Engagement

Ukrainehilfe Ihlow: Von null auf 100 in vier Wochen

| | 12.04.2022 11:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Ein ukrainischer Spediteur lädt die Spenden aus Ihlow an der Grenze bei Żurawica mit Helfern auf seine Fahrzeuge. Polnische Fahrer bringen sie zu einem Umschlagpunkt in der Ukraine. Foto: Gebers
Ein ukrainischer Spediteur lädt die Spenden aus Ihlow an der Grenze bei Żurawica mit Helfern auf seine Fahrzeuge. Polnische Fahrer bringen sie zu einem Umschlagpunkt in der Ukraine. Foto: Gebers
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Innerhalb von vier Wochen ist in der Gemeinde Ihlow ein Hilfsnetzwerk entstanden. 40 geflüchtete Ukrainer wurden bereits aufgenommen. Auch Hilfskonvois an die polnisch-ukrainische Grenze gibt es noch.

Ihlowerfehn - Freitagabend im Ihlower Rathaus: Schon beim Eintreten ist ein emsiges Stimmengewirr aus dem ersten Stock zu hören. Zu einer Zeit, in der es in anderen Rathäusern still wird und höchstens Reinigungskräfte die Spuren einer arbeitsreichen Woche beseitigen, ist der Sitzungssaal in Ihlowerfehn bis auf den letzten Platz besetzt. Es ist das zweite Treffen der Ehrenamtlichen der Ukrainehilfe Ihlow. Vor vier Wochen haben sie das erste Mal zusammengesessen, seitdem ist viel passiert. 40 ukrainische Kriegsflüchtlinge haben die Helfer in dieser Zeit langfristig untergebracht. Überwiegend Frauen mit Kindern. Sie sind über private Initiativen hierhergekommen. Einige von ihnen hatte Bürgermeister Arno Ulrichs (parteilos) mit der Feuerwehr am Emder Bahnhof abgeholt.

Was und warum

Darum geht es: Die Gemeinde Ihlow bündelt ihre Kräfte für ukrainische Flüchtlinge.

Vor allem interessant für: Helfer und alle, die gerne helfen möchten

Deshalb berichten wir: Das Engagement ist beispiellos: Innerhalb von vier Wochen ist aus Fremden ein Team geworden, das Wege sucht, seine Schlagzahl die Krise über durchzuhalten und weitere Flüchtlinge aufzunehmen.

Die Autorin erreichen Sie unter: n.boening@zgo.de

Der offizielle Weg

Später bat der Landkreis Aurich darum, keine Flüchtlinge mehr auf eigene Faust in die Region zu holen. Schließlich gebe es den offiziellen Weg über das Drehkreuz Hannover-Laatzen und die Aufnahmestelle Utlandshörn des Landkreises. Seitdem wartet man in Ihlow auf Zuweisungen, die nicht kommen. „Wir stecken in einem Zwiespalt“, sagt Ulrichs. „Auf der einen Seite sagen die Kontakte an der Deutschen Botschaft in Warschau: ‚Hört nicht auf.ʽ Auf der anderen Seite sollen wir abwarten.“

Die Helfer in Ihlow lassen sich davon nicht beirren. Sie richten weiter Wohnungen her, kümmern sich um die bereits Angekommenen, suchen mit ihnen Lösungen für die Herausforderungen des Alltags. Sie organisieren Spendenaktionen: Kleidung, Lebensmittel, Fahrräder. Jeder hat seine Aufgaben. Zusammengehalten und koordiniert werden die Aktionen über WhatsApp. Es gibt eine Gruppe für die Paten, eine für die Fahrer, die mit den Geflüchteten zu den Terminen gehen. Jetzt gibt es auch eine für die Beschaffung von Möbeln. Dafür braucht man Energie, denn der Gebrauchtmöbelmarkt ist inzwischen wie leer gefegt.

Der Spediteur Igor (gelbe Jacke) ist einer der wichtigsten Ansprechpartner für die Spenden aus Ihlow geworden. Foto: Gebers
Der Spediteur Igor (gelbe Jacke) ist einer der wichtigsten Ansprechpartner für die Spenden aus Ihlow geworden. Foto: Gebers

Aus Fremden wurde ein Team

Noch etwas ist in der Zwischenzeit passiert. Davon spricht Andrea Jeschke, die an diesem Abend den Austausch zwischen den Helfern leitet: „Wir waren alle Fremde und sind jetzt zu einem richtigen Team geworden.“ Die etwa 50 Anwesenden sind überwiegend Frauen – gemeinsam haben sie die Kleinanzeigen nach Möbeln durchforstet, Wohnungen ausgestattet, alles für die Gäste vorbereitet. Einige haben bereits Flüchtlinge aufgenommen, manche im eigenen Zuhause. Es gibt Paten, die sich darum kümmern, den Neuen in der Gemeinde den Weg in den Alltag zu erleichtern. Ein Deutschkursus an der Hermann-Tempel-Schule IGS Ihlow ist bereits gestartet. Eine Kleiderkammer wurde im Awo-Heim eingerichtet. So viel ist in so kurzer Zeit passiert – und das war noch lange nicht alles.

Mit vollen Fahrzeugen geht es von Ihlow an die polnische Grenze zur Ukraine. Foto: Gebers
Mit vollen Fahrzeugen geht es von Ihlow an die polnische Grenze zur Ukraine. Foto: Gebers

Ein Monat wie ein Jahr

„Wenn man an den Anfang zurückdenkt, fühlt es sich eher an, als wäre ein halbes Jahr vergangen, nicht erst ein Monat“, sagt Jeschke. Deshalb ist es wichtig, sich über diese Erfahrungen auszutauschen. Die Helfer müssen wissen, wie sie selbst Hilfe bekommen. Wichtig vor allem: Flüchtlinge, die nicht über die offiziellen Wege in den Landkreis gekommen sind, müssen registriert werden. Erst dann bekommen sie Geld. Damit auch in der Zwischenzeit Nahrungsmittel gekauft werden können, wurden Spenden gesammelt. Kaum gab es ein Problem, war die Lösung nicht weit. Bisher wurde in der Eile vieles privat gezahlt. Jetzt beginnen die Helfer über „Ein Herz für Ostfriesland“ der Zeitungsgruppe Ostfriesland ihren Aufwand für Verpflegung und Möbel auszugleichen. Dadurch kann die eiserne Reserve der Gemeinde-Spendenaktion für andere Dinge genutzt werden. Viele Flüchtlinge wohnen kostenlos. Jetzt geht es um die Nebenkosten und wie man dafür einen Ausgleich vom Landkreis bekommt. Vieles ist zu bedenken.

Die Spenden für das Kinderkrankenhaus in Dubno werden in dieser Garage an der Grenze zwischengelagert. Foto: Gebers
Die Spenden für das Kinderkrankenhaus in Dubno werden in dieser Garage an der Grenze zwischengelagert. Foto: Gebers

Die Taktzahl halten

Die Erkenntnisse der ersten Wochen werden gesammelt, Aufgaben auf weitere Schultern verteilt. Nach und nach sollen alle wichtigen Informationen auf der Webseite der Gemeinde für alle Helfer verfügbar sein. Wo gibt es Ärzte, mit denen sich die Geflüchteten verständigen können? Welche Unterlagen sind für einen Arztbesuch notwendig? Wo gibt es Sprachkurse und wann? Seit Montag hat die Verwaltung für den Austausch eine Infoseite auf der Gemeinde-Homepage angelegt (https://www.ihlow.de/ukrainehilfe/). Alles greift ineinander. Obwohl viele bereits helfen, werden weitere Helfer dringend gesucht. „Wir brauchen mehr Leute, um die Schlagzahl halten zu können“, mahnt Andrea Jeschke. „Niemand von uns weiß, wie lange es dauert, vielleicht Monate oder Jahre.“ Sie macht sich Sorgen, denn der Druck auf manche ist groß. Gebraucht werden deshalb Helfer, die Anpacken und Möbel schleppen oder Fahrdienste übernehmen können. Das Geld für den Sprit wird aus dem Spendentopf der Gemeinde erstattet.

Das Team des ukrainischen Spediteurs, das vor der Grenze Hilfsgüter für die Ukraine in Lastwagen verstaut – nur mit Muskelkraft. Foto: Privat
Das Team des ukrainischen Spediteurs, das vor der Grenze Hilfsgüter für die Ukraine in Lastwagen verstaut – nur mit Muskelkraft. Foto: Privat

Was ist mit den Kindern?

Die meisten ukrainischen Frauen sind mit Kindern nach Ihlow gekommen. Viele gehen hier bereits zur Schule. Einige Frauen haben bereits Arbeit gefunden. Nur mit den Kita-Plätzen klappt es nicht so. Eine Lösung für die ohnehin schon überlasteten Kindertagesstätten wird dringend gesucht. „Wir werden zusammenrutschen müssen“, so Arno Ulrichs. Auch wenn es die Erzieherinnen in der Pandemie schon schwer haben. Es gibt Treffpunkte für Geflüchtete: ein Sonntagscafé im Sand- und Waterwerk Simonswolde. In der gesamten Gemeinde wurden die Kapazitäten hochgefahren. Der Bauhof übernimmt die Versorgung und Reparatur von Fahrrädern, die IT der Verwaltung springt ein, wenn WLAN in den Flüchtlingswohnungen eingerichtet werden soll. Dienst nach Vorschrift gibt es hier seit vier Wochen nicht mehr.

Noch immer kommen Flüchtende an die polnische Grenze zur Ukraine. Jetzt kommen sie vor allem aus den umkämpften Gebieten. Foto: Gebers
Noch immer kommen Flüchtende an die polnische Grenze zur Ukraine. Jetzt kommen sie vor allem aus den umkämpften Gebieten. Foto: Gebers

Nächste Spendentouren geplant

Wer in diesem Trubel zur Ruhe kommt, wird nachdenklich. Bei Gesprächen über das Leid der Geflüchteten, die Schicksale und die zurückgelassenen Männer wandert dieser Kloß in den Hals. Tief einatmen, ausatmen und die Schlagzahl halten. Manchmal werden die Augen rot und etwas feucht. Vor allem bei denen, die noch immer an die Grenze fahren, Hilfsgüter übergeben, auf dem Rückweg Ukrainer mitnehmen und zu ihren Verwandten, Bekannten oder Freunden bringen.

„Nach der zweiten Tour wollte ich eigentlich aufhören“, sagt Jens Gebers: „Was man dort mitbekommt, nimmt einen vor allem emotional stark mit.“ Kinder, die allein über die Grenze kommen und verzweifelt in den Flüchtlingscamps warten. Da war diese Frau, die ihr Kind im Camp bekommen hatte und nicht mit in das beschauliche Ihlow reisen durfte, weil das zwei Tage alte Baby keine Papiere besaß. Gebers fährt trotzdem wieder hin. Am Donnerstag geht es zu einem Übergabepunkt für ein Kinderkrankenhaus in der ukrainischen Stadt Dubno. Dafür braucht er noch stilles Wasser, Lebensmittel, Babynahrung, Fiebersaft und jede Menge Medikamente (Kontakt 0176/40473901). Nach Ostern ist eine weitere Tour für ein kleines Dorf nahe Chmelnyzkyi geplant. „Der Kontakt kam über eine Ukrainerin zustande, die bei uns in Ihlow untergekommen ist“, so Gebers. Ein älterer Mann holt die Hilfsgüter an der Grenze ab. Er ist über 60 Jahre alt und darf ausreisen. „Es ist bewegend zu sehen, wie viele an der Grenze noch immer helfen. Die Menschen kommen ganz aus Schweden, Spanien und vielen anderen Ländern.“ Auch in Ihlow läuft die Hilfe weiter. Hier nimmt man Anlauf für die nächsten vier Wochen. Gesprochen wird wieder am Freitag, 6. Mai, um 16 Uhr. Sie sind bereit, sich auf viele weitere Treffen einzustellen – wenn es sein muss.

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