70 Jahre OZ

Vom Hauen und Stechen der Zeitungsverlage

Joachim Braun
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Von Joachim Braun
| 09.10.2020 00:01 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 7 Minuten
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OZ-Chefredakteur Joachim Braun erklärt knapp 140 Jahre Zeitungsgeschichte in Ostfriesland. Eine Besonderheit: Nirgends gibt es so viele Titel wie in unserer Region.

Ostfriesland - Ostfriesland ist einzigartig in Deutschland. In den meisten Regionen gibt es nur noch eine Tageszeitung. Selbst in vielen deutschen Großstädten – von Augsburg bis Wuppertal – herrscht Monotonie. Wo es früher eine, zwei oder gar drei Tageszeitungen mit lokaler Berichterstattung gab, ist nur noch eine geblieben. In Ostfriesland hingegen mit seinen nicht einmal 500 000 Einwohnern gibt es neun Zeitungstitel. Der kleinste ist die Borkumer Zeitung, die vier Mal in der Woche erscheint und eine verkaufte Auflage von knapp 850 Exemplaren hat. Die größte die Ostfriesen-Zeitung mit gut 30 000 Auflage, an sechs Tagen in der Woche.

Bis auf den nördlichen Landkreis Leer (Moormerland, Hesel, Uplengen, Jümme) erscheinen überall mindestens zwei Blätter, in vielen Gebieten konkurrieren sogar drei um Leser, beispielsweise in der Krummhörn und Hinte, in Norden und in Wiesmoor. Fast möchte man sagen, wir haben hier paradiesische Zustände für die Demokratie. Aber das wäre wohl ziemlich vermessen, nicht nur, weil die einzelnen Zeitungen ihren Auftrag ziemlich unterschiedlich definieren.

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Viele Drucker versuchen sich als Verleger

Von Pressefreiheit ist erstmals in deutschen Landen 1832 beim Hambacher Fest die Rede. Die folgende bürgerliche Revolution bringt 1848 zwar nicht die alte Fürstenordnung zu Fall, leitet aber deren Niedergang ein. Fortan ist die staatliche Zensur für Zeitungen abgeschafft. Der Bedarf der aufstrebenden Bürgerschaft nach wöchentlicher und gar täglicher Lektüre ist groß. Nach dem Leerer Anzeigeblatt werden in Weener (Rheiderland-Zeitung, 1860), Wittmund (Anzeiger für Harlingerland, 1862), Aurich (Ostfriesische Nachrichten, 1864), Norden (Ostfriesischer Kurier, 1867), Borkum (1881) und Rhauderfehn (der heutige General-Anzeiger, 1888) Zeitungen gegründet.

Erst 1900 folgt die als Rhein-Ems-Zeitung gegründete heutige Emder Zeitung (so heißt sie seit 1975). Sie ist aber nicht die erste Zeitung in der Seehafenstadt. Das in seiner politischen Ausrichtung linksliberale Blatt konkurriert mit der bereits 1812 gegründeten Ostfriesen-Zeitung und der bürgerlich-gesinnten Emder Zeitung, die 1935 von den Nazis dicht gemacht wird. Viele ostfriesische Drucker versuchen sich in der Gründerzeit als Verleger. Die meisten Titel sind nur noch Historikern bekannt. Spätestens die Gleichschaltung der Medien nach 1933 führt zur Einstellung auch fast aller ostfriesischen Titel. Fortan gibt es nur noch nazitreue Zeitungen, die der Zensur unterliegen.

Lizenzen nur an politische Gegner der Nazis

Die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, jedenfalls die USA, Großbritannien und Frankreich, wissen, wie wichtig eine freie, unabhängige Presse für die Demokratie ist. Die alten Heimatverleger, so mancher von ihnen hatte sich mit den Nazis gemein gemacht, dürfen ihre Zeitungen erstmal nicht wieder eröffnen. Stattdessen vergeben die Besatzungsmächte Lizenzen an politische Gegner der Nationalsozialisten, altgediente SPD-Leute oder auch an Männer, die im Widerstand gewesen waren. So entsteht die Nordwest-Zeitung in Oldenburg, die eine Unterausgabe für Ostfriesland hat – den Vorgänger der 1950 gegründeten OZ.

Mit dem Grundgesetz fällt im Mai 1949 der Lizenzzwang: Nach wenigen Monaten sind alle Heimatverleger wieder mit ihren früheren Titeln am Start. Ausnahme ist das „Leerer Anzeigeblatt“, die Lücke füllt später die Ostfriesen-Zeitung.

Goldene Jahrzehnte für die Verlegerfamilien

Und es werden goldene Jahrzehnte für die Verlegerfamilien, bei denen inzwischen schon die dritte oder vierte Generation am Ruder ist. Die Auflagen steigen unaufhörlich, und ab dem Wirtschaftswunder sorgt die Anzeigenwerbung für Umsatzrenditen, die vielfach deutlich jenseits der 30 Prozent liegen. Kein Wunder, es gibt ja für regionale Unternehmen kein anderes Medium, in dem sie werben können. Und selbst als dann in den 1980er Jahren die kostenlosen Wochenblätter aufkommen, gefährdet das die Ertragslage der Tageszeitungen nicht. Die meisten Anzeigenblätter gehören den Zeitungsverlagen.

Kennen Sie den kürzesten Witz? Es ist nur ein Satz: Zwei Verleger sind sich einig. Zwar haben sich 1950 die ostfriesischen Heimatzeitungsverleger (mit Ausnahme der Rheiderland-Zeitung) zusammengetan, um gemeinsam die Ostfriesen-Zeitung herauszugeben und daran zu verdienen.

Ein kampfeslustiger Jungverleger

Man verreist zusammen, feiert gemeinsam, aber man ist sich auch spinnefeind. Und so gelten irgendwann die alten Grenzen nicht mehr. Ob Zufall oder nicht: Alles fängt an, als Ende der 1970er Jahre die Einführung des Fotosatzes dem Guttenberg’schen Bleisatz den Garaus macht.

In Emden hat da gerade Jungverleger Edzard Gerhard übernommen. Ambitioniert und kampfeslustig. Er modernisiert die Zeitung inhaltlich, beendet die technische Zusammenarbeit mit dem Ostfriesischen Kurier in Norden und gründet 1976 ein Anzeigenblatt für Emden und Umland. Das ist wirtschaftlich ein Schlag für die OZ, verlangte doch das Heimatblatt Emden viel weniger für den Anzeigenmillimeter.

Rettung durch die anderen Verlage

Damit nicht genug: 1980 baut Gerhard seine eigene Druckerei – bis dahin wurde die EZ in Norden produziert –, was den Ostfriesischen Kurier erneut in wirtschaftliche Schieflage bringt. Keiner der anderen Verleger hatte zuvor etwas gewusst. Und dann lässt der Emder Unternehmer sein Heimatblatt auch in den Landkreisen Aurich und Wittmund erscheinen. Eine Kampfansage an die dortigen Verlage.

Lange gut geht das allerdings nicht. Ende 1984 steht die Druckerei vor der Insolvenz. Nur weil die Verlage aus Leer, Norden, Aurich und Rhauderfehn in Emden einsteigen und sich zu gleichen Anteilen an der Ostfriesische Pressedruck (OPD) beteiligen, geht das Abenteuer für Edzard Gerhard glimpflich aus.

Heftiger Streit unter den Gesellschaftern

Ganz ohne Eigennutz geschieht die Rettungsaktion der Heimatverleger natürlich nicht. Sie arbeiteten zu diesem Zeitpunkt überwiegend mit völlig veralteten Druckereien. Die der ON in Aurich beispielsweise stammte aus dem Jahr 1938. Die Konzentration auf zwei Druck-Standorte (Leer und Emden) erlaubt den OPD-Gesellschaftern so große Rationalisierungseffekte, dass das Minus aus den harten Jahren mit dem Heimatblatt schnell aufgeholt ist.

Also alles wieder gut im ostfriesischen Verlegerreich? Nein, im Süden gründet nun GA-Verleger Dr. Gerfried Engelberg ein Anzeigenblatt, den „Wecker“, und profitiert dabei von niedrigen Druckpreisen in der OPD Leer. Der Streit unter den Gesellschaftern ist heftig, 1992 scheidet der GA aus der gemeinsamen Druckfirma aus. Den OPD-Standort Leer übernimmt die Ostfriesen-Zeitung. Da aber dort auch die anderen Verleger Mit-Gesellschafter sind, führt der Konflikt schließlich dazu, dass der Ostfriesische Kurier in Norden seine OZ-Anteile an den General-Anzeiger verkauft, der sie dann an die NWZ ...

Die Lage hat sich wieder beruhigt

Kurz und gut, es ist ein Hauen und Stechen in den wilden 80er und 90er Jahren. Erbstreitigkeiten kommen dazu. Und nicht zu vergessen, dass 1997 EZ-Verleger Gerhard nochmal, und diesmal sogar mit staatlicher Förderung, in Riepe eine Druckerei baut und somit ein drittes Mal die Kollegen in Norden in existenzielle Probleme bringt. Auch dieses Abenteuer endet nicht gut und sorgt beim dritten OPD-Gesellschafter, der Familie Dunkmann, für eine millionenschwere Abschreibung, die die kerngesunden Ostfriesischen Nachrichten kurz an den Rand der Überschuldung bringt.

Noch einmal gibt es Stress auf dem Zeitungsmarkt. Robert Dunkmann expandiert ab 2005 mit den Ostfriesischen Nachrichten in Richtung der Stadt Norden und eröffnet in Marienhafe eine Geschäftsstelle. Kurier-Verleger Christian Basse ist außer sich. Noch 2017, in der Beilage zum 150. Bestehen des Kuriers, schreibt er von „Zeitungskrieg“ und hinterlegt dies mit einer Skizze, die Vormarsch und Frontlinien zeigt. Für drei Jahre verlegt die Zeitungsgruppe Ostfriesland auch die Norderneyer Badezeitung. Insel und Festland läuft nicht. Inzwischen ist das Blatt wieder Teil des Ostfriesischen Kuriers.

Ohnehin hat sich die Lage inzwischen beruhigt. Die Umsätze sind bei allen Blättern rückläufig. Und die Verleger wissen längst: Nicht die andere Heimatzeitung ist mein Gegner, sondern der Nichtleser, also derjenige, der das Abo abbestellt und der Zeitung den Rücken gekehrt hat. Also konzentrieren sie sich darauf, gute Zeitungen zu produzieren.

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