Spürbarer Fachkräftemangel Krankenstand in Niedersachsens Altenpflege auf Rekordniveau – auch in Ostfriesland?

Lars Laue und Rieke Heinig
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Von Lars Laue und Rieke Heinig
| 18.07.2023 06:05 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Mit 11,2 Prozent ist der Krankenstand bei Mitarbeitenden der Altenpflege nach Angaben der Krankenkasse Barmer der höchste aller Berufsgruppen in Niedersachsen. Foto: Marijan Murat/dpa
Mit 11,2 Prozent ist der Krankenstand bei Mitarbeitenden der Altenpflege nach Angaben der Krankenkasse Barmer der höchste aller Berufsgruppen in Niedersachsen. Foto: Marijan Murat/dpa
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So oft wie nie zuvor waren Altenpfleger 2022 in Niedersachsen krankgeschrieben. In Ostfriesland scheint die Lage etwas besser zu sein, dafür gibt es andere Probleme – auch zulasten der Bewohner.

Ostfriesland/Hannover - Niedersachsens Altenpflegekräfte sind im vergangenen Jahr so oft krankgeschrieben gewesen, wie nie zuvor. Das geht aus Zahlen der Krankenkasse Barmer hervor, die unserer Redaktion vorliegen. Durchschnittlich 41 Tage waren Beschäftigte in der niedersächsischen Altenpflege demnach im Jahr 2022 krankgeschrieben. Das zeigen die Auswertungen von Arbeitsunfähigkeitsdaten der erwerbstätigen Barmer-Versicherten aus dem aktuellen Gesundheitsreport der Kasse. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 kamen 32,2 Fehltage in der Berufsgruppe der Altenpflegenden zusammen, 2020 waren es 31,3 Fehltage. Die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeitsdauer unter allen Beschäftigten im Land lag laut Barmer im Jahr 2022 bei 23,1 Fehltagen.

„Mit 11,2 Prozent ist der Krankenstand bei Mitarbeitenden der Altenpflege der höchste aller Berufsgruppen. In Niedersachsen lag der Krankenstand insgesamt bei 6,2 Prozent“, betont Heike Sander, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Niedersachsen und Bremen, und fügt hinzu: „Die Zahlen verdeutlichen, welch enorm hoher gesundheitlicher Belastung die Beschäftigten in Niedersachsens Altenpflege ausgesetzt sind, sowohl körperlich als auch seelisch.“ Besonders belastend seien unregelmäßige Dienste, Schicht-, Nacht- oder Bereitschaftsdienste. Hohe Krankenstände seien ein Teufelskreis, der zu zusätzlichen Belastungen führe.

Krankenstand in Ostfriesland nicht besonders hoch – dafür gibt es andere Probleme

„Wie wohl in den meisten Berufszweigen ist der Fachkräftemangel insbesondere in der Pflege spürbar – und damit auch die Belastung derer, die weiterhin mit Herzblut diese Herausforderung zu stemmen wissen“, beschreibt Marc Geschonke, Sprecher des Awo-Bezirksverbands Weser-Ems, die Situation. Die Awo betreibt auch in der Region mehrere Altenheime. „Im Großraum Ostfriesland verzeichnen wir in den stationären Einrichtungen eine stabile Versorgungslage, trotz eines seit Corona nach wie vor hohen Krankenstandes“, sagt der Sprecher. Die Heime in Ostfriesland seien, insbesondere in Aurich, personell vergleichsweise gut aufgestellt und könnten Ausfälle dadurch abfangen.

„Das Problem ist aktuell weniger der Krankenstand“, bestätigt auch Heike Kampen, Prosenis-Einrichtungsleiterin in Leer, im Gespräch mit unserer Zeitung. Es sei eher die Urlaubszeit, die Probleme bereite. „Bei uns sind immer mal zwei bis vier Leute krank. Das ist normal, das können wir stemmen. Wenn im Sommer zusätzlich ein Viertel der Belegschaft im Urlaub ist, macht sich das allerdings extrem bemerkbar“, betont Kampen. Gerade Mitarbeitende, die eigentlich als Teilzeitkräfte eingestellt sind, müssten die Ausfälle auffangen. „Das ist keine schöne Situation. Noch haben wir dadurch zwar nicht das Problem, dass sie aus Überlastung ausfallen. Aber natürlich mache ich mir deswegen Sorgen“, so die Einrichtungsleiterin.

Nachwuchssorgen und Mängel in der Ausbildung

Abgesehen davon sei das Heim personell gut aufgestellt. Aber: „Die Politik plant, den Personalschlüssel zu erhöhen“, sagt Kampen. Das heißt konkret, dass pro Bewohner mehr Pflegerinnen und Pfleger eingesetzt werden müssen. „Das wären bei uns zwölf Vollzeit- oder 24 Teilzeitkräfte. Es gibt aber kaum Personal auf dem Markt. Woher soll ich die bekommen?“, fragt sie. Zudem könne sie es sich schlicht nicht leisten, so viele neue Mitarbeitende einzustellen. „Die Pflegekassen übernehmen das erst ab dem nächsten Jahr. Bis dahin hänge ich in der Luft. Vorausgesetzt, ich finde überhaupt jemanden“, so Kampen. Durch die hohe Arbeitsbelastung sei der Beruf für viele Menschen unattraktiv. Hinzu kämen immer strengere Vorschriften. „Es muss immer mehr dokumentiert werden. Das geht zulasten der Zeit mit den Bewohnern. Man kann nicht mehr in Ruhe mit ihnen reden oder mal einen Tee trinken“, beklagt die Einrichtungsleiterin. Ein weiteres Problem sieht Kampen schon viel früher – in der Ausbildung. „Die müsste mehr gefördert werden. In den zwei Jahren Ausbildung erhalten die Azubis kein Gehalt, sondern nur Bafög“, berichtet sie. Das müsse man sich erst einmal leisten können: „Wir haben also ein großes Nachwuchsproblem.“

Etwas optimistischer ist man da in Emden. „Wir haben großes Glück, dass die Personalsituation sehr gut ist, dafür tun wir aber auch viel“, sagt Geschäftsführerin und Einrichtungsleiterin vom Alten- und Pflegeheim am Wall, Julia Blok. Der Krankenstand sei dort ebenfalls nicht überdurchschnittlich hoch. Er „schwankt immer etwas. Aber es gibt auch viele Beschäftigte, die nie fehlen“, berichtet Blok. Ein Problem, neue Stellen zu besetzten, gebe es ebenfalls nicht. „Wir haben überdurchschnittlich viel Personal. Auch bilden wir selber aus, sowohl als Pflegehelfer, Pflegeassistenten, Betreuungskräfte und Pflegefachkräfte. Mit einigen Aktivitäten versuchen wir, schon die junge Generation anzusprechen. So haben wir beispielsweise eine Kooperation mit Dat Käferhuus und ein Sommerfest mit dem Thema „Treff der Generationen für Jung und Alt“ veranstaltet. Und dennoch: Sie wünsche sich, dass die Ausbildung in der Pflege mehr beworben wird, es mehr Ausbildungsstätten gäbe. „Die Klassenzahl ist bei Beginn der Ausbildung begrenzt, die tatsächliche Zahl der Schüler, die die Ausbildung erfolgreich abschließen, deutlich niedriger“, sagt sie.

Viele Rückenleiden bei Pflegekräften

Obwohl der Krankenstand in Ostfriesland im Niedersachsen-Vergleich aktuell nicht so drastisch zu sein scheint, sprechen die Zahlen der Barmer-Krankenkasse für eine insgesamt hohe Belastung. Wie die Analyse der vier Hauptdiagnosen zeigt, waren Muskel-Skelett-Erkrankungen, die häufig in Form von Rückenleiden auftreten, im Jahr 2022 ursächlich für die meisten Fehltage in Niedersachsens Altenpflege.

Rund 10,2 Tage waren Beschäftigte der Branche aufgrund entsprechender Diagnosen krankgeschrieben. Zudem führten psychische Erkrankungen zu im Schnitt 8,2 und Atemwegserkrankungen zu 5,5 Fehltagen. Für rund 3,2 Arbeitsunfähigkeitstage waren Verletzungen die Ursache.

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