Wildes Ostfriesland 40 Steinkäuze machen Schirum zu ihrer neuen Heimat

| | 18.07.2023 19:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Der Steinkauz-Nachwuchs ist schon fast so groß wie die Eltern, nur noch ein wenig flauschiger. Dieser kleine Kerl in den Händen von Matthias Bergmann hat gerade einen Ring bekommen. Foto: Ortgies
Der Steinkauz-Nachwuchs ist schon fast so groß wie die Eltern, nur noch ein wenig flauschiger. Dieser kleine Kerl in den Händen von Matthias Bergmann hat gerade einen Ring bekommen. Foto: Ortgies
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Seit dem Winter 1979 gelten Steinkäuze in Ostfriesland als ausgestorben. Bald können die ersten Tiere in Schirum wieder auf Mäusejagd gehen. Mit dem Ring haben sie den dafür notwendigen Vogel-Ausweis.

Aurich - Dicht gedrängt hocken die kleinen Steinkäuze in ihrer Bruthöhle. Mit weit aufgerissenen Augen starren sie ins Tageslicht, als Matthias Bergmann die Klappe ihres Unterschlupfs öffnet. Fünfmal Kauznachwuchs hat es in dieser Voliere zwischen dem Ems-Jade-Kanal und dem Gewerbegebiet Schirum gegeben. Landschaftsplaner Bergmann koordiniert das Steinkauz-Projekt der Auricher Jägerschaft und will an diesem Tag helfen, die Küken zu beringen. Das ist für die Tiere und das Projekt ein Meilenstein auf dem Weg zu einem Leben in Freiheit.

Was und warum

Darum geht es: Rund um Aurich soll es bald wieder Steinkäuze in freier Wildbahn geben. Der erste Auricher Nachwuchs wird gerade auf sein wildes Leben vorbereitet.

Vor allem interessant für: Landwirte, Jäger und alle anderen Naturfreunde

Deshalb berichten wir: Seit Projektbeginn wartet die Redaktion auf einen Blick auf die ersten Auricher Kauzküken – jetzt war es endlich so weit.

Die Autorin erreichen Sie unter: n.boening@zgo.de

Inzwischen sind die Küken fast so groß wie ihre Eltern, auch wenn man bei diesen Mini-Eulen mit einer Höhe von gerade einmal 22 Zentimetern kaum von „groß“ sprechen kann. Zum Vergleich: Eine Amsel bringt es immerhin auf 23 bis 29 Zentimeter. Diese kleinen Jäger haben es trotzdem in sich. Bergmann muss sich vor allem vor den messerscharfen Krallen in Acht nehmen, als er das erste Jungtier aus dem Kasten pflückt. Die scharfen Waffen sitzen am Ende der überdimensional großen gelben Eulenfüße. Sie sind dafür gemacht, Beute wie Feldmäuse und Insekten zu schlagen.

Einblick in die Kinderstube, die dieser Nachwuchs bald für immer verlassen wird. Dann ziehen die nächsten Pärchen ein, die im kommenden Jahr ausgewildert werden sollen. Foto: Ortgies
Einblick in die Kinderstube, die dieser Nachwuchs bald für immer verlassen wird. Dann ziehen die nächsten Pärchen ein, die im kommenden Jahr ausgewildert werden sollen. Foto: Ortgies

Der Winter 1979 gab dem Bestand den Rest

Als Bergmann das erste Küken zum Beringen auf den Rücken dreht, wandert der Blick des Tieres zu den Besuchern in seiner Voliere. Sie wollen sich dieses besondere Ereignis nicht entgehen lassen. Unter ihnen ist Jörg Salzwedel, der diese Kauzfamilie in den vergangenen Monaten betreut hat. Jetzt hält er jeden Schritt des Nachwuchses mit dem Handy fest. Insgesamt acht Steinkauzfamilien mit ihren Paten gehören zum ersten Durchgang des Wiederansiedlungsprojekts der Jägerschaft Aurich. Die möchte den Steinkauz in Ostfriesland wieder heimisch machen. Dafür wurden an den zukünftigen Lebensräumen nicht nur Volieren gebaut, sondern auch Streuobstwiesen gepflanzt, ein offener Schafstall errichtet und Brutröhren auf Bäumen montiert.

Die Ringe mit fortlaufenden Nummern werden Vögeln zu Forschungszwecken an die Beine geklemmt. Darüber können sie eindeutig identifiziert werden. Foto: Ortgies
Die Ringe mit fortlaufenden Nummern werden Vögeln zu Forschungszwecken an die Beine geklemmt. Darüber können sie eindeutig identifiziert werden. Foto: Ortgies

„Die letzten Exemplare dieser Eulenart hatten den harten Winter 1979 nicht überlebt“, erklärt Bergmann. Da sich Steinkäuze selten weit vom elterlichen Nest entfernt niederlassen und kaum weite Strecken zurücklegen, haben sie es seitdem nicht von allein zurück auf die Ostfriesische Halbinsel geschafft. Ähnlich sieht es in vielen Regionen Deutschlands aus, in denen Steinkäuze unter anderem durch fehlende Nistmöglichkeiten in hohlen Bäumen und durch fehlende Beweidung ihren Lebensraum verloren haben. Deshalb gibt es deutschlandweit zahlreiche Projekte wie dieses, die den kleinen Eulenvogel zurückbringen sollen.

Der Ring ist der erste Schritt in die Freiheit

Sieben der acht Auricher Kauzpaare, die den Winter bereits gemeinsam in Volieren rund um Aurich verbracht haben, haben im Frühjahr erfolgreich gebrütet. 25 Nachwuchskäuze werden bald mit den Erwachsenen in die Freiheit entlassen. Sie alle sollen sich in den nächsten Wochen in der Wallheckenlandschaft zwischen Popens und Holtrop Stück für Stück an ein Leben in Freiheit gewöhnen. Insgesamt werden hier bald 40 Tiere auf Mäusejagd gehen.

Dieser kleine Kauz in der Hand von Matthias Bergmann ist der wehrhafteste unter den Schirumer Geschwistern. Eine DNA-Federprobe soll ergeben, ob stimmt, was alle vermuten: Ist es wirklich ein Weibchen? Foto: Ortgies
Dieser kleine Kauz in der Hand von Matthias Bergmann ist der wehrhafteste unter den Schirumer Geschwistern. Eine DNA-Federprobe soll ergeben, ob stimmt, was alle vermuten: Ist es wirklich ein Weibchen? Foto: Ortgies

Damit jedes von ihnen später identifiziert werden kann, bekommen die Käuze einen Ring. Dafür ist der ehrenamtliche Beringer und Landschaftsökologe Dr. Daniel Holte nach Schirum gekommen. „Beringt werden die Tiere für Forschungszwecke“, erklärt er. Auch die in Gefangenschaft aufgewachsenen Elterntiere tauschen ihren Züchterring mit den offiziellen Ringen der zuständigen Beringungszentrale der Vogelwarte Helgoland in Wilhelmshaven. Erst dann können sie den sicheren Käfig gegen ein Leben in Freiheit tauschen. Die Ringe mit der fortlaufenden, eindeutigen Nummer sind so etwas wie der Personalausweis für Vögel. In Europa werden alljährlich etwa 3,8 Millionen Vögel beringt. 90.000 von ihnen werden wiedergefunden.

Ein Abschied und ein Neuanfang

In der Voliere in Schirum drückt Kauzpate Salzwedel wieder auf den Auslöser, als Holte dem kleinen Kauz zwei winzige Bauchfedern mit der Pinzette zieht und sie behutsam in ein kleines Tütchen steckt. Sie werden zusammen mit der neuen Ausweisnummer in ein Labor geschickt. Ein DNA-Test soll zeigen, welches Geschlecht die Tiere haben. „Anders ist es bei Steinkäuzen nicht möglich, das Geschlecht zu bestimmen“, sagt Holte. Für das Projekt ist es wichtig, denn schon im nächsten Jahr soll der Nachwuchs in der neuen Heimat selbst brüten – das erste Mal in Freiheit, wenn alles gut geht.

Nach dem Beringen kommen die Tiere in diesen Taubenkasten. So hat alles seine Ordnung. Foto: Ortgies
Nach dem Beringen kommen die Tiere in diesen Taubenkasten. So hat alles seine Ordnung. Foto: Ortgies

Nicht mehr lange und Jörg Salzwedel muss sich von den Tieren verabschieden. In etwa zwei Wochen wird die Tür der Voliere geöffnet. Auch Kauz-Mutter Wanda und Vater Theo – die Elterntiere haben bereits Namen – werden ihren Nachwuchs begleiten, um ihm einen möglichst guten Start in Freiheit zu ermöglichen. Dann werden die nächsten Paare in die acht Volieren einziehen und nächstes Frühjahr hoffentlich ebenfalls erfolgreich brüten.

Ein großes Projekt für den kleinen Kauz

Bis 2026 ist das Projekt angelegt. Jährlich sollen acht Paare an verschiedenen Standorten rund um Aurich in die Freiheit entlassen werden. Ein großes Projekt für den kleinen Steinkauz. Mehr als 200.000 Euro beträgt allein die Eigenleistung der Jägerschaft. Die Gesamtkosten für die Rückkehr der Steinkäuze liegen bei mehr als 700.000 Euro. Gefördert wird die Auswilderung unter anderem mit 250.000 Euro von der niedersächsischen Umweltstiftung Bingo. 95.000 Euro zahlt der Landkreis Aurich für das Naturschutzprojekt, 50.000 Euro kommen von der Stiftung Naturschutz Ostfriesland. Auch das Landwirtschaftsministerium des Landes Niedersachsen, die GVO-Versicherung und der Deutsche Jagdverband gehören zu den Förderern.

In Schirum haben inzwischen alle sieben Käuze einen Ring bekommen. Nicht alle waren dabei so brav wie die Eltern und ihr erster beringter Nachwuchs. Ein Käuzchen quittierte den Griff in den Kasten mit einem wütenden Fauchen, das gut in die Geräuschkulisse eines Horrorfilms gepasst hätte. Ein anderes bestand mit wildem Flügelschlag darauf, die Menschen in der Voliere sitzend im Auge zu behalten. „Dickere Beine, wahrscheinlich Weibchen“, vermutet Daniel Holte in beiden Fällen. Wissenschaftlich belegt sei seine Vermutung nicht, betont er. Bis zur Namensvergabe müssen die Paten also noch das Ergebnis des DNA-Tests abwarten.

Die ersten Tiere sind in Schirum bereits auf eigene Faust unterwegs. In den kommenden Wochen werden alle übrigen Käuze nach Schirum kommen und von dort in die Freiheit starten. Um es ihnen möglichst leicht zu machen, finden sie draußen die gleichen Brutröhren wie in ihrer Voliere. Auch die gewohnten Futterboxen werden sie unter freiem Himmel weiter begleiten. „So können sie sich langsam an das neue Leben gewöhnen und wissen immer, wo sie im Notfall Futter bekommen“, erklärt Matthias Bergmann. Auch in seinem Garten in Aurich-Extum lebt ein Paar, das bald Schirum und umzu zu seiner neuen Heimat machen soll. Seine Voliere wird aber nicht lange leer bleiben. Die Nachfolger für die Auswilderung im nächsten Jahr sind bereits gefunden.

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