„Hier bin ich“ Die Emder Kunsthalle legt neuen Schwerpunkt auf Frauen

| | 05.05.2023 15:30 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
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Die wissenschaftliche Direktorin der Kunsthalle, Lisa Felicitas Mattheis, steht neben einem Werk von Mehtap Baydu. Die Künstlerin konzentriert sich eigenen Angaben auf ihrer Website nach auf Geschlechterrollen, sensible religiöse und politische Themen in multikulturellen Kontexten. Fotos: Hanssen
Die wissenschaftliche Direktorin der Kunsthalle, Lisa Felicitas Mattheis, steht neben einem Werk von Mehtap Baydu. Die Künstlerin konzentriert sich eigenen Angaben auf ihrer Website nach auf Geschlechterrollen, sensible religiöse und politische Themen in multikulturellen Kontexten. Fotos: Hanssen
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Die neue Ausstellung zeigt nur Werke von Künstlerinnen. Es sei ein Paukenschlag und eine Korrektur, sagt die wissenschaftliche Direktorin. Nur fünf Prozent der Sammlungswerke sind von Frauen.

Emden - Eine halbnackte Frau bürstet sich mit viel Elan die Haare. Sie stöhnt, grunzt und ächzt. Ihre Stimme hallt so laut durch den Saal der Kunsthalle, dass Kuratorin Lisa Felicitas Mattheis sich mit ihren Ausführungen schwer Gehör verschaffen kann. Und obwohl die Szene ein wenig grotesk wirkt, stimmt sie gut auf die neue Ausstellung in dem Kunstmuseum ein: „Hier bin ich“ nennt sich diese und will ein „Paukenschlag“ sein, wie die wissenschaftliche Direktorin Mattheis sagt.

Die Performance-Künstlerin Marina Abramović bürstet sich in einem Video lautstark die Haare.
Die Performance-Künstlerin Marina Abramović bürstet sich in einem Video lautstark die Haare.

Nur etwa zehn Prozent der in der Kunsthallen-Sammlung vertretenen Kunstschaffenden sind Frauen und sie haben nur etwa fünf Prozent, also rund 1700, der gesammelten Werke geschaffen. Und damit stehe die Emder Kunsthalle sogar noch gut da im Vergleich zu anderen Museen, sagt die Direktorin. Bewusst hätten sie sich bei der aktuellen Ausstellung, die rund 30 Künstlerinnen wie die stöhnende Haarbürsterin Marina Abramović in dem Video an der Wand zeigt, für die Bildgattung Selbstporträt entschieden. Die Frauen stellen sich selbst so dar, wie sie von anderen gesehen werden wollen oder wie sie sich selbst sehen. Es bricht mit der jahrhundertealten Tradition, dass Frauen als passive Musen, also als Objekte, von den „aktiven Erschaffern“, den Männern, gemalt wurden, so Mattheis.

Die Künstlerin Katharina Sieverding hat in ihrem Werk „Die Sonne um Mitternacht“ ihr vergoldetes Gesicht in großem Format abgebildet und reiht sich damit in die Tradition der Herrscherabbildungen wie etwa von Pharaonen ein.
Die Künstlerin Katharina Sieverding hat in ihrem Werk „Die Sonne um Mitternacht“ ihr vergoldetes Gesicht in großem Format abgebildet und reiht sich damit in die Tradition der Herrscherabbildungen wie etwa von Pharaonen ein.

Viele Herausforderungen für Frauen noch heute aktuell

Viele der etwa 80 ausgestellten Selbstbildnisse, die ab diesen Samstag in der Kunsthalle angeschaut werden können, waren in ihrer Entstehungszeit provokant - und sind es auch noch heute. Als ein Beispiel nennt die Kuratorin Mattheis die polnische Künstlerin Ewa Partum. Auf ihrem Selbstporträt von 1974, das die eine Hälfte ihres Gesichts jung und die andere Hälfte gealtert zeigt, steht der Spruch „My problem is a problem of a woman“ (übersetzt: Mein Problem ist ein Problem einer Frau).

„My problem is a problem of a woman“ (übersetzt: Mein Problem ist ein Problem einer Frau) steht auf Ewa Partums Werk von 1974. Der Spruch wurde 2020 auch auf Banner für eine Demonstration gegen verschärfte Abtreibungsgesetze in Polen gedruckt, erklärte Kuratorin Lisa Felicitas Mattheis.
„My problem is a problem of a woman“ (übersetzt: Mein Problem ist ein Problem einer Frau) steht auf Ewa Partums Werk von 1974. Der Spruch wurde 2020 auch auf Banner für eine Demonstration gegen verschärfte Abtreibungsgesetze in Polen gedruckt, erklärte Kuratorin Lisa Felicitas Mattheis.

Partum spricht damit in diesem Fall auf den Anspruch der Gesellschaft und auch von der Frau an sich selbst an, dass Frauen immer jung und schön aussehen müssen. Diese Erwartungshaltung gebe es auch oder besonders heute im Zeitalter von Selfies und Social Media, so Mattheis. Partums Spruch lasse sich aber auf viele Bereiche anwenden: Beispielsweise sei er auf Banner gedruckt worden, als viele Menschen in Polen 2020 gegen eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze protestiert haben.

Neue Talkrunde am langen Kunstabend

Die ganz unterschiedlichen Werke beschäftigen sich unter anderem mit den Themen Selbstbehauptung, Identität und Maskeraden, (spöttische) Imitation des männlichen Selbstverständnisses, Beziehungen und Mutterschaft. Zu sehen sind Video-Performances, Skulpturen, Gemälde, Kollagen, Zeichnungen und anderen künstlerischen Formen und Medien. Auch die aktuellsten Käufe für die Kunsthallen-Sammlung sind von Künstlerinnen, so Mattheis. Das bedeute jedoch nicht, „dass wir keine Männer oder non-binäre Personen ankaufen und ausstellen, sondern dass wir uns unserer Rolle als kultureller Speicher in einer offenen, diversen Gesellschaft bewusst sind“, heißt es in der Presseinformation zur Ausstellung.

Ulrike Rosenbach zeigt sich in ihrem Selbstbildnis als Cowboy. Sie ist auch auf dem Trafo-Häuschen vor der Kunsthalle abgebildet.
Ulrike Rosenbach zeigt sich in ihrem Selbstbildnis als Cowboy. Sie ist auch auf dem Trafo-Häuschen vor der Kunsthalle abgebildet.

Der Rundgang durch die Ausstellung wird komplettiert mit ausgewählten Werken von Künstlerinnen aus der Kunsthallen-Sammlung. Parallel präsentiert die Kunsthalle den abstrakten Künstler Jan Pleitner mit der Ausstellung „Jenseits der Leere“ (6. Mai bis 17. September) sowie eine Auswahl von Meisterwerken der Klassischen Moderne aus der Sammlung der Kunsthalle Emden.

Die wissenschaftliche Direktorin Lisa Felicitas Mattheis stellte Künstler Jan Pleitner vor. Speziell für die Ausstellung seiner Arbeiten im Atrium hat er ein großformatiges Werk geschaffen, das das größte ist, das jemals in der Kunsthalle ausgestellt wurde.
Die wissenschaftliche Direktorin Lisa Felicitas Mattheis stellte Künstler Jan Pleitner vor. Speziell für die Ausstellung seiner Arbeiten im Atrium hat er ein großformatiges Werk geschaffen, das das größte ist, das jemals in der Kunsthalle ausgestellt wurde.

→ Die Kunsthalle, Hinter dem Rahmen 13, ist Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr geöffnet sowie dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr. Montags ist das Museum geschlossen. An jedem ersten Dienstag im Monat gibt es den langen Kunstabend. Dann kann man bis 21 Uhr in die Ausstellungen. Ab 17 Uhr ist der Eintritt frei. Am 6. Juni ab 19 Uhr kann das erste Mal das Format „Auf ein Bier mit…“ besucht werden. Der erste Talk-Gast ist Jan Pleitner.

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