört. Mittlerweile überwiegt das Radioprogramm“, sagt die Realschülerin.

Ihr Nutzerverhalten hebt sich ab vom Mainstream. Die tägliche Radionutzung in Deutschland belief sich laut der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse auf fast drei Stunden im Jahr 2022 und sank gegenüber dem Vorjahr, damit war die Nutzungsdauer des Mediums Radio so niedrig wie zuletzt 1998.

Immer mehr Menschen setzen auf Internet und Streaming. Deren Anzahl steigt in Deutschland laut dem Analysetool Statista seit 1997 und hat sich mit knapp 67 Millionen Personen mehr als verzehnfacht. Auch die Abrufe von Audio- und Musikstreaming-Diensten in Deutschland verzeichnen einen Anstieg: So wurden im Jahr 2023 rund 213 Milliarden Audio-Streams in Deutschland abgerufen. Deren Konsum hat sich innerhalb von zehn Jahren um das 35-fache gesteigert. Medienwissenschaftler sehen die starke Tendenz, dass Menschen, vor allen Dingen Jugendliche, das abrufen, was sie gerade zu diesem Zeitpunkt konsumieren möchten. Ein Live-Medium wie das Radio hat es deshalb zunehmend schwer, sich gegen diesen Trend zu stemmen.

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