Neuer Studiengang Uni Oldenburg bildet Plattdeutschlehrer aus

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| 15.11.2023 18:17 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Ein Lehrbuch für das Studium an der Universität in Oldenburg ist die Niederdeutsche Grammatik. Foto: Schuldt/dpa
Ein Lehrbuch für das Studium an der Universität in Oldenburg ist die Niederdeutsche Grammatik. Foto: Schuldt/dpa
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An der Uni Oldenburg gibt es einen neuen Studiengang; Niederdeutsch. Aber kann das die plattdeutsche Sprachen retten?

Oldenburg/Ostfriesland - André Tamino Graën ist jemand, der sich für Sprache begeistern kann. Eine Zeit lang lernte der 25-Jährige intensiv japanisch. Als sein Opa starb, erfuhr er, dass dieser einer der Letzten in seinem Dorf war, der plattdeutsch konnte. Mit der Familie hatte der Großvater nur hochdeutsch gesprochen.

„Wir Kinder haben uns nur gewundert, dass er manche Wörter anders ausgesprochen oder andere Begriffe verwendet hat“, sagt Graën, der aus der Region Hildesheim kommt. Sein Interesse an der Sprache war geweckt, er fing an, niederdeutsch zu lernen. „Für mich ist das ein Teil meiner Herkunft, meiner Identität“, sagt er. Trotz seines Jobs als Softwareentwickler fing er noch mal an zu studieren.

44 Schulen unterrichten

Graën ist einer von neun Studierenden im neuen Studiengang „Niederdeutsch“, der an der Universität Oldenburg zum Wintersemester 2023/24 gestartet ist. Das Studium ist einzigartig in Niedersachsen, bislang konnte Niederdeutsch nur innerhalb des Fachs Germanistik studiert werden. Ziel ist es, mehr Lehrkräfte für Niederdeutsch auszubilden, um das Fach in weiterführenden Schulen anbieten zu können.

Zwar gibt es in Niedersachsen nach Angaben des Kultusministeriums 44 zertifizierte Schulen, an denen Niederdeutsch oder Saterfriesisch als Unterrichtsfach angeboten wird. Dazu kommen Modellschulen, in denen zum Beispiel AGs angeboten werden. In beiden Kategorien sind aber vor allem Grundschulen vertreten. Auch in Ostfriesland sind vor allem viele Grundschulen als plattdeutsche Schulen zertifiziert, aber auch weiterführende Schulen wie die Realschule Möörkenschule in Leer, die Haupt- und Realschule Collhusen und die KGS Hage-Norden. „Wenn Niederdeutsch als Unterrichtsfach an weiterführenden Schulen etabliert wird, kann das die Chance erhöhen, dass die Sprache lebendig bleibt“, sagt Doreen Brandt, Juniorprofessorin für Niederdeutsche Literatur in historischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive an der Universität Oldenburg.

Platt wird nicht mehr zu Hause gelernt

Denn so wie in André Tamino Graëns Familie wird im Alltag kaum noch plattdeutsch gesprochen. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurde die Sprache immer mehr vom Hochdeutschen verdrängt. „Plattdeutsch wurde als Bildungshindernis gesehen“, sagt Professorin Brandt. Sie selbst stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, auch ihre Großeltern sprachen plattdeutsch – ihre Eltern schon nicht mehr. Sie bedauere heute, dass sie somit nur passive Kenntnisse erwarb. „Erst seit rund 15 Jahren gibt es eine neue Bewertung der Sprache“, sagt Reinhard Goltz vom Institut für niederdeutsche Sprache in Bremen. Erhebungen hätten ergeben, dass in Norddeutschland zwischen 1984 und 2007 die Zahl der aktiven Sprecherinnen und Sprecher erheblich kleiner geworden sei. „Wäre das so weitergegangen, wäre die Sprache ausgestorben“, sagt Goltz. Doch bei einer weiteren Umfrage 2016 zeigte sich, dass die Zahl der Sprechenden mit mehr als zwei Millionen im Vergleich zu 2007 stabil geblieben sei.

André Tamino Graën gehört zu den Studenten, die im neuen Semester „Niederdeutsch“ studieren. Foto: Schuldt/dpa
André Tamino Graën gehört zu den Studenten, die im neuen Semester „Niederdeutsch“ studieren. Foto: Schuldt/dpa

„Die Sprache ist wieder positiv besetzt“, sagt Goltz. Die Weitergabe der Sprache an die nachwachsende Generation aber finde nicht mehr in der Familie statt, sondern in der Schule, in plattdeutschen Theatergruppen, beim Poetry Slam und in Bands. So fand etwa in Leer am letzten Sonnabend der Landeswettbewerb „Plattsounds“ statt, bei dem der beste plattdeutsche Song in Niedersachsen gesucht wurde.

Plattdeutscher Instagram-Kanal

Zu den wenigen weiterführenden Schulen, die als plattdeutsche Schule in Niedersachsen zertifiziert ist, gehört auch die Edewechter Oberschule im Ammerland. Plattdeutsch wird dort in den Klassen 6 bis 8 als Wahlpflichtkurs angeboten. „Wir haben dafür immer guten Zulauf“, sagt Lehrerin Katrin Konen-Witzel. Sie hat im Auftrag des Kultusministeriums mit Heike Hiestermann das erste Lehrwerk für den Unterricht in der Sekundarstufe 1 erstellt.

„Früher haben wir mit Kopien gearbeitet“, sagt Konen-Witzel. „Durch das Schulbuch hat das Fach eine Aufwertung bekommen.“ In der Pause werde sie von Schülern manchmal sogar auf Plattdeutsch angesprochen. „Das ist schon toll“, sagt sie. Die Schule entwickelte in Anlehnung an das Latinum auch das Zertifikat „Plattinum“, das alle Schüler und Schülerinnen erhalten, die zwei Jahre lang Niederdeutsch gelernt haben. Zudem betreiben die Schüler den plattdeutschen Instagram-Kanal „Plattedo42“. Konen-Witzel: „Das Interesse an der Sprache lebt auch davon, dass man immer wieder neue Ideen hat.“

Es gibt 20 Studienplätze – neun sind besetzt

In Mecklenburg-Vorpommern absolvierten in diesem Jahr erstmals zwei Schülerinnen eine mündliche Abiturprüfung im Fach Plattdeutsch. Von dieser Möglichkeit ist Niedersachsen noch weit entfernt. „Das Problem ist: Wir brauchen Lehrer und Lehrerinnen“, sagt Konen-Witzel. Bis die ersten Oldenburger Studierenden ihren „Master of Education“ in Niederdeutsch in der Tasche haben, wird es noch ein paar Jahre dauern.

Professorin Brandt hofft, dass das Interesse am neuen Studiengang noch wachsen wird. „Wir haben eine Kapazität von 20 Studienplätzen“, sagt sie. Niederdeutsch-Kenntnisse seien keine Voraussetzung. „Die Sprachpraxis mit ostfriesisch geprägtem Plattdeutsch ist Teil des Studiengangs“, sagt sie. Die meisten Studierenden kämen aus Norddeutschland und hätten familiäre Anknüpfungspunkte an die Sprache. „Eine gewisse Vertrautheit mit der Sprache ist da“, sagt Brandt.

Nicht viel Hoffnung

André Tamino Graën hatte sich bereits drei Jahre mit Plattdeutsch beschäftigt, bevor er das Studium begann. Trotzdem lernt er noch viel Neues dazu. „Die ostfriesische Variante ist deutlich anders als das, was ich bisher kannte“, sagt er. Ob er tatsächlich nach dem Studium als Lehrer arbeiten wird, hat er noch nicht entschieden. Er kann sich auch einen Job in der Forschung vorstellen.

Dass aber tatsächlich irgendwann wieder in den Familien Plattdeutsch als zweite Sprache gesprochen wird, so wie vor 60, 70 Jahren, damit rechnet der Student nicht. „Dafür habe ich keine große Hoffnung“, sagt er.

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