OZ-Weihnachtsaktion

Das lange Warten im Krankenhaus zerreißt Familien

Lena Mimkes
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Von Lena Mimkes
| 22.12.2020 19:13 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Grit Patzwaldt-Prüfer leitet den Sozialdienst im Klinikum Oldenburg. Sie hilft Eltern von schwer kranken Kindern, den Übergang von der Klinik in das eigene Zuhause zu organisieren. Das klappt nie sofort. Sie erzählt der OZ, warum das für die Familien eine große Belastung ist.

Oldenburg/Ostfriesland - Eltern von schwer kranken Kindern dabei helfen, den Übergang von der Klinik in das eigene Zuhause zu organisieren: Das ist die Aufgabe von Grit Patzwaldt-Prüfer. Sie leitet den Sozialdienst im Klinikum Oldenburg. Ihr Zuständigkeitsbereich ist die Kinderklinik. Im OZ-Interview berichtet sie darüber, welche Hürden Eltern vor dem Start in den Familienalltag nehmen müssen und was sie über das geplante Schutzengel Huus denkt. Die Einrichtung wird von der Diakoniestation Hesel-Jümme-Uplengen in Remels gebaut. Darin sollen Familien wohnen, bis ein ambulantes Pflegeteam für Zuhause aufgebaut ist. Die OZ sammelt mit ihrer diesjährigen Weihnachtsaktion Spenden für den Förderverein des Hauses.

OZ: Sie organisieren die weitere Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt mit. Wie schwer ist es, zeitnah eine ambulante Versorgung sicherzustellen?

Grit Patzwaldt-Prüfer: Das ist ganz schwer. Pflegedienste für Kinder sind Intensiv-Pflegedienste, die über viele Stunden, teilweise bis zu 24 Stunden, die Versorgung der schwerkranken Kinder in den Familien übernehmen. Man kennt ja ambulante Pflegedienste, die für ältere Menschen im Einsatz sind. Die kommen vielleicht für eine Morgentoilette, geben Medikamente, oder ziehen Strümpfe an. Bei den Pflegediensten für Kinder ist es aber so, dass wir sehr schwer kranke Kinder haben, und da brauchen die Eltern einfach eine Entlastung.

Grit Patzwaldt-Prüfer leitet den Sozialdienst im Klinikum Oldenburg. Bild: privat
Grit Patzwaldt-Prüfer leitet den Sozialdienst im Klinikum Oldenburg. Bild: privat

OZ: Oft müssen Familien länger im Krankenhaus bleiben, als es eigentlich nötig wäre, weil eben dieser Pflegedienst noch nicht aufgebaut ist. In wie viel Prozent der Fälle ist das so?

Patzwaldt-Prüfer: Das ist eigentlich immer der Fall. Wenn wir Kinder haben, die nach der Entlassung einen Pflegedienst benötigen, dann müssen die in der Regel immer sehr lange hier warten. Man kann sich vorstellen, wenn ein Pflegedienst beispielsweise eine 24-Stunden-Versorgung sicherstellen muss, wird ganz viel Personal benötigt. Und von daher kann man damit rechnen, dass die Kinder bis zu sechs Monate hier in der Klinik bleiben müssen.

OZ: Klappt das überhaupt mit Blick auf die Kapazitäten im Krankenhaus?

Patzwaldt-Prüfer: Wir müssen die Kapazitäten bereitstellen, weil wir häufig die Kinder nicht ohne entsprechende Unterstützung für die Eltern entlassen können. Aber in Einzelfällen war das in der Vergangenheit auch mal schwierig und dann mussten wir unsere kleinen Patienten in Pflege-Einrichtungen verlegen, die sehr weit weg waren. Wir benötigen hier spezialisierte Einrichtungen für die Intensivpflege bei Kindern und Jugendlichen, davon gibt es in Niedersachsen noch zu wenige. Für die Familien ist es sehr schwer, ihr Kind hier in der Klinik über einen sehr langen Zeitraum zu versorgen. Zu Hause haben sie oft noch andere Kinder, beziehungsweise ein anderes Leben. Die müssen einen Spagat hinkriegen, zwischen Zuhause und dem Kind, das hier in der Klinik versorgt werden muss.

„Ein Herz für Ostfriesland“

Die weihnachtliche Spendenaktion, eine Tradition der Ostfriesen-Zeitung, steht seit ein paar Wochen auf juristisch neuen Beinen. Als 100-prozentige Tochter der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) wurde die vom Finanzamt als mildtätig anerkannte gemeinnützige GmbH „Ein Herz für Ostfriesland“ gegründet. Über deren Konten läuft nun die Spendenaktion. Geschäftsführer der gGmbH ist Uwe Boden, Leiter des Geschäftskundenbereichs der ZGO. Ihm zur Seite steht ein Beirat, besetzt mit Führungskräften der ZGO.

Für Spender und Hilfsempfänger ändert sich dadurch nichts. Wie zuvor gehen 100 Prozent der Spendengelder an die Hilfsbedürftigen. Weiterhin trägt der Verlag alle Verwaltungs- oder sonstigen Kosten. Spendenquittungen dürfen nun allerdings von „Ein Herz für Ostfriesland“ ausgestellt werden. Wir sind nicht mehr auf gemeinnützige Partnerorganisationen angewiesen.

Spendenkonto:

Ein Herz für Ostfriesland gGmbH

IBAN: DE55 2859 0075 0011 1112 00

Ostfriesische Volksbank eG

Stichwort OZ-Weihnachtsaktion 2020

OZ: Bekommen Sie es mit, wie sehr die Eltern das belastet?

Patzwaldt-Prüfer: Ja natürlich. Das ist etwas, das ich ganz viel bespreche. Es ist ja so, dass die Eltern über viele Stunden, wenn nicht sogar den ganzen Tag hier sind. Manche wohnen im Ronald-McDonald-Haus auf dem Klinikgelände, um direkt vor Ort zu sein. Die Eltern sind also sehr intensiv in die Versorgung ihrer Kinder eingebunden. Weil sie das in den allermeisten Fällen so wollen, aber natürlich auch weil es das Konzept unserer Kinderklinik ist, dass die Eltern für die spezialisierte Pflege ihrer Kinder angelernt werden. Wir wissen, dass es für die Kinder ganz, ganz wichtig ist, dass die Eltern da sind. Sie sind für die Kinder die wichtigsten Bezugspersonen. Was für die Familien oft schwierig wird, wenn noch andere Kinder zu versorgen sind. Oder wenn die Eltern einer Berufstätigkeit nachgehen, was dann nicht mehr geht. Es hat natürlich auch finanzielle Konsequenzen, wenn die Eltern jeden Tag hier herkommen, beispielsweise aus Aurich, Emden oder sonst wo. Wir haben ja ein großes Einzugsgebiet und die Kasse übernimmt, wenn überhaupt, auch nur einen kleinen Teil der Fahrtkosten. Für viele Eltern ist das auch ein großer finanzieller Faktor. Oft fällt ein Job weg und sie haben eine Menge Kilometer, die sie mit ihren Autos verfahren, um regelmäßig bei ihrem Kind sein zu können. Häufig sind die Familien ganz zerrissen. Wenn noch Geschwister da sind, leiden diese sehr darunter. Wenn im besten Fall Großeltern da sind, werden die natürlich auch sehr beansprucht, die Geschwisterkinder mitzuversorgen. Oft hängt da wirklich ein ganzen Familiensystem dran.

OZ: Gibt es in so einer Situation eine psychologische Begleitung für die Eltern?

Patzwaldt-Prüfer: Ja. Wir haben Psychologinnen und Seelsorgerinnen hier in der Kinderklinik. Aber das, was die Familien durchmachen, können wir nur ansatzweise auffangen. Also letztendlich brauchen die Eltern praktische Hilfe.

OZ: Praktische Hilfe, wie das geplante Schutzengel Huus?

Patzwaldt-Prüfer: Ja. Ich glaube, dass solche Einrichtungen ganz wichtig sind, um den Übergang von der Klinik nach Hause zu erleichtern. Um vielleicht den Eltern auch eine Alternative zur häuslichen Versorgung aufzuzeigen, um zu zeigen, was noch geht. Weil gerade die stationäre Pflege bei Kindern häufig ein großes Tabuthema ist. Die Familien möchten auch das kranke Kind in ihrer Nähe haben und so weit wie möglich in ihr Familienleben integrieren. Erschwerend kommt dazu, dass viele Eltern auch das Gefühl haben, es sei gesellschaftlich nicht akzeptiert, sein Kind wegzugeben und woanders versorgen zu lassen. Durch den medizinischen Fortschritt leben Kinder mit schweren Erkrankungen immer länger. Und bekanntlich gibt es das große Problem des Pflegenotstandes, dass auch für die Kinderkrankenpflege gilt. Deshalb dauert es so lange, bis die Pflegekräfte die Teams entsprechend aufgestellt haben. Das ist eine große Schere, die sich da öffnet, wenn wir davon ausgehen, dass wir in Zukunft mehr pflegebedürftige Kinder haben, aber immer weniger Personal vorhanden ist. Außerdem sind Eltern durch die gesellschaftliche Entwicklung gleichermaßen berufstätig. Da könnte eine stationäre Pflege die Lücke zwischen dem Personalmangel und den Anforderungen, die die Familien zu bewältigen haben, schließen.

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