Die Spielzeit-Offensive der Landesbühne So hat Ostfriesland Hamlet noch nie gesehen

| | 06.09.2023 15:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Horatio (Wiktor Grduszak, von links) hält Prinz Hamlet (Félicien Moisset) zurück, der sich auf Laertes (Gregor Scheil, von rechts) stürzen will. Der wird beruhigt von König Claudius (Andreas Möckel). Im Hintergrund sind Ophelia (Hannah Jaitner) und Königin Gertrud (Aida-Ira El-Eslambouly) zu sehen. Foto: Beinhorn
Horatio (Wiktor Grduszak, von links) hält Prinz Hamlet (Félicien Moisset) zurück, der sich auf Laertes (Gregor Scheil, von rechts) stürzen will. Der wird beruhigt von König Claudius (Andreas Möckel). Im Hintergrund sind Ophelia (Hannah Jaitner) und Königin Gertrud (Aida-Ira El-Eslambouly) zu sehen. Foto: Beinhorn
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Der Intendant der Landesbühne setzt auf frischen Wind für die Theatersäle der Region. Bewährter Erzählstoff trifft auf ein neues Regieteam und teils unbekannte Gesichter – mit kuriosen Details.

Ostfriesland - „Sein oder Nichtsein“ ist eine der zentralen Fragen der Theaterwelt. Sie hat in mehr als 400 Jahren offenbar nichts an Aktualität eingebüßt. Während sich Félicien Moisset in seiner ersten großen Rolle frisch von der Schauspielschule voller Tatendrang als Hamlet, Prinz von Dänemark, diese seit Anfang September auf der Bühne der Spielorte der Landesbühne Niedersachsen Nord stellt, beschäftigt sie hinter den Kulissen den Intendanten Olaf Strieb für das Theater im Allgemeinen. Die Besucherzahlen sind im Keller. Es ist ein Abwärtstrend, der nicht weniger als existenzbedrohend für die Kultur ist, vor allem im ländlichen Raum, einem wie er selbst sagt großartigen Spielgebiet. Dabei käme das Publikum dort ab sofort voll auf seine Kosten – wenn es nur, wie von Strieb erhofft, den Weg „runter von der Couch und rein ins Theater“ fände. Ab dieser Woche bereist das Ensemble mit der „Hamlet“-Inszenierung die Spielorte.

Was und warum

Darum geht es: Die Landesbühne Niedersachsen Nord eröffnet mit „Hamlet“, einem Klassiker der Theatergeschichte, die Spielzeit. Sie soll jede vorherige in den Schatten stellen – und das Ruder endlich herumreißen.

Vor allem interessant für: Kulturhungrige und Weltoffene auf der Suche nach Abwechselung

Deshalb berichten wir: Die Kulturschaffenden laufen angesichts ausbleibender Besucherzahlen zur Höchstform auf und legen sich ins Zeug. Das Ergebnis sollte Ostfriesland gesehen haben.

Die Autorin erreichen Sie unter: s.ullrich@zgo.de

„Die Welt ist aus den Fugen – wie wahr, wie wahr“, sagt Strieb angesichts des zahlenmäßig schrumpfenden Publikums: Insgesamt sahen sich in der zurückliegenden Spielzeit 2022/23 etwas mehr als 76.800 Besucherinnen und Besucher die Vorstellungen und Veranstaltungen an. In der Spielzeit 2018/19, der letzten regulären vor Beginn der Corona-Pandemie, kamen noch fast 94.500 Gäste. Es sind also gut 17.700 Besuche weniger. Ein massiver Rückgang. Ein gezielter Blick relativiert manches: Zuletzt hob der Vorhang sich 533 mal, 2018/19 hingegen noch 627 mal. Weniger Besucher insgesamt bei weniger Aufführungen also. Im Kern bleibt das Problem der leeren Sitze: Im Schnitt 144 (Vorjahr) statt zuvor 151 Gäste sahen sich ein Stück an. Das Haus will die Herausforderung annehmen, Theater neu zu denken. „Wir stellen uns komplett neu auf“, sagt Strieb zu Beginn der Spielzeit 2023/24, seiner elften als Intendant. Eins aber macht er unmissverständlich klar: An der Qualität der Unterhaltung werde er nichts ändern: „Wer nach seichter Unterhaltung strebt, dem empfehle ich allabendlich RTL2.“

„Effektvoller Minimalismus“

Dass aber Anspruch und Unterhaltung sich nicht gegenseitig ausklammern müssen, zeigt die frische Inszenierung von „Hamlet“ eines dreiköpfigen Regieteams, das Strieb erstmals auf die ostfriesische Halbinsel holte. Dem schweren Stoff setzt es Schlagzeug und E-Bass sowie künstliche Nasen und aufgeklebte Schnurrbärte entgegen. Bühnen- und Kostümbildnerin Sophie Leypold hat einen Look erschaffen, der modern und doch zeitlos wirkt. Dieser laut Intendant „effektvolle Minimalismus“ weist dem Zuschauer den Weg, ohne seinen Interpretationsspielraum zu beengen.

Daniel Kunze, Vasko Damjanov und Sophie Leypold inszenieren erstmals ein Stück für die Landesbühne. Foto: Ullrich
Daniel Kunze, Vasko Damjanov und Sophie Leypold inszenieren erstmals ein Stück für die Landesbühne. Foto: Ullrich

Gemeinsam mit der Chefdramaturgin der Landesbühne, Kerstin Car, hat Leypold mit Regisseur Daniel Kunze und Musiker Vasko Damjanov „einen neuen, frischen Blick“ auf „Hamlet“ geworfen, so Strieb. Es ist wohl eine der bekanntesten und meisterzählten Geschichten der Theaterwelt aus der Feder William Shakespeares. „Der tote König begegnet Hamlet als Geist. Das setzt die berühmte Rachetragödie in Gang“, macht der Regisseur es kurz. Hamlet beschließt nach dem Tod seines Vaters und der übereilten Heirat seiner Mutter mit seinem Onkel, den Vater zu rächen. Es folgen viel Leid, viel Tod – dazu hochphilosophische Fragen. Auf den ersten Blick ist das nicht gerade der Stoff, aus dem ein unterhaltsamer Abend ist.

Sieben Schauspieler, eine Rolle: Horatio. Eine unechte Nase und Bart vervollkommnen die Illusion. Foto: Beinhorn
Sieben Schauspieler, eine Rolle: Horatio. Eine unechte Nase und Bart vervollkommnen die Illusion. Foto: Beinhorn

Doch ihre Inszenierung beweist das Gegenteil: „Wir haben uns die Frage gestellt: Warum wird diese Geschichte immer wieder erzählt?“, erläutert Damjanov. Für ihn ist einer der gewichtigsten Gründe dafür die Sprache: „Es sind Sätze, die bei einem bleiben.“ Sie erzeugten Nähe. Aufgelockert werden die Originalzeilen mit modernen Anspielungen. Es ist nur ein Stilbruch von vielen, der die Tragödie auf Augenhöhe des Publikums bringt. Ein zentrales Motiv für Regisseur Daniel Kunze ist zudem die Überlegung, ob der Einzelne an der Welt arbeiten kann oder sogar muss. „Das ist etwas, woran Hamlet knabbert: Kann ich etwas verändern – Oder ist das verlorene Liebesmüh?“ Es ist eine Frage, die wohl nie aus der Mode kommt und heute vielleicht aktueller ist denn je.

Hamlet: Die Termine fürs Spielgebiet

Die Ostfriesland-Premiere von „Hamlet“ war in Esens. Die weiteren Termine sind:

  • Donnerstag, 14. September, in der Aula Brandenburger Straße in Wittmund;
  • Freitag, 15. September, im Theatersaal der Oberschule Weener;
  • Donnerstag, 28. September, im Theater an der Blinke Leer;
  • Donnerstag, 5. Oktober, in der Nordseehalle Emden und schließlich
  • Mittwoch, 22. November, in der Stadthalle Aurich.

Die Aufführungen beginnen jeweils um 19.30 Uhr.

Die Vorstellung im Theater in Norden an diesem Donnerstag entfällt aufgrund technischer Störungen. Hierzu weitere Infos unter Tel. 04931/1870123.

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