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Emden: Eine Hymne auf die ungeschminkte Stadt

Gordon Päschel
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Von Gordon Päschel
| 09.10.2020 00:00 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Im langen Schatten von VW und den Nordseewerken wird in Emden das eigene schlechte Image mit Hingabe gepflegt. Zurecht? Ein Nicht-Emder hat sich dazu Gedanken gemacht.

Emden - Herbert Grönemeyer hat es geschafft: Er zog sich im Januar 1984 in ein Tonstudio zurück und schrieb eine Hymne auf seine Heimatstadt: Bochum. Der Song drückt in 3:50 Minuten seine ganze Zuneigung aus, seine Kritik, seine Liebe. Selbst die, die nie in Bochum waren, verstehen nach dem Lied, was diese Malocherstadt auszeichnet. Nun bin ich weder Grönemeyer noch Musiker. Ich bin Journalist. Und ich schreibe jetzt nicht über Bochum. Aber wenn es gut läuft, haben Sie am Ende dieser Zeilen eine Vorstellung von Emden, genauer: von meinem Emden. Auf geht’s.

Eines vorweg: Ich bin kein Emder. Ich bin in Wilhelmshaven zur Welt gekommen, was in vielerlei Hinsicht nicht so weit von Emden entfernt ist. Es gibt Parallelen: die Kreisfreiheit und schmucklose Straßen, die glorreiche Fußballvergangenheit, die Marine und die Nähe zum Tiefwasser. Häfen gibt es auf der ostfriesischen Halbinsel ja zuhauf. Leer hat einen, Aurich auch. Aber das ist nicht dasselbe: Durch den Emder Hafen weht schon immer ein anderer Wind – er ist rauer, schmeckt nach echter Seefahrt und trägt fremde Sprachen bis weit in die Stadt. Leer mag das Tor zu Ostfriesland sein. Emden ist das Tor zur Welt.

Spröder Charme

Als ich 2014 nach Emden kam, wusste ich wenig über die Stadt und ihre Menschen. Ich kannte bis dahin nicht viel mehr als die Fußballplätze von Rot-Weiß, Kickers, Borssum oder Larrelt. Mit meiner Mannschaft hatte ich mich als Mittelfeldspieler hier Jahr für Jahr gegen drohende Niederlagen gestemmt – Emden war eine Hochburg im Sport, kaum einzunehmen. Wenn unser Bus über die Auricher Straße hierher rollte, kam mir der Anblick der schmucklosen 1950er-Jahre-Klinkerbauten und der austauschbaren Geschäftsfassaden im Zentrum jedes Mal vertraut vor: Die Stadt versprühte den gleichen spröden Charme wie Wilhelmshaven. Erst viel später entdeckte ich im langen Schatten von VW und den Nordseewerken auch die anderen Seiten.

Mein Emden putzt sich selten fein heraus. Es ist ungeschminkt schön. Zwischen Wasser, Wall und Friesenhügel finden sich unscheinbare Wohlfühlorte, von denen man in Aurich oder Leer vielleicht noch nie gehört hat. Denn es wird nicht gerne laut darüber gesprochen, schon gar nicht in der Stadt selbst – mein Emden pflegt sein schlechtes Image. Die Alteingesessenen schimpfen über die Unzulänglichkeiten. Sie merken dabei nicht, wie unglaubwürdig sie sind. Denn ihre ganze zur Schau getragene Unzufriedenheit fällt in sich zusammen, sobald sie die Stadtgrenze verlassen. Außerhalb Emdens lassen die Meckerpötte nichts auf ihre Stadt kommen. Aber rein gar nichts.

Abseits von Kunsthalle und Klub zum guten Endzweck

Mein Emden hält nämlich große Stücke auf sich. Mein Emden hat eine Kunsthalle und feiert im Klub zum guten Endzweck, diesem nach Elite und schwerreicher Vergangenheit klingenden Ort. Die Realität vor den Türen des Klubs ist längst eine andere. Auch sie ist international, aber moderner und zeitgemäßer. In ihr tummeln sich weniger gut betuchte Kaufleute und alter Reformationsadel aus den Niederlanden. In ihr genießen Emder mit ostfriesischen oder fremdländischen Wurzeln gemeinsam die Freiheit am Ratsdelft.

Mein Emden ist blau, was nicht nur an einer bemerkenswert hohen Kneipendichte liegt. Wasserstraßen führen in alle Himmelsrichtungen. Auf ihnen schippert der VW-Arbeiter gerne sein Bootje durchs Grüne – die Freizeit und der Tariflohn wollen schließlich genutzt sein. Und warum dazu allzuweit in die Ferne schweifen?

Eine Hochschule für Emden?

Emden hat ein Matjesfest, Emden hat einen der besten Wochenmärkte in Ostfriesland. Emden hat viel zu bieten. Der Stadt fehlt eigentlich nur eine Hochschule. Ach ja! Angeblich soll es schon eine geben. Angeblich sind hier Semester für Semester weit mehr als 4000 Studierende eingeschrieben. Ich habe so meine Zweifel daran. Denn außerhalb des Cafés Einstein und der FE 47, der sagenumwobenen WG an der Friedrich-Ebert-Straße, kann ich selten Studenten entdecken.

Ach mein Emden: Dein Herz schlägt nicht aus Stahl. Und du bist auch nicht ständig auf Koks. Du bist anders, du bist eigen. Und das ist gut so.

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