Nachwuchs im Ehrenamt So rettet der Nabu Wiesmoor-Großefehn sich selbst und das Moor

| | 25.10.2023 15:15 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 7 Minuten
Artikel hören:
Gestellte Gruppenbilder finden sich sonst selten in dieser Zeitung, weil aber so unglaublich viele Unterstützer zum Helfen auf die Moorfläche am Ottermeer kamen, macht die Redaktion eine Ausnahme. Foto: Böning
Gestellte Gruppenbilder finden sich sonst selten in dieser Zeitung, weil aber so unglaublich viele Unterstützer zum Helfen auf die Moorfläche am Ottermeer kamen, macht die Redaktion eine Ausnahme. Foto: Böning
Artikel teilen:

Der Vorsitzende der Nabu-Ortsgruppe, Helmut Hanssen, hatte die Auflösung schon geplant. Doch statt des Endes eines Lebenswerkes gab es am Ottermeer einen Neuanfang – mit so vielen Helfern wie nie.

Wiesmoor - Am Ende der Norderwieke in Wiesmoor geht es erst über einen Damm, dann über einen relativ trockenen Trampelpfad auf die höher gelegenen Moorflächen. Relativ deshalb, weil hier an der tiefsten Stelle die Stiefel bis über die Knöchel im Boden versinken. Für ein Moor ist das gut, für die mehr als 30 Helfer, die mit geschulterten Astscheren, Motorsensen und Heckenscheren ihren Weg durchs Unterholz bahnen, eine echte Herausforderung. Die Ortsgruppe Wiesmoor-Großefehn des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) hat zum Arbeitseinsatz geladen – sie sind dem Ruf ins Moor im Landschaftsschutzgebiet „Am Ottermeer“ gefolgt.

Was und warum

Darum geht es: Jetzt ist es offiziell – der Vorstand der Nabu-Ortsgruppe Wiesmoor-Großefehn hat sich um einen Schlag um etwa 40 Jahre verjüngt. Beim ersten Arbeitseinsatz nach der Wahl war die Redaktion dabei.

Vor allem interessant für: Moorfreunde, Naturschützer und alle, die ein Herz für das letzte Stück ursprüngliches Wiesmoor haben

Deshalb berichten wir: Jetzt traf sich die Nabu-Gruppe mit Helfern zum ersten Arbeitseinsatz am Ottermeer.

Die Autorin erreichen Sie unter: n.boening@zgo.de

Den Damm hat Nabu-Mitglied Alfred Christochowitz vor etwa 20 Jahren gebaggert. Er ist an diesem Tag dabei, um die Arbeit fortzuführen, die der Nabu hier seit 1986 übernommen hat: Es geht darum, Moorflächen zu retten und den dort hochkommenden Bäumen zu Leibe zu rücken. „Ein Mann der ersten Stunde“, nennt ihn der ehemalige Nabu-Vorsitzende Helmut Hanssen. Menschen wie er haben die Grundlage dafür gelegt, sagt Hanssen, dass heute überhaupt noch etwas erhalten werden kann. Gemeinsam haben sie den Vorfluter aus dem Industriegebiet, der vorher mitten durch die Moorfläche lief, an den Rand verlegt. Haben alles dafür getan, das Wasser im Moor zu halten.

Nabu-Urgesteine haben den Grundstein gelegt

Christochowitzʼ Damm sorgt noch heute dafür, dass nicht noch mehr Wasser abfließt und das Moor noch trockener wird. Ein noch trockeneres Moor würde auch heißen, dass sich noch mehr Bäume ansiedeln, noch mehr Arbeit für die Trupps, die sich hier an inzwischen vier festen Terminen im Jahr zum Entkusseln treffen. So nennt man es, wenn auf Moorflächen aufgrund von Entwässerung wachsende Bäume beseitigt werden. „Wäre es feucht genug, könnten die Birken gar nicht keimen“, sagt Hanssen.

„Ich hasse nichts mehr als schlechtes Werkzeug“, sagt Helmut Hanssen (rechts). Er hat vorgesorgt – seine Astscheren schneiden Birkenstämmchen wie Butter. Mit im Bild Nabu-Urgestein Alfred Christochowitz. Foto: Böning
„Ich hasse nichts mehr als schlechtes Werkzeug“, sagt Helmut Hanssen (rechts). Er hat vorgesorgt – seine Astscheren schneiden Birkenstämmchen wie Butter. Mit im Bild Nabu-Urgestein Alfred Christochowitz. Foto: Böning

Als die Gruppe das Ziel erreicht, holt er mit einer großen Geste aus und schwenkt die Hand einmal über die vor ihm liegende Landschaft. „So sah es in Wiesmoor früher überall aus“, sagt er und macht eine lange Pause, in der diese Information in die Köpfe der Helfer sickert. Kurz ist es ruhig, in den Füßen ist auf dem federnden Moorboden jede Bewegung im Umkreis zu spüren. Viele der Helfer sind neu dabei. Mit jedem Neuankömmling am Treffpunkt am Ende der Norderwieke wurde Helmut Hanssen ein wenig aufgeregter. Er kann es noch immer kaum fassen. Es sind so viele Helfer wie nie.

Aufregung um Nabu-Projekt bringt die Rettung

Noch bis zum Sommer hatte er monatelang darüber nachgedacht, wie er die Ortsgruppe auflösen kann. Veralteter Vorstand, kein Nachwuchs. Die gleiche Geschichte, wie in vielen Vereinen. Es gab Zeiten, da trafen sich zum Arbeitseinsatz gerade einmal vier Leute. Jetzt sind es mehr als 30. Vom Kind bis zu den Nabu-Urgesteinen, auch Anwohner und Mitglieder der Bürgerinitiative Ottermeer sind dabei.

Nur die Blaubeersträucher blieben stehen und boten bei den Regengüssen wie diesem den Helfern ein wenig Schutz. Foto: Böning
Nur die Blaubeersträucher blieben stehen und boten bei den Regengüssen wie diesem den Helfern ein wenig Schutz. Foto: Böning

Anlieger haben sie gegründet, weil sie fürchten, dass durch ein Wiedervernässungsprojekt am Ottermeer großflächig gewachsene Natur zerstört wird und schützenswerte Pflanzen und Tiere ihren Lebensraum verlieren könnten. Der Hintergrund: Der Nabu hatte im Sommer beim Landkreis Aurich und bei der Stadt Wiesmoor angefragt, ob Interesse an einem vom Nabu-Klimafonds finanzierten Klimaschutzprojekt zur Wiedervernässung von Flächen im Landschaftsschutzgebiet „Am Ottermeer“ besteht.

Vorstand wird 40 Jahre jünger

Damals hatte Helmut Hanssen, der von dem Projekt genauso überrumpelt wurde wie die Anwohner, bei der Bürgerinitiative keinen guten Stand. Jetzt entkusseln sie Seite an Seite. Ein weiterer Grund dafür, warum er an diesem Tag so glücklich aussieht. Was noch wichtiger ist: Auch die Zukunft der Nabu-Ortsgruppe ist gesichert. Vom neuen Vorstand und dem Beirat sind an diesem Tag viele dabei. Unter ihnen Kassenwartin Jessica Amelsberg und der neue Vorsitzende Marco Hollwedel. Mit dem zweiten Vorsitzenden Eike Doyen und der stellvertretenden Vorsitzenden Dijana Kreko sorgen sie dafür, dass es in der Nabu-Ortsgruppe weitergeht – und dafür, dass sich der Vorstand mal eben um etwa 40 Jahre verjüngt.

Kurze Pause bei den Pflegearbeiten im Landschaftsschutzgebiet am Ottermeer. Foto: Böning
Kurze Pause bei den Pflegearbeiten im Landschaftsschutzgebiet am Ottermeer. Foto: Böning

Die Helfer stehen auf einer der Moorflächen, die man auch als Lebenswerk Helmut Hanssens und der anderen Mitglieder der ersten Stunde bezeichnen kann. Dieses Stück altes Wiesmoor hat einfach Glück gehabt. Glück, dass die Norderwieke doch nicht weitergebaut wurde. Glück, dass der Nabu nach Abschluss der Entwässerungsmaßnahmen und mit Beginn des aufkommenden Baumbewuchs den Erhalt und die Pflege der Flächen übernahm.

Drohendes Ende eines Lebenswerks

Letztendlich war es auch Glück, dass das Nabu-Projekt zur Wiedervernässung für so viel Wirbel sorgte – und Helmut Hanssen vor den Stadtpolitikern die Wogen glätten musste. Damals berichtete er vom nahen Ende der Ortsgruppe. Ein Glück auch, dass Stadtratsmitglied Thomas Wright (SPD) einfach nicht akzeptieren wollte, dass eine Ära endet und ein Lebenswerk bedroht ist, „und damit ja auch ein Stück Wiesmoorer Geschichte“, sagt Wright.

Die Spekulatius in der Pause interessierten besonders den vierbeinigen Helfer. Foto: Böning
Die Spekulatius in der Pause interessierten besonders den vierbeinigen Helfer. Foto: Böning

Sonst hätte er vielleicht nicht in seinem Bekanntenkreis nach Menschen gesucht, die beim Nabu Verantwortung übernehmen wollen, und mit der Anfrage offene Türen eingerannt. „Ich hatte das Gefühl, vielen kam diese neue Aufgabe ganz gelegen“, sagt Wright im Nachhinein und lacht am Telefon. Seine Generation habe ein großes Interesse am Umwelt- und Naturschutz. „Die meisten hatten nur einfach keine Vorstellung davon, was der Nabu eigentlich macht“, fügt er hinzu. Das ist jetzt anders.

Aufgaben für viele Schultern

In vielen Gesprächen haben Beisitzer und der neue Vorstand „aufgedröselt“, was die Aufgaben und Projekte des Nabu sind, vom Nistkästenbau für Eulen, den Fledermausschutz bis hin zu den Entkusselungsaktionen im Moor. Was bisher allein an Helmut Hanssen hing, wurde auf viele Schultern verteilt. Hanssen hatte die Nabu-Ortsgruppe mit Dieter Wensel im Jahr 1982 gegründet und seitdem mit ihm gemeinsam geleitet. „Wenn wir nur einen Ersatz für Helmut gesucht hätten, wären wir gescheitert“, sagt Wright, der selbst im Beirat des Nabu aktiv ist: „Dafür hätte man einen Biologen im Ruhestand gebraucht, nicht junge Menschen mitten im Berufsleben.“

Bei einem Ende der Nabu-Ortsgruppe wäre wohl auch der Einsatz ihrer Mitglieder am Ottermeer über Jahrzehnte umsonst gewesen. Dann würden die Bäume wachsen, wie auf den Flächen rundherum. „Dann hätten wir hier einen Wald, der auf jedem beliebigen Maisacker stehen könnte“, sagt Helmut Hanssen. Das wäre das Ende der besonderen Moorlebensräume mit ihrer typischen Pflanzen- und Tierwelt. Darunter eine der laut Hanssen niedersachsenweit größten Vorkommen der Moorlilie. Die Pflanze gehört zu den bedrohten Arten, weil ihr Lebensraum schwindet. Am Ottermeer färbt sie zur Blütezeit noch riesige Flächen gelb.

Ein Rest altes Wiesmoor und viele Pläne

Viel dieses alten Wiesmoors ist nicht übrig. Nur hier am Ottermeer, sagt Hanssen. „Unser Kleinod“, nennt er diese Flächen deshalb. Inzwischen schallt der Lärm der Motorsensen über das immer kahler werdende Moor. Ein Bäumchen nach dem anderen fällt. Manche Helfer nutzen die gezähnte Kraft der Sägeblätter, andere setzen mit Astscheren und Heckenscheren eher auf Muskelkraft.

Am Ende ist Hanssen nicht nur zufrieden, sondern glücklich. Es sind viele Helfer, es ist viel geschafft – sogar mehr als jemals in nur drei Stunden. Vielleicht muss er mit ein paar Leuten noch zwischendurch nacharbeiten, aber viel ist nicht mehr zu tun. Am 11. November geht es weiter – mit allen Helfern. Zwei weitere Termine folgen im Januar und Februar. Dann kehrt ans Moor am Ottermeer wieder Ruhe ein.

Nicht aber in die neu aufgestellte Nabu-Ortsgruppe. Die hat sich viel vorgenommen für die Zukunft: Vorträge, Exkursionen, Fahrradtouren und Vereinstreffen sind geplant, um das Interesse an der Natur zu wecken und zu fördern. Wer sich anschließen möchte, kann sich unter der Telefonnummer 04944/3943 informieren. Der Veranstaltungsplan für das nächste Jahr ist in Arbeit und wird bald veröffentlicht.

Ähnliche Artikel