Hilfe für die Flutopfer

„Für Wehmut bleibt kaum Zeit“

| | 22.09.2021 13:12 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Brunhildeund Horst Koch in ihrem Wohnzimmer, das jetzt Büro und Aufenthaltsraum für die Handwerker ist. Fotos: Niehus
Brunhildeund Horst Koch in ihrem Wohnzimmer, das jetzt Büro und Aufenthaltsraum für die Handwerker ist. Fotos: Niehus
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In Stolberg laufen die Aufräumarbeiten nach wie vor auf Hochtouren. Zwei Betroffene berichten, was sie zehn Wochen nach der Flutkatastrophe weiterhin motiviert. OZ-Leser können helfen.

Gemeinsam mit der Aachener Zeitung (AZ) sammelt diese Zeitung Spenden für die Flutopfer. Dieser Text ist in der AZ erschienen.

Stolberg - Das monotone Blubbern der Kaffeemaschine wird immer wieder unterbrochen vom Klopfen und Hämmern aus dem Nebenzimmer. „Seit heute sind endlich die Elektriker da“, erklärt Brunhilde Koch den Lärm, der aus der ehe-maligen Küche kommt. Mit einem Lächeln fügt sie hinzu: „Ich hätte sie küssen können!“ Der Besuch der Handwerker bedeutet für sie und ihren Mann Horst einen weiteren Schritt in Richtung Wiederaufbau des Hauses in Vicht.

In direkter Nähe zum Vichtbach – der Garten wird vom Fluss begrenzt – hat das Hochwasser bei Familie Koch großen Schaden angerichtet. Wie so viele in Stolberg und Eschweiler ist sie seit dem 15. Juli mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. Langsam beginnt aber die nächste Phase. „Hier, wo früher das Wohnzimmer war, sind jetzt Büro und Aufenthaltsraum für die Handwerker“, erzählt Brunhilde Koch. Nebenan in der Küche hängen noch einzelne Fliesen an der Wand. Mehr ist von dem Raum, der eine Tür zur Terrasse hin hatte, nicht geblieben.

Die Flut hat den Garten zerstört

„Kurz vor dem Hochwasser haben wir noch draußen gesessen und gesagt, dass jetzt endlich alles so ist, wie wir es uns immer gewünscht hatten“, sagt die 64-Jährige. Sie ist in diesem Haus geboren, hat niemals woanders gewohnt. Ihr Lieblingsplatz befand sich draußen. „Unser Gartenhäuschen war unser Feierraum“, sagt Brunhilde Koch, und ihre Stimmung hellt sich wieder etwas auf. Sie erzählt von vielen Festen, die sie mit Freunden, Bekannten und Nachbarn an diesem Ort erlebt hat. „Feiern hat mich immer aus allem rausgeholt, das war einfach immer schön.“ Im Moment kann die Frau keine Feste im eigenen Garten ausrichten. Die Flut hat das Gartenhäuschen mitgerissen. „Im Kopf tauchen langsam immer mehr Sachen auf, die man nicht mehr hat.“ Immer wieder blitzten Bilder auf, wie alles herausgerissen und weggetragen wurde. Natürlich wollen Brunhilde und Horst Koch vieles wieder aufbauen, auch das Häuschen für die Feiern.

„Aber so wie vorher wird es ja nicht mehr. Das war über Jahrzehnte gewachsen und unser eigen, das andere wird neu“, stellt sie fest. 45 Jahre Arbeit und stetige Weiterentwicklung steckten in dem Haus. Doch für Wehmut bleibe kaum Zeit. Vor allem die unfassbare Unterstützung und Hilfe habe ihnen bisher Kraft gegeben. Am Haus hängt deshalb auch ein großes weißes Banner mit der Aufschrift „DANKE“, das die Familie vor einigen Wochen angebracht hat. „Am Anfang habe ich nur überlegt, wie ich das alles wiedergutmachen kann“, erzählt die 64-Jährige, „aber das geht überhaupt nicht.“ Vielleicht spielt dieser Zusammenhalt auch eine Rolle dabei, dass Brunhilde Koch trotz allem eine unglaubliche Herzlichkeit verbreitet und jedem in ihrem Umfeld ein positives Gefühl vermittelt. In jedem Fall lassen sie und ihr Mann sich nicht unterkriegen. Wann sie wieder in ihr Haus einziehen können, steht zwar noch nicht fest. Aber klar ist: „Dann kommen wir nach Hause.“

„Je mehr Zeit verging, desto mehr Schäden wurden sichtbar“

Ein paar Hundert Meter weiter macht Gisela Moll gerade eine kleine Frühstückspause. Die Gastronomin betreibt das Restaurant Haus Moll, das mittlerweile ebenfalls komplett entkernt ist. „Zwischendurch hatten wir mal gedacht, dass wir einige Dinge retten können. Aber je mehr Zeit verging, desto mehr Schäden wurden sichtbar“, berichtet sie. Das gesamte Lokal sei mit Fußbodenheizung ausgestattet gewesen, auch die Küche war erst vor einigen Jahren modernisiert worden. Zusätzlich zu den verschiedenen Räumen drinnen – Festsaal, Wintergarten, Kneipe, Kegelbahn – hatte das Gasthaus eine rund 2500 Quadratmeter große Parkanlage. Dort standen eine große Hütte, Sitzecken und Sonnenschirme, außerdem gab es einen Spielplatz und eine Grillanlage sowie einen Zaun, der das Grundstück zum Vichtbach hin begrenzte. Auch ein Nutzgarten mit Gemüse zählte zum Eigentum der Familie Moll. „Alles weg“, fasst Gisela Moll die Auswirkungen der Flut kurz und knapp zusammen.

Gisela Moll in ihrem Restaurant: Die Böden sind raus, die Bautrockner laufen.
Gisela Moll in ihrem Restaurant: Die Böden sind raus, die Bautrockner laufen.

Während sie über den Rasen geht, zieht immer wieder ein miefiger Geruch in die Nase. Das Gemisch aus Öl und Fäkalien hat sich in die Wiese gesetzt, bei Wind und Regen wird der Gestank wieder freigesetzt. Bis zu 40 Zentimeter tief haben Handwerker und Helfer an einigen Stellen schon die Erde abgetragen. Auch viele Pflanzen und eine stattliche Kirschlorbeerhecke von 1,60 Meter Höhe sind bereits im Container gelandet. „Der Garten war immer mein Heiligtum. Vieles war nach ein paar Stunden der Flut einfach weg, die meisten anderen Sachen mussten wir in den Tagen und Wochen danach entsorgen“, sagt Moll.

„Das wird ein langer Weg, aber wir schaffen das.“

Aber es gibt auch erste positive Zeichen: Entlang des Weges auf dem Außengelände stehen schon wieder einige kleine Buchenbäume. „Damit kann ich wenigstens irgendwas halten, was ich in den vergangenen 24 Jahren selbstgezogen habe.“ Zeit, die ganze Situation wirklich zu realisieren und darüber nachzudenken, hat die Gastronomin in den vergangenen acht Wochen nicht gehabt. „Manchmal habe ich schon Angst, wie es wird, wenn ich das alles mal begreife. Wie reagiert ein Körper, wie reagiert ein Mensch, wenn er mal Luft holen kann?“

Haus Moll in Vicht: Hinten am völlig zerstörten Bereich der Außengastronomie fließt der Vichtbach.
Haus Moll in Vicht: Hinten am völlig zerstörten Bereich der Außengastronomie fließt der Vichtbach.

Auf die Frage, ob sie denn trotzdem zuversichtlich in die Zukunft blicken kann, wird aus den Sorgenfalten in Molls Gesicht ein leichtes Lächeln. „Ja, mein Mann gibt mir die Kraft“, sagt sie mit Überzeugung. Und schließlich erinnert sie sich daran, wofür sie tagtäglich arbeitet: „Unser Haus war immer sehr gepflegt und mit viel Liebe gemacht. Wir versuchen, das wieder so hinzukriegen. Das wird ein langer Weg, aber wir schaffen das.“

So können OZ-Leser helfen

Seit etwa zwei Monaten läuft die Spendenaktion der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO), zu der auch diese Zeitung gehört. Über das Hilfswerk „Ein Herz für Ostfriesland“, eine Tochter der ZGO, wird Geld für Menschen in Eschweiler und Stolberg gesammelt. Die Orte wurden besonders hart von der Flut getroffen.

Das Spendenkonto lautet: „Ein Herz für Ostfriesland gGmbH“, IBAN: DE 55 2859 0075 0011 1112 00 bei der Ostfriesischen Volksbank eG, Leer. Gespendet werden kann auch hier direkt über Paypal. Jeder einzelne Spenden-Euro geht an die Flutopfer. Die Verwaltungskosten der „Ein Herz für Ostfriesland gGmbH“ werden komplett von der Zeitungsgruppe Ostfriesland getragen. Es gibt keinerlei Verrechnungen oder Abzüge.

Wer nicht möchte, dass sein Name in der Zeitung veröffentlicht wird, muss das bitte auf der Überweisung vermerken. Bis zu einer Spende von 199 Euro erkennt das Finanzamt den Einzahlungsbeleg an. Bei höheren Beträgen können Spendenquittungen ausgestellt werden. Nähere Informationen gibt es per E-Mail.

Weitere Infos zur Aktion gibt es hier.

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