Wiesmoorerin probiert es aus Was bringt die neue Hotline für Impfgeschädigte?

| | 04.08.2023 10:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Artikel hören:
Die Impfung gegen Covid-19 hat für manche Menschen schwerwiegende gesundheitliche Folgen. Foto: Hoppe/dpa
Die Impfung gegen Covid-19 hat für manche Menschen schwerwiegende gesundheitliche Folgen. Foto: Hoppe/dpa
Artikel teilen:

Manche Menschen leiden bis heute an den Folgen der Corona-Impfung. Das Land Niedersachsen hat für sie eine Hotline eingerichtet. Eine Wiesmoorerin hat sie ausprobiert.

Wiesmoor/Hannover - Sie haben Zitteranfälle und Krämpfe. Einige können nicht mehr richtig sehen, nicht mehr richtig sprechen und kaum noch laufen: Bei manchen Menschen löst die Impfung gegen Covid-19 schwere Nebenwirkungen aus. Zum Beispiel bei Ann-Katrin Kruse aus Wiesmoor. Die 32-Jährige, die im November 2021 geimpft wurde, leidet am Post-Vac-Syndrom. Zwischenzeitlich saß sie sogar im Rollstuhl. Mittlerweile geht es ihr etwas besser, doch an eine Rückkehr in den Beruf ist für die Einrichtungsberaterin noch lange nicht zu denken.

Für Menschen, die an Spätfolgen einer Corona-Infektion oder Corona-Impfung leiden, gibt es ein neues Angebot des niedersächsischen Sozialministeriums in Zusammenarbeit mit der AOK: Unter der Telefonnummer 0511/1202900 können Betroffene, Angehörige und Arbeitgeber seit dem 1. August montags bis freitags von 10 bis 14 Uhr Rat suchen. Die speziell geschulten Berater sind keine Ärzte. Sie können keine medizinische Beratung bieten oder Diagnosen stellen.

„Nicht mit diesem abgedroschenen Mitleid“

Ann-Katrin Kruse hat das neue Angebot ausprobiert. Sie hat am Donnerstag bei der Hotline angerufen. Um jemanden an die Strippe zu bekommen, brauchte sie Geduld: Nach 17 Versuchen klappte es. „Ich habe eine Strichliste geführt“, sagt die 32-Jährige im Gespräch mit der Redaktion. Von dem Verlauf des knapp zehnminütigen Telefonats war sie angenehm überrascht. Als Schulnote würde sie eine Zwei minus vergeben. „Ich fühlte mich sehr ernst genommen“, sagt Kruse. Die Mitarbeiterin habe sehr ehrlich mit ihr gesprochen, „nicht mit diesem abgedroschenen Mitleid“. Man dürfe von solchen Gesprächen nicht erwarten, dass einem ein Wunderheiler vermittelt wird, sagt Kruse. „Über diesen Punkt bin ich lange hinaus.“

Das Foto zeigt Ann-Katrin Kruse Ende Oktober 2022, knapp ein Jahr nach ihrer Corona-Impfung. Foto: Archiv/Bär
Das Foto zeigt Ann-Katrin Kruse Ende Oktober 2022, knapp ein Jahr nach ihrer Corona-Impfung. Foto: Archiv/Bär

In dem Gespräch sei ein Satz gefallen, mit dem sie schon gerechnet habe: „Wahrscheinlich sind Sie als Betroffene besser vernetzt als wir derzeit.“ Und sie weiß offensichtlich über viele Dinge besser Bescheid als die Mitarbeiter an der Hotline. So bekam sie unter anderem den Rat, sich an eine Post-Covid-Ambulanz zu wenden. Das sei jedoch ein schlechter Ratschlag. „Wir werden dort abgelehnt.“ Post-Covid-Ambulanzen seien nur für Menschen, die eine Infektion durchgemacht hätten, nicht für Impfgeschädigte. Darüber habe sie die Mitarbeiterin dann auch aufgeklärt.

Virtuelle Covid-Rehaklinik

Dennoch hat die Wiesmoorerin an der Hotline etwas erfahren, was sie noch nicht wusste: Die Medizinische Hochschule Hannover baut eine virtuelle Covid-Rehabilitationsklinik auf, die zum 1. September an den Start geht. Mit diesem Projekt sollen vor allem Hausarztpraxen bei der Versorgung der betroffenen Patienten unterstützt werden. Interessierte Mediziner müssen sich für die Teilnahme registrieren lassen. Sie habe gleich bei ihrem Hausarzt angerufen, um ihn darauf hinzuweisen, sagt Kruse.

Die 32-Jährige freut sich mittlerweile über Fortschritte. Diese habe sie vor allem dem Bremer Mediziner Julien Dufayet zu verdanken, bei dem sie auf eigene Rechnung zweimal die Woche in Behandlung sei. Dufayet ist Arzt für Innere Medizin und befasst sich mit dem Post-Vac-Syndrom und Langzeitfolgen von Covid-19. Ihr Blutbild sehe mittlerweile viel besser aus als noch vor einigen Monaten, sagt Kruse, wenngleich sie von einer Heilung oder Fastheilung immer noch weit entfernt sei. Einige Dinge im Alltag könne sie wieder selbstständig verrichten, „auch wenn ich dabei natürlich auf meine Belastungsgrenzen achten und Pausen einbauen muss“.

„Wir quälen Sie nicht länger“

Im März habe sie einen Rückschlag erlitten: Um ihren Anspruch auf Krankengeld nicht zu verlieren, habe sie eine Reha antreten müssen. Sie habe die Maßnahme laufend angefangen, „und zwei Tage nach Antritt war der Rollator mein bester Freund“. Unter anderem die Übungen mit der Beinpresse und dem Ergometer hätten sie überfordert und ihre Schmerzen verschlimmert. Auch die Vorträge und andere Therapien seien zu anstrengend gewesen.

Nach zwei Wochen habe sie Bescheid bekommen, dass die Maßnahme nicht verlängert werde. „Eine Reha ist zum Aufbau da“, habe die Ärztin gesagt. „Sie machen Rückschritte. Wir quälen Sie nicht länger.“ Niemand wolle mit 32 Jahren hören, dass bei ihm nicht viel aufzubauen sei und dass ihm eine Empfehlung für die Erwerbsminderungsrente ausgesprochen werde, sagt Kruse. Trotz mancher Rückschläge gibt sie nicht auf. „Ich möchte wieder ein gutes Leben führen und meinen Alltag so gestalten, wie ich es möchte.“

Ähnliche Artikel