Die Maskenbildner der Addams Family Vom Schauspieler zur Leiche in 15 Minuten

| | 22.09.2023 18:11 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Die Haare von Steffi Baur sind bereits mit Haarnadeln festgesteckt und unter einer Perückenhaube versteckt. Ihr Gesicht ist grundiert und abgepudert. Jetzt bekommen ihre Augen das außergewöhnlich starke Make-up, ohne das Morticia Addams einfach nicht komplett ist. Foto: Ullrich
Die Haare von Steffi Baur sind bereits mit Haarnadeln festgesteckt und unter einer Perückenhaube versteckt. Ihr Gesicht ist grundiert und abgepudert. Jetzt bekommen ihre Augen das außergewöhnlich starke Make-up, ohne das Morticia Addams einfach nicht komplett ist. Foto: Ullrich
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Bevor der Vorhang aufgeht, herrscht Tumult hinter den Kulissen: Aus Bühnenschönheiten werden für das diesjährige Musical der Landesbühne schrullige Monster. Und das im Viertelstundentakt.

Wilhelmshaven/Norden - „Ich liebe es, die Leute alt und hässlich zu machen“, schwärmt Sonja Gast. „Schön kann jeder.“ Die Maskenbildnerin zieht bei Grandma Addams dank dicker Schminke und zotteliger Perücke alle Register: gemeinsam mit Verena Kloft macht sie aus der Schauspielerin Sybille Hellmann binnen einer knappen Viertelstunde eine Tattergreisin. Noch tiefer in die Trickkiste greift nur Lisa Metzner: Vor ihr sitzt mit Kevin Focke ein leichenblasser Ahne der „Addams Family“, der seit vielen Jahrhunderten sein Unwesen auf dem Friedhof am Anwesen der Familie im Central Park treibt und dessen körperlicher Verfall sichtbar ist.

Was und warum

Darum geht es: Die Landesbühne hat sich die skurrile Familiengeschichte der „Addams Family“ als Musical vorgenommen. Intendant Olaf Strieb spart nicht an optischen wie akustischen Reizen.

Vor allem interessant für: Theaterfans, Liebhaber schaurig-schöner Unterhaltung, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, und Personen, die einfach gern in andere Rollen schlüpfen Deshalb berichten wir: Ein Bühnenspektakel geht auf Reisen zu den Spielorten der ostfriesischen Halbinsel. Erst ein Blick hinter die Kulissen offenbart, was alles für eine gelungene Inszenierung notwendig ist.

Die Autorin erreichen Sie unter: s.ullrich@zgo.de

„Es ist das Schönste, wenn man eine kontrastreiche Verwandlung schaffen kann“, führt Gast aus, während es hinter den Kulissen der Landesbühne am Wilhelmshavener Stadttheater turbulent zugeht. Eine Durchsage ertönt: Der Soundcheck steht an, bevor in nicht einmal mehr 20 Minuten der Vorhang aufgeht. Doch noch sind längst nicht alle Akteure durch die Hände von Chef-Maskenbildnerin Eva Brodowski und ihren Kolleginnen gegangen. Aus der Ruhe bringt sie das nicht. Sie wissen, wie wichtig ihre Arbeit für die Verwandlung der Schauspieler in ihre jeweilige Rolle ist – zumal in dieser außergewöhnlichen Inszenierung, in der annähernd jeder auf der Bühne aussieht, als käme er oder sie frisch aus der Gruft. Erst die Frauen aus der Maske machen mit ihren Schminkpinseln und Haarnadeln aus einer Steffi Baur eine Morticia Addams, aus einer Paula Clausen eine Wednesday oder aus einem Sven Heiß einen Butler Lurch. Gast bringt ihre Aufgabe auf den Punkt: „Sie verwandeln sich bei uns auf dem Stuhl.“

Maskenbildnerin Eva Brodowski verhilft Buttler Lurch (Sven Heiß) zu Leichenblässe. Im Hintergrund bekommt Grandma Addams (Sibylle Hellmann) von Sonja Gast den letzten Schliff. Foto: Ullrich
Maskenbildnerin Eva Brodowski verhilft Buttler Lurch (Sven Heiß) zu Leichenblässe. Im Hintergrund bekommt Grandma Addams (Sibylle Hellmann) von Sonja Gast den letzten Schliff. Foto: Ullrich

„Ein Plädoyer für das Anderssein“

Zu verwandeln hat die Maske einiges: „The Addams Family“ ist in vielerlei Hinsicht ein Spektakel. Intendant Olaf Strieb führt Regie bei dem Musical mit Liedern von Andrew Lippa und bringt bis zu 20 Personen gleichzeitig auf die Bühne. Die 14 singenden und tanzenden Schauspieler teilen sich die schaurige Kulisse von Bühnen- und Kostümbildnerin Cornelia Brey mit sechs Musikern. „Die Musik ist fantastisch, mitreißend, vielseitig“, verkündet Strieb im Pressegespräch im Vorfeld der Premiere. „Da ist für jeden Geschmack etwas dabei“, verspricht er. Sein Ensemble wird unterstützt von Paula Clausen, Kevin Focke und Philipp Osterkamp aus dem Tanzstudio Let’s Dance in Wilhelmshaven sowie Choreografin und Tänzerin Lenke Lemke.

The Addams Family ist ein skurriles Bühnenspektakel. Foto: Beinhorn
The Addams Family ist ein skurriles Bühnenspektakel. Foto: Beinhorn

Im Jahr 2009 wurde das Musical erstmals am Broadway gezeigt. Es basiert auf Figuren von Charles Addams, die zunächst als Comic in den 1930er Jahren die Welt faszinierten und sie schließlich in den 1960er Jahren als Fernsehserie im Sturm eroberten. Zuletzt sorgte im vergangenen Jahr eine Netflix-Serie mit Addams-Spross Wednesday im Mittelpunkt für Aufmerksamkeit beim jüngeren Publikum. „The Addams Family“ – ein zeitloser Stoff also, der das Zeug hat, alle Generationen ins Theater zu locken. So zumindest hoffen alle Beteiligten. Und auch das, unterstreicht Strieb, ist das Musical: „Ein Plädoyer für das Anderssein.“

Eineinhalb Stunden vor Beginn des Stücks beginnen die Maskenbildnerinnen mit der Verwandlung der Darsteller und Musiker. Sie haben pro Charakter nur zehn bis maximal 20 Minuten Zeit. Da muss jeder Handgriff sitzen. Foto: Ullrich
Eineinhalb Stunden vor Beginn des Stücks beginnen die Maskenbildnerinnen mit der Verwandlung der Darsteller und Musiker. Sie haben pro Charakter nur zehn bis maximal 20 Minuten Zeit. Da muss jeder Handgriff sitzen. Foto: Ullrich

Klassische Theaterschminke und jede Menge Haarnadeln

Dieses Anderssein verlangt den Schauspielern einiges ab. Sie schlüpfen in für sie nicht alltägliche Rollen: Die skurrilen Charaktere sind Nachfahren von Hexen, Monstern, Ghulen und anderen von der Gesellschaft ausgestoßenen Kreaturen. Da brauche es auch eine optisch starke Veränderung, damit ihre krasse Verwandlung zur Morticia gelingt, so Steffi Baur: „Maske und Kostüm bewirken in dem Stück eine ganze Menge.“ Sie ist in ihrer Rolle beispielsweise deutlich blasser als im normalen Leben. Und damit ist sie nicht allein.

Maskenbildnerin Lisa Metzner schminkt ein Ahnen (Kevin Focke) mit gekonnten Pinselstrichen und den passenden Farbtönen ein paar Jahrhunderte älter. Im Hintergrund legt Eva Brodowski Hand an den Butler Lurch (Sven Heiß). Foto: Ullrich
Maskenbildnerin Lisa Metzner schminkt ein Ahnen (Kevin Focke) mit gekonnten Pinselstrichen und den passenden Farbtönen ein paar Jahrhunderte älter. Im Hintergrund legt Eva Brodowski Hand an den Butler Lurch (Sven Heiß). Foto: Ullrich

Einzig die drei Mitglieder der augenscheinlichen Durchschnittsfamilie Beineke wirken auf der Bühne nicht leichenblass. Mit klassischer Theaterschminke sorgen die Maskenbildnerinnen dafür, dass die an Zombies erinnernde Optik der meisten Akteure trotz Scheinwerferlicht, Gesang und Tanz im Laufe der Aufführung nichts von ihrer Friedhofs-Frische einbüßt. Erst wird die Haut im Gesicht grundiert. „Das muss ich relativ dick auftragen“, verrät Lisa Metzner. Dann pudert sie die Haut gründlich ab. „Dass es hält und nicht glänzt“, erklärt Eva Brodowski. Morticia bekommt zudem ein wenig dezentes Make-up der Augen, die noch dem Zuschauer in der letzten Sitzreihe im Theater auffallen dürften.

19 Perücken warten geduldig auf ihren Einsatz. Lediglich ein Schauspieler ist während der Inszenierung auf der Bühne "oben ohne". Foto: Ullrich
19 Perücken warten geduldig auf ihren Einsatz. Lediglich ein Schauspieler ist während der Inszenierung auf der Bühne "oben ohne". Foto: Ullrich

Verwandlungstricks wie in Hollywood

Markant sind zudem die Haare: 19 der 20 Mitwirkenden tragen Perücken. Bevor der Fifi auf den Kopf gesetzt werden kann, müssen die echten Haare der Schauspieler und Musiker gebändigt werden. Mit Haarnadeln stecken die Maskenbildnerinnen jede einzelne Strähne nach dem Aufdrehen eng am Kopf anliegend fest. Ein Band mit Silikon wird um den Kopf gelegt, auf dem anschließend die Perückenhaube Halt findet. Die sieht aus wie ein Strumpf und hält die Haare in Zaum. Erst wenn alles sitzt, kommt die Perücke. Laut Sonja Gast ist dies eine schnelle wie bewährte Variante: „Das wird in Hollywood genauso gemacht.“

Paula Clausen begibt sich in die Hände von Verena Kloft (links) und Sonja Gast. Nur 15 Minuten später wird sie vollständig in die Rolle der Wednesday Addams schlüpfen. Foto: Ullrich
Paula Clausen begibt sich in die Hände von Verena Kloft (links) und Sonja Gast. Nur 15 Minuten später wird sie vollständig in die Rolle der Wednesday Addams schlüpfen. Foto: Ullrich

Steffi Baur bekommt nun nach dem Make-up mit tiefschwarzer Mähne und Kleid den letzten Schliff, bevor sie zum Soundcheck geht. Als sie aufsteht, ist der Unterschied überwältigend, das empfindet sie genau so: „Das Kleid und die Haare formen und prägen die Rolle ganz stark.“ Sie wirken sich sogar auf die Art ihrer Bewegungen aus. Für Paula Clausen ist es ganz ähnlich, wenn sie binnen kürzester Zeit zu Wednesdays wird. „Das Kostüm ist ein wichtiger Bestandteil der Rolle“, stellt sie klar. „Es ist etwas ganz anderes, als in der eigenen Alltagskleidung zu stecken. Insbesondere die Schuhe, die langen Ärmel der Kleider und natürlich die Perücke machen Wednesday letztlich komplett.“

Nach vollendeter Verwandlung: Wednesday Addams (Paula Clausen, oben) hat einen der größten Gesangsparts im Musical. Die tanzenden Ahnen im Vordergrund umringen Onkel Fester. Foto: Beinhorn
Nach vollendeter Verwandlung: Wednesday Addams (Paula Clausen, oben) hat einen der größten Gesangsparts im Musical. Die tanzenden Ahnen im Vordergrund umringen Onkel Fester. Foto: Beinhorn

Das Musical

Mit dem Musical „The Addams Family“ ist das Ensemble der Landesbühne auch im ostfriesischen Spielgebiet unterwegs. Am Donnerstag, 28. September, gastiert es im Theater in der Oberschule in Norden. Am Sonnabend, 30. September, wird die Nordseehalle in Emden mit dieser schaurig-schrillen Inszenierung heimgesucht.

Weiter geht es am Dienstag, 10. Oktober, in der Theodor-Thomas-Halle in Esens und am Mittwoch, 11. Oktober, in der Stadthalle Aurich. Am 11. Dezember wird „The Addams Family“ im Theater in der Oberschule Weener und am 21. Dezember in der Aula der KGS in Wittmund gezeigt.

Im Jahr 2024 steht am 26. Januar abschließend das Theater an der Blinke in Leer auf dem Spielplan. Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr. Eintrittskarten gibt es bei den Veranstaltern vor Ort.

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