Wattwandern und Klima „Ein Spaziergang über den Meeresboden“

| | 12.06.2023 14:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Dann kommt das Wasser doch ganz schön schnell. Foto: Oltmanns
Dann kommt das Wasser doch ganz schön schnell. Foto: Oltmanns
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Wie sieht eigentlich ein Wattwurm aus? Wie schnell gräbt sich eine Muschel ein? Was eine Führung durch das Greetsieler Watt alles bietet und warum es sich lohnt, den Nationalpark zu Fuß zu entdecken.

Krummhörn - Dort, wo die Außenems in die Nordsee mündet, im Westen die niederländische Küste, wo man die Leuchttürme von Borkum in der Ferne erahnen kann und auf der anderen Seite des Wassers und Schlicks die Windräder bei Eemshaven drehen sieht, neben dem Campener Leuchtturm, gleich hinterm Deich beim Kiosk „Watt‘n Blick“ haben ein paar Schwalben ihr Nest unters Dach gebaut. Aufgeregt zwitschern die Vögel, denn es sammeln sich immer mehr Menschen vor dem Gebäude. Die berüchtigte steife Brise nimmt den Sonnenstrahlen die Kraft, der Deich liegt verlassen da und die Nordsee ist weg. Also perfekte Bedingungen für die Gruppe an Menschen, die sich von Maria Diekmann über die schlickige Ebene des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer führen lassen wollen. Was es dort alles zu entdecken gibt und wie lange man den Nationalpark noch auf diese Weise genießen kann, sind Dinge, die auf der Führung geschildert werden.

Was und warum

Darum geht es: Watt, Wattführungen und Klimakrise

Vor allem interessant für: Touristen und Ostfriesen, die noch eine Idee für den Urlaub suchen und sich für die Auswirkungen der Klimakrise direkt an unserer Küste interessieren

Deshalb berichten wir: Das Wattenmeer gehört zu Ostfriesland, wie der Kluntje in den Tee. Wir sind mal durch den Nationalpark mitgewandert und berichten von der Wattführung, um Lust auf mehr zu wecken.

Die Autorin erreichen Sie unter: j.oltmanns@zgo.de

Zunächst wird noch mal das Schuhwerk überprüft, dann wird das Wissen der Kinder über Ebbe und Flut geprüft. Neben Urlaubern aus ganz Deutschland sind noch einige Familien dabei, die aus Baden-Württemberg oder Bayern ihre Pfingstferien genießen. Die Kinder aus dem Süden schlagen sich ganz gut bei den Fragen zu den Tiden, können es aber kaum abwarten, dann auch endlich in den Schlick zu gehen.

Nationalpark seit fast vierzig Jahren

Das Wattenmeer an sich ist noch recht jung: „gerade mal 8000 bis 10.000 Jahre“, erzählt Diekmann. „Im Vergleich zum Grand Canyon ist das nur ein Wimpernschlag.“ Seit 1986 gibt es schon den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, so Diekmann weiter. Seit 2009 sind die niederländischen und deutschen Teile des Wattenmeeres Unesco-Weltnaturerbe. Das bedeutet: „dass Menschen hier größtenteils nicht eingreifen. Es gibt ein Zonierungskonzept, nach dem 60 Prozent des Wattenmeeres Ruhezone sind. Also Bereiche, die man nicht betreten darf“, sagt die Wattführerin.

Dann kommt das Wasser doch ganz schön schnell. Foto: Oltmanns
Dann kommt das Wasser doch ganz schön schnell. Foto: Oltmanns

Ungefähr 38 Prozent gelten als Zwischenzone, das bedeutet, dass hier nur während der Brutzeit Einschränkungen gelten. Wegen des Artenschutzes soll von Anfang April bis Mitte Juli das Gebiet nicht betreten werden. „Wie nah denkt ihr, dürft ihr an brütende Vögel ran?“, fragt Diekmann. Die Antwort „30 Meter“ ist ein wenig zu knapp bemessen. „Schon wenn man näher als 300 Meter kommt, stresst das die Vögel immens“, sagt die Wattführerin. Der Rest sei Erholungszone und für Menschen zur Erholung gedacht, also Strände und begehbares Watt.

Schlickwatt statt Sandwatt

Durch diese Zone wandert die Gruppe hinter Diekmann her, was sie selbst als „Spaziergang über den Meeresboden“ beschreibt. Sie hat ihre erste Prüfung zur Wattführerin vor über zwanzig Jahren gemacht. Viele derjenigen, denen sie heute die Geheimnisse des Watts zeigt, haben schon andere Wanderungen unternommen. Sie wundern sich, wie anders hier der Boden ist. „Wir sind normalerweise in Nordfriesland und da ist das Watt viel fester“, erzählt eine Heidelbergerin. „Hier ist nun mal Schlickwatt“, antwortet Diekmann. Durch die geringere Wasserbewegung lagern sich hier feinere Sandkörner ab, als bei Sandwatt, das leichter zu begehen sei.

Noch eine Besonderheit des Schlickwatts seien die Salzwiesen, die durch die Ablagerung von feinen Teilchen entstehen und jedes Jahr um rund einen Zentimeter wachsen. Auch hier findet man viele verschieden Arten an Pflanzen, die wegen der immer wiederkehrenden Flut recht anpassungsfähig sein müssten. Vor allem verhindern sie, dass die Nordseewellen mit voller Wucht auf den Deich treffen und brechen die Wassermassen schon vorher.

Auf der Jagd nach Wattwürmern

In den gut zweieinhalb Stunden zeigt Diekmann die Lebensformen, die sich im Schlick verbergen - von Algen über Würmern bis hin zu Krebsen und Garnelen ist alles dabei. Voller Begeisterung wird im Watt nach einem Wattwurm gegraben und nach Muscheln gesucht. Was sie dabei auch oft finden, ist leider etwas anderes: Plastik. Nur eines der Probleme, mit dem der Nationalpark im Hinblick auf die Klimakrise zu kämpfen hat.

Das Leben im Watt ist vielfältig, muss aber auch erstmal gefunden werden. Foto: Oltmanns
Das Leben im Watt ist vielfältig, muss aber auch erstmal gefunden werden. Foto: Oltmanns

Auch Jürgen Rahmel, Dezernent des Niedersächsischen Wattenmeer, sprach erst kürzlich nach einer Vorführung des Films „The North Drift - Plastik in Strömen“ von der Plastikverschmutzung an Küsten. „Vor allem auf den unbewohnten Inseln, wie Memmert sammelt sich so viel Müll an“, aber besondere Gefahr sehe er zudem in dem Teil, der nicht mehr sichtbar ist: das Mikroplastik. Die Lösung des Problems ist für ihn sehr offensichtlich: „Wir müssen Plastik mehrfach nutzen, unseren Plastikverbrauch vermindern und mehr recyclen“.

Steigender Meeresspiegel

Der Meeresspiegel steigt und das immer schneller, so Dr. Insa Meinke vom Norddeutschen Küsten- und Klimabüro am Helmholtz-Zentrum Hereon im Gespräch mit unserer Zeitung vor zwei Jahren. „Aber das können wir an unserer Küste an den Pegeln noch nicht wirklich wiederfinden.“ Dennoch warnt Meinke, „alles, was weltweit stattfindet, hat auch an unserer Küste Auswirkungen. Es ist bloß eine Frage der Zeit, wann es passiert.“ Im Extremfall kommt es dazu, dass es kein freifallendes Watt mehr gibt. Sowohl für die Wattwanderungen, als auch für die Wandervögel die hier Erholung und Nahrung finden eine schlechte Nachricht, so Diekmann. Ansteigendes Wasser bedeutet auch, dass die vorhandenen Deiche nicht mehr ausreichen. Der Deich, wo die Wattführung begann, wurde schon erhöht und verstärkt, erklärt die Wattführerin.

Als sie auf dem Deich steht und nach der Wattführung über das schnellsteigende Wasser schaut, freut sie sich aber zunächst einmal: „Meine Quote bleibt also sauber und ich muss niemanden ausgraben.“ Dass die Natur leidet, sieht sie aber bei jeder Führung. „Wir müssen weg vom Plastik und raus aus dem Kreislauf, weg vom Bequemen und Gewohnten, wenn wir wollen, dass auch noch die Kinder unserer Kinder hier wandern können.“

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