Ostfrieslands Politiker trauern Ex-Staatschef „Wir sind Gorbatschow zu großem Dank verpflichtet“

Petra Herterich
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Von Petra Herterich
| 31.08.2022 18:06 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Michail Gorbatschow, der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef ist tot. Er starb am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren in Moskau. Foto: Armin Weigel/dpa
Michail Gorbatschow, der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef ist tot. Er starb am Dienstagabend im Alter von 91 Jahren in Moskau. Foto: Armin Weigel/dpa
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Die Trauer um Michail Gorbatschow ist groß. Einer der Menschen, die ihn persönlich kannten, ist der Papenburger und damalige Kanzleramtschef Rudolf Seiters. Er erinnert sich gern an „Gorbi“.

Moskau/Ostfriesland - Weltweit wird um den russischen Friedensnobelpreisträger und ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow getrauert. Zu den deutschen Politikern, die „Gorbi“, wie er oft genant wurde, auch persönlich kannten, gehört der Papenburger CDU-Politiker Rudolf Seiters. Er war in den Zeiten der Wiedervereinigung Chef des Bundeskanzleramtes. Seiters besitzt ein Foto, das ihn zusammen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem jetzt verstorbenen Gorbatschow zeigt – und es trägt dessen persönliche Widmung. „Dieses Foto symbolisiert alles, was ich für wichtig halte im politischen Leben: Vertrauen und Verlässlichkeit. Ich bin fest überzeugt davon, dass ohne ein solches Vertrauensverhältnis zwischen Helmut Kohl und Michail Gorbatschow eine Wiedervereinigung in solcher Schnelligkeit nicht möglich gewesen wäre“, sagt Rudolf Seiters auf Nachfrage unserer Zeitung. Die Bundesrepublik Deutschland und wir alle seien Gorbatschow „zu ganz, ganz großem Dank verpflichtet“. „Es wäre zu wünschen, dass auch in Russland das Andenken an Michail Gorbatschow in einer würdigen Form begangen wird. Er ist ein weltweit anerkannter und gewürdigter Staatsmann, der in einer sehr schwierigen Situation seines Landes zu einem bestimmten Zeitpunkt die richtigen und mutigen Entscheidungen auch im Interesse Deutschlands getroffen hat.“

Prägende Persönlichkeit für jüngere Generation

Auch für die jüngere Generation ist Gorbatschow Vorbild, wie etwa für Julian Pahlke (30), Bundestagsabgeordneter der Grünen aus Leer. „Dass meine Generation in einer vereinten Bundesrepublik aufwachsen konnte, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern der große Verdienst von Michail Gorbatschow. Durch seine zahlreichen Interviews und seine rege Teilnahme an der Weltpolitik war er auch für mich eine prägende Persönlichkeit.“

Für die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann (Hesel) steht fest: „Michail Gorbatschow hat die Welt verändert. Er stellte die Weichen für das Ende des Kalten Krieges. Er öffnete das Tor zur Deutschen Einheit.“ Doch Gorbatschow habe auch eine andere Seite gehabt. „Bis zuletzt versuchte er – auch mit Gewalt –, das Sowjetreich zusammenzuhalten. Die Dominanz Russlands in der Sowjetunion stellte er nie in Frage.“

„Wer zu spät kommt, . . .“

Für Johann Saathoff (SPD, Pewsum) Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, ist „natürlich der an Erich Honecker gerichtete Satz ,Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben‘ – obwohl der so wohl nicht wörtlich gefallen ist – unvergessen“. „Gorbatschow war ein bedeutender Staatsmann.

„Dankbarkeit“ sei das Gefühl, das in Deutschland bleiben werde, wenn man an Michail Gorbatschow denke. Davon ist Connemann überzeugt. In Russland sehe man den ehemaligen sowjetischen Staatschef nach Meinung von Saathoff, „zu Unrecht leider viel kritischer“ als im Westen.

Noch keine Entscheidung über Staatsbegräbnis

Am Mittwoch gab es in Russland zunächst noch keine Entscheidung darüber, ob ein Staatsbegräbnis vorgesehen ist, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Nachrichtenagentur Interfax. Dies hänge auch von den Wünschen der Angehörigen und Freunde ab. Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der größtenteils gekappten Flugverbindungen gilt es zudem als unklar, ob überhaupt internationale Gäste zu einer Beerdigung nach Moskau kommen würden.

Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte Gorbatschow als mutigen Reformer. „Deutschland verneigt sich vor ihm“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter. „Er stirbt in einer Zeit, in der Russland neue Gräben durch Europa und neue Grenzen ziehen will – und die Ukraine überfallen hat.“ Nach der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin fügte Scholz hinzu: „Ich hoffe, dass der russische Staat seinem früheren Staats- und Regierungschef die Ehre erweist, die ihm gebührt.“

Kurzes Beileid von Putin

Russlands Staatschef Wladimir Putin fand in einem vom Kreml veröffentlichten, kurz gehaltenen Beileidstelegramm an die Angehörigen lobende Worte für Gorbatschows Reformanstrengungen und seinen humanitären Einsatz. „Michail Gorbatschow war ein Politiker und Staatsmann, der gewaltigen Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausgeübt hat“, schieb der Kremlchef.

Der im Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny würdigte Gorbatschow auf Twitter als „herausragenden Mann“. Von dessen Tod habe er über die Lautsprecher in den Gefängniszellen erfahren.

Merkel würdigt den „Weltpolitiker“

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Gorbatschow als „einen einzigartigen Weltpolitiker“ gewürdigt. „Michail Gorbatschow hat auch mein Leben grundlegend verändert. Ich werde das nie vergessen“, erklärte Merkel, die in der DDR aufgewachsen ist. Der ehemalige DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz hingegen hat den verstorbenen Gorbatschow als einen „verlorenen Freund“ bezeichnet. Er sei ein Mann gewesen, „der Gutes wollte, aber letztlich zur Zerstörung der Sowjetunion und zur deutschen Einheit hinter dem Rücken der DDR beitrug“, schrieb Krenz.

Der damalige Kanzleramtschef Rudolf Seiters bewertet Gorbatschow und die damalige Situation ganz anders als Krenz. „Es bleibt das Verdienst von Gorbatschow, dass er die Klarsicht und den Mut hatte, aus der Existenzkrise des sozialistischen Systems die Konsequenz einer fundamentalen Reformpolitik zu sehen. Dabei setzte er Entwicklungen in Gang, die über seine zunächst begrenzten Ziele hinweggegangen sind, wie die Wiedervereinigung“, erklärt Seiters.

Dafür sind auch die jüngeren Bundesbürger Gorbatschow dankbar. „Dass meine Generation in einer vereinten Bundesrepublik aufwachsen konnte, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern der große Verdienst von Michail Gorbatschow“, sagt Julian Pahlke (39), Bundestagsabgeordneter der Grünen aus Leer. „Ich empfinde es als Privileg, dass meine Generation ihn erleben und so ein eigenes, enges Verhältnis zur Geschichte der Sowjetunion und den friedlichen Revolutionen (...) in der DDR, bekommen konnte.“

Mit Material von DPA

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