Idafehn

„Früher war ich 1000 Volt“

Nikola Nording
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Von Nikola Nording
| 29.02.2020 15:42 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Anke Ahrens aus Idafehn leidet am Stiff-Person-Syndrom. Es ist eine seltene Krankheit. Bis sie die Diagnose erhielt, war es ein weiter Weg. Jetzt will sie ihr Leiden bekannter machen.

Idafehn - Wenn Anke Ahrens erst einmal angefangen hat zu sprechen, hört sie so schnell nicht wieder auf. Sie redet schnell und mit viel Begeisterung. Ihre Augen strahlen, ihr Blick ist wach, ihre Hände unterstreichen jedes Wort. Nur ihre Beine bleiben still, fast bewegungslos unter dem Tisch stehen. Von der Hüfte abwärts wird der Körper der 47-Jährigen immer ruhiger, steifer. Anke Ahrens leidet an einer seltenen Erkrankung, dem Stiff-Person-Syndrom.

Bis Anke Ahrens wusste, unter welcher Krankheit sie leidet, war es ein langer, beschwerlicher Weg. Bild: Ortgies
Bis Anke Ahrens wusste, unter welcher Krankheit sie leidet, war es ein langer, beschwerlicher Weg. Bild: Ortgies

Davon betroffen sind rund 200 bis 300 Menschen in Deutschland. Die Idafehnerin möchte über ihre Krankheit sprechen, damit diese bekannter wird. Ausgesucht hat sie sich dazu den 29. Februar. An diesem Tag gibt es einen weltweiten Aktionstag, an dem auf seltene Krankheiten aufmerksam gemacht werden soll. Selten ist ein Leiden, wenn nur fünf von 10 000 Menschen davon betroffen sind.

Gleichgewicht verloren

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Leben mit Stiff-Person-Syndrom
28.02.2020
Oft ist es für Ärzte schwierig, eine seltene Krankheit zu diagnostizieren. Diese Erfahrung musste auch Anke Ahrens machen. 2014 machte sich das Stiff-Person-Syndrom bei ihr erstmals bemerkbar. „Ich hab gedacht: ,Man, was bist du steif‘“, erinnert sie sich. Die begeisterte Reiterin verlor immer wieder das Gleichgewicht, konnte sich nicht mehr flüssig bewegen. Dann machte das Fahrradfahren Schwierigkeiten: „Ich saß einmal auf dem Fahrrad und habe mich gefragt, wie ich da jetzt runter komme?“, sagt sie. Das sei sehr beängstigend gewesen. Zweimal war sie auch hinterm Steuer in brenzlige Situationen geraten: Sie habe nicht bremsen können. Es sei niemandem etwas passiert, aber seitdem fährt die 47-Jährige nicht mehr Auto.

Ärzte konnten ihr nicht helfen. 2018 wurde sie am Rücken operiert. Als auch die OP keine Linderung brachte, wurde die neurologische Erkrankung Multiple Sklerose vermutet. Behandlungen, auch in Klinken, schlugen nicht an. „Mein Neurologe hat zufällig einen Bericht über das Stiff-Person-Syndrom im Fernsehen gesehen“, sagt Ahrens. Dieser Zufall sei der Durchbruch für sie gewesen: Über Umwege kam die Idafehnerin zu einem Spezialisten in Heidelberg. Dort bekam sie endlich die Lösung beziehungsweise eine Diagnose: Ahrens leidet unter dem Stiff-Person-Syndrom. Dabei wird der Körper des Betroffenen steif – bis zur Bewegungsunfähigkeit. Der Gang der Erkrankten wird auffälliger, sie stürzen häufig. Außerdem leiden Betroffene unter Schreckhaftigkeit. All diese Symptome passten auf das Leiden der 47-Jährigen. Für Ahrens und ihre Familie war das eine riesige Erleichterung – obwohl die Autoimmun-Krankheit, die im Gehirn ausgelöst wird, nicht heilbar ist. Nun konnte sich Anke Ahrens vieles erklären: „Früher war ich 1000 Volt, habe viel gearbeitet, war immer aktiv – heute ist das anders.“

Netzwerk aufgebaut

Früher arbeitete sie beim Landkreis Leer. Seit mittlerweile zwei Jahren ist die Idafehnerin krankgeschrieben und kaum noch belastbar. „Wenn ich mich eine Stunde konzentriere, bin ich danach platt.“ Die Hände in den Schoß legen will sie deswegen trotzdem nicht. Ahrens hat begonnen, sich über ihre Krankheit zu informieren. „Ich studiere Stiff-Person“, scherzt sie. „Das ist typisch für Betroffene seltener Krankheiten“, sagt Sanna Börgel, Pressesprecherin der „Eva-Luise-und-Horst-Köhler Stiftung für Menschen mit seltenen Erkrankungen“ in Bonn. „Oft sind die Erkrankten richtige Experten auf ihrem Gebiet“, weiß Börgel. Das sei so, weil sich sonst kaum jemand mit ihrer Krankheit auskennt. „Die bauen sich dann ein Netzwerk“, berichtet die Sprecherin der Stiftung. Das hat auch Ahrens getan: „Ich habe ein gutes Team.“ Das besteht aus ihrer Neurologin, ihrem Hausarzt, einer Physiotherapeutin und ihrem Mann. Trotzdem ist die Behandlung schwierig. „Wir probieren Medikamente aus, die die Symptome lindern.“

Ihre Ärztin ist Neurologin Esther Hassels aus Papenburg. Ahrens ist der vierte Stiff-Person-Fall in ihrem Berufsleben. Die Behandlung solcher Krankheiten sei nicht einfach. „Die Patienten und ich schauen gemeinsam, wie wir am besten verfahren können. Schwierig ist es vor allem, wenn eine Krankheit nur sehr schlecht erforscht ist“, sagt sie. Allerdings gibt Hassels zu: Die Behandlung dieser Krankheiten wecke auch den ärztlichen Ehrgeiz. „Bei vielen chronischen Krankheiten hat man als Arzt eine gewisse Routine erarbeitet. Seltene Krankheiten fordern uns dann.“

Persönliches Engagement

Ahrens ist froh über dieses Engagement. Sie hat es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, die Krankheit bekannter zu machen. „Ich überlege schon, wie ich zum Beispiel im Internet darüber schreiben kann“, sagt sie. Auch in der Selbsthilfegruppe für Stiff-Person-Erkrankte sei sie aktiv und tausche sich aus. Ahrens erhofft sich, dass mehr an der Krankheit geforscht wird und es irgendwann wirksame Behandlungsmethoden gibt. „Man hat bei jeder Krankheit irgendwann einmal angefangen, jetzt müssen wir eben bei Stiff-Person anfangen.“

Sie macht das natürlich auch aus persönlichem Antrieb. Anke Ahrens wirkt aufgeweckt und fröhlich, es gebe auch viele Momente der Schwäche, sagt sie. „Ich weiß nicht, wie es mir in fünf Jahren geht. Aber es bringt mir nichts, zu verzweifeln.“ Daher wolle sie weiterkämpfen.

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