Zum Anhören, Nachlesen und Mitfeiern Immer und überall verfügbar – der demenzsensible Gottesdienst

Dorothee Hoppe
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Von Dorothee Hoppe
| 02.06.2023 13:34 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Die Audio-Andacht für Demenzerkrankte ist nicht nur online abrufbar. Foto: Hoppe
Die Audio-Andacht für Demenzerkrankte ist nicht nur online abrufbar. Foto: Hoppe
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Wenn Menschen nicht in den Gottesdienst kommen können, kommt der Gottesdienst eben zu den Menschen. Was steckt hinter „Eine Viertelstunde für Gott“ vom Auricher Kirchenkreis?

Aurich - Kirchenglocken ertönen. Bläser spielen das Lied „Du bist meine Zuflucht und Stärke“. Dann beginnt Pastorin Sibylle Mau zu sprechen: „Die Glocken haben geläutet. Sie haben uns gerufen: Gottesdienst!“ Doch es ist kein Gottesdienst in der Kirche – und er dauert auch nicht so lange. „Eine Viertelstunde für Gott“ heißt das Projekt der Pastorin, die seit Februar als Altenseelsorgerin des Kirchenkreises Aurich arbeitet.

Was und warum

Darum geht es: ein Gottesdienst-Format zum Anhören für zu Hause, egal wann.

Vor allem interessant für: Menschen, die nicht mehr so mobil sind, aber gerne Gottesdienst feiern würden, für Pflegende und Angehörige von Demenzkranken

Deshalb berichten wir: Das Projekt der Altenseelsorge des Kirchenkreises läuft seit einigen Wochen. Wie wird es angenommen?

Die Autorin erreichen Sie unter: d.hoppe@zgo.de

Es ist eine kurze Andacht, die Mau vertont hat. Ein Impuls der besonderen Art, denn er richtet sich vor allem an Menschen mit Demenz. „Die Anzahl der Demenzerkrankten nimmt zu. Viele leben noch zu Hause und werden dort von der Familie bereut“, sagt die Altenseelsorgerin. Für diese Menschen seien die Gottesdienste im Fernsehen „zu lang und zu anspruchsvoll“. Die Audio-Andachten hingegen seien extra „demenzsensibel“ gestaltet. „Das bedeutet, dass ich auf das eingehe, was sie noch können, und versuche, sie auf Erinnerungsinseln zu führen“, erklärt Mau.

Wie es zu den Aufnahmen kam

Bevor Sibylle Mau in die Altenseelsorge gewechselt ist, war sie als Pastorin in Gemeinden unterwegs. „Während Corona habe ich Audio-Andachten aufgenommen und sie per Whatsapp verschickt“, erzählt sie. Jeden Sonntag gingen diese Impulse an rund 200 Menschen. Diese leiteten die Dateien weiter – teils in ganz Deutschland. „Da erreicht man Menschen, die man sonst gar nicht erreicht hätte. Konfirmanden haben mir zum Beispiel erzählt, dass sie das auf ihrem Handy zur Teestunde mit den Großeltern mitgebracht und gemeinsam gehört haben“, erinnert sie sich. Andere hätten es beim Sport gehört und „bei vielen lag ich quasi mit im Bett, weil sie es vor dem Einschlafen angehört haben“, sagt Mau und lacht.

Pastorin Sibylle Mau ist seit Februar Altenseelsorgerin des Auricher Kirchenkreises. In diesem Rahmen nimmt sie auch demenzsensible Gottesdienste auf. Foto: privat
Pastorin Sibylle Mau ist seit Februar Altenseelsorgerin des Auricher Kirchenkreises. In diesem Rahmen nimmt sie auch demenzsensible Gottesdienste auf. Foto: privat

Der Grundgedanke für die demenzsensiblen Aufnahmen sei also eine Corona-Idee. Über die Audio-Dateien habe sie sich in der Corona-Zeit dann auch mit ihrem Mann, der zu dem Zeitpunkt schon Altenseelsorger in Rhauderfehn war, ausgetauscht. „‚Eine Viertelstunde für Gott‘ war sozusagen unsere Co-Produktion, die ich dann mit dem Wechsel in die Altenseelsorge für den Kirchenkreis Aurich übernommen habe“, erklärt die Pastorin. Denn die Arbeit der Altenseelsorge funktioniere im Verbund. „Gemeinsam mit den Kirchenkreisen Rhauderfehn und der Stadt Leer überlegen wir, wie Seniorenarbeit in Ostfriesland aussehen kann.“

In der Kürze liegt die Würze

Es sei wichtig, solche Ideen auszuprobieren, denn: „Als Kirche müssen wir neue Räume entdecken. So ein Angebot ist zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort verfügbar“, sagt Mau. Außer dem Angebot für Demenzerkrankte gebe es eine wöchentliche Audio-Andacht, in der es um Bibeltexte und moderne Auslegungen gehe.

Der Unterschied von „Eine Viertelstunde für Gott“ dazu sei, dass das Format „darauf ausgelegt ist, dass demenziell Erkrankte besser folgen können“, so Mau. Das soll durch kürzere Redebeiträge, die Ansprache der Sinne und leichte, vertraute Sprache gelingen. Außerdem gebe es mehr Musik, zum Beispiel „Großer Gott, wir loben dich“ und „Von guten Mächten“: „Viele Klassiker mit Wiedererkennungswert“, meint die Altenseelsorgerin, die diese Impulse seit Ende März gestaltet. Die vertonten Lieder stammen aus dem evangelischen Gesangbuch und dem christlichen Liederbuch „Freitöne“.

Immer und überall verfügbar

Die Aufnahmen können auf der Webseite abgerufen werden. „Seit März gibt es fast 1000 Seitenaufrufe auf der Homepage. Bedarf oder Neugier ist also da“, schließt die Pastorin. Wer im Internet nicht lange suchen will, kann auch einen QR-Code nutzen. Dieser befindet sich auf den Flyern zu dem Projekt. Damit geht Sibylle Mau zum Beispiel in Pflegeheime, stellt „Eine Viertelstunde für Gott“ vor und hängt die QR-Codes dort auf. Pflegekräfte oder Angehörige können den Code mit ihrem Handy scannen und zu den Menschen auf ihr Zimmer mitnehmen. „Eine Mitarbeiterin der Awo in Großefehn sagte zu meinen Flyern: ‚Wie modern und praktisch ist das denn!‘. Das hat mich erstmal sehr gefreut und mir bestätigt, dass da Handlungsbedarf ist“, erzählt die Altenseelsorgerin.

„Es trifft eine Lücke zwischen Gottesdiensten in Heimen und Pflegeeinrichtungen. Die sind zu einer bestimmten Uhrzeit. Dann ist die Person vielleicht noch nicht fertig, möchte aber gerne teilhaben. Die Aufnahme ist 24 Stunden verfügbar“, sagt sie. Außerdem gibt es für alle, die keinen Internetzugang haben, die Möglichkeit, eine Festnetznummer anzurufen (04956/4094716). „Das Andachtstelefon gestaltet der Verbund der Kirchenkreise gemeinsam, damit die Menschen hier auch immer wieder andere Stimmen hören können“, sagt sie. „Die Aufnahme kann ein guter Impuls sein, wenn man vielleicht nicht weiß, worüber man reden soll. Die Andacht kann ein guter Gesprächseinstieg sein, weil sie Erinnerungen hervorrufen kann. Auch in der Gruppenbetreuung kann sie eingesetzt werden.“

Die Themen der kurzen Gottesdienste zum Anhören orientieren sich zum einen am Kirchenjahr. Zum anderen geht es um Themen, die die älteren Menschen bewegen. „Demnächst möchte ich mich zum Beispiel über den Umzug in ein Heim und das damit verbundene Loslassen und Einlassen sprechen“, verrät Mau.

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