Tagesaufenthalt sehr gefragt „Wohnungsarmut erreicht in Emden einen neuen Höchststand“

| | 18.06.2023 16:02 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 3 Minuten
Eine Person schläft unter einem Schlafsack in der Innenstadt von Stuttgart. Auch in Emden wird die Armut immer sichtbarer. Foto: Marijan Murat/dpa
Eine Person schläft unter einem Schlafsack in der Innenstadt von Stuttgart. Auch in Emden wird die Armut immer sichtbarer. Foto: Marijan Murat/dpa
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Angesichts hoher Lebenshaltungskosten geraten immer mehr Menschen an die Armutsgrenze. Bei der „Alten Liebe“ ist das deutlich zu spüren. Andy Danneker, Leiter der Einrichtung, stellt erschreckende Zahlen vor.

Emden - Der Tagesaufenthalt - besser bekannt als „Alte Liebe“ - in Emden zieht eine erschreckende Bilanz zur Wohnungslosenhilfe für das vergangene Jahr. Und die Zahlen werden sich in diesem Jahr nicht unbedingt verbessern, so die Prognose. „Armut wird deutlich sichtbarer“, schreibt Einrichtungsleiter Andy Danneker.

Nicht mehr nur an den bekannten Stellen säßen mittlerweile Menschen, die sich offensichtlich in schwieriger wirtschaftlicher Lage befinden – deutlich mehr Straßenecken, Eingänge von Geschäften und Einkaufszeilen würden zu Orten, die diese Menschen in ihrer Not aufsuchen und offen um Unterstützung bitten. Die Nachfrage bei der Unterkunft für wohnungslose Menschen beim Hafen wird immer größer.

Wie viele Menschen suchen die „Alte Liebe“ auf?

Im vergangenen Jahr gab es fast 14.000 Besuche beim Tagesaufenthalt. Pro Tag fragten 54 Personen Leistungen des Hauses ab, so Danneker. Von den verschiedenen 456 Besucherinnen und Besuchern des Tagesaufenthaltes sind 313 Personen wohnungslos gewesen, darunter 220 Menschen, die Emden als ihren Lebensmittelpunkt angeben. Ein Großteil der Nutzerinnen und Nutzer gilt somit als wohnungs- oder obdachlos. „Rund 23 Essen werden pro Tag ausgegeben – Tendenz steigend“, schreibt er. Schon jetzt (Stand April) sind es 30 Mahlzeiten pro Tag.

Wer kommt zum Tagesaufenthalt?

Etwa ein Fünftel der registrierten Wohnungsnotfälle sind Frauen, zeigt die Statistik. Mehr als 19,2 Prozent der registrierten Wohnungsnotfälle sind Menschen aus EU-Staaten, die nach Deutschland eingewandert sind und in Emden Arbeit sowie eine Wohnung suchen. Weitere mehr als zehn Prozent kommen aus Nicht-EU-Staaten. Somit sind fast ein Drittel der Wohnungsnotfälle Menschen mit Migrationshintergrund. Die Besucherinnen und Besucher des Tagesaufenthaltes kommen aus 23 verschiedenen Ländern, darunter sind neun Staaten der EU.

Wer geriet erst 2022 in Not?

141 alleinstehende Personen haben im vergangenen Jahr in Emden ihre Unterkunft verloren. Erschreckend: Mehr als 24 Prozent davon sind unter 25 Jahre alt. Von den 220 wohnungslosen Emderinnen und Emdern sind fast 18 Prozent in dem Altersegment. Die deutliche größte Altersgruppe von Wohnungslosen ist zwischen 25 und 44 Jahre alt. Vier Menschen sind unter 18, zwölf Personen sind über 60.

Wie wird sich das Problem noch verschlimmern?

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und insbesondere des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine brächten „viele Facetten der Armut auf ein Maß, das nicht mehr zu übersehen ist“, so Danneker. Der starke Preisanstieg speziell bei Lebensmitteln bedrohe Menschen, die Transferleistungen beziehen, wenig verdienen oder eine geringe Rente bekommen. Wegen des schon seit Jahren beklagten Mangels von günstigen Wohnungen in Emden konnte das Team des Tagesaufenthalts nur 22 Personen in Wohnraum, meist Zimmer, vermitteln. Die Übernachtung „Alte Liebe“ ist mit fast 72 Prozent ausgelastet. „Die Wohnungsarmut erreicht in Emden einen neuen Höchststand“, erklärt er.

Zum einen werde der Wohnungsmarkt im preisgünstigen Segment immer stärker in Anspruch genommen und auf der anderen Seite entstehe kein neuer Wohnraum, der im Bereich der Angemessenheitsgrenzen für Transferleistungsempfänger verfügbar ist: einen sozialen Wohnungsbau gebe es in Emden seit Jahren nicht, so der Leiter. „Diese Entwicklung nehmen wir in der gestiegenen Auslastung der Übernachtung ‚Alte Liebe’ sehr deutlich wahr und blicken in Anbetracht steigender Mieten (aufgrund von Sanierungszwängen etc.) in eine Zukunft, die wohnungs- bzw. obdachlose Personen in neue Dimensionen der Wohnungsarmut bringen wird“, schreibt Andy Danneker.

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