Das war 2023 Von schweren Zeiten und Hoffnungsträgern

| 29.12.2023 19:19 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 8 Minuten
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Das Jahr 2023 ist bald Geschichte. Zeit für einen Blick zurück: Was hat uns bei der OZ in diesem Jahr besonders bewegt? Sechs Mitarbeiter geben ganz persönliche Einblicke.

Ostfriesland - Das Jahr 2023 ist bald Geschichte. Zeit für eine Bilanz. Welche Ereignisse haben uns in den zurückliegenden zwölf Monaten besonders berührt? Mit welchen Themen haben wir uns intensiv auseinandergesetzt? Welchen Herausforderungen mussten wir uns stellen? Chefredakteur Lars Reckermann und fünf Kollegen aus verschiedenen Redaktionen werfen einen Blick zurück auf ein Jahr mit Tiefen und Höhen.

Lars Reckermann berichtet von Veränderungen

Kurz bevor ich am 1. November dieses Jahres meine Stelle als Chefredakteur angetreten bin, habe ich ganz viele Mails an Menschen in Ostfriesland gesendet und mich quasi selbst zu einem Gespräch eingeladen. Kurz zum Inhalt der Mail: „Hallo. Ich bin der Neue. Darf ich mich Ihnen vorstellen?“ Von der Resonanz bin ich noch immer schwer beeindruckt. Täglich habe ich meist mehrere Termine und lerne so regelmäßig neue Menschen kennen.

Lars Reckermann trifft oft auf die Frage: „Was wollen Sie verändern?“ . Foto: Ortgies
Lars Reckermann trifft oft auf die Frage: „Was wollen Sie verändern?“ . Foto: Ortgies

Natürlich möchte ich diese Zeitung digitalisieren. Anders: Ich muss sie digitalisieren. Besser noch: Wir, also alle Mitarbeitenden im Verlag, müssen den digitalen Weg gehen. Dennoch ersetzen aus meiner Sicht keine Videokonferenzen das persönliche Gespräch. Fast immer ist eine der ersten Fragen bei meinen Gesprächen: „Was werden Sie verändern?“ Wenn ich dann mit der Gegenfrage antworte: „Was würden Sie ändern?“, bekomme ich exakt so viele unterschiedliche Antworten, wie ich Gesprächspartner habe. „Mehr Sport“, sagt der Sportler. „Mehr Politik“ der Politiker.

Wir wollen im neuen Jahr digital wachsen: mit Videos und Audios. Wir wollen mehr Meinung: mit Podiumsdiskussionen. Wir wollen mehr Dossiers: Schauen Sie doch jetzt schon einmal in die Rubriken „Wie lebt Ostfriesland?“ und „Landwirtschaft im Wandel“. Und wir werden 2024 vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen für den sicheren Umgang mit Nachrichten werben.

Ute Nobel schätzt Familien

2023 habe ich wieder viel und gerne über das Thema Familie geschrieben. Besonders hat mich in diesem Jahr gefreut, dass der Begriff Familie mittlerweile viel mehr fasst als Vater, Mutter, Kind. Familie, das sind beispielsweise zwei Frauen, die sich viele Jahre lang ein gemeinsames Kind wünschen und deren Ehe fast an den Hürden der künstlichen Befruchtung scheiterte. Diese Geschichte über Amke und Melina war eines meiner Jahreshighlights. Familie steckt aber auch in der Geschichte über die junge Frau aus Leer, die sich sterilisieren lassen möchte, aber keinen Arzt findet, der ihr hilft. Sie hat sich gegen eine zukünftige Familie im konventionellen Sinne entschieden, dafür aber große Unterstützung innerhalb ihres Umfelds erfahren.

Ute Nobel hat sich viel mit Familienthemen befasst. Foto: Ortgies
Ute Nobel hat sich viel mit Familienthemen befasst. Foto: Ortgies

Und auch auf die vielen eher humorvollen Kolumnen zum Thema Familie oder auf meinen ganz persönlichen Blick zur Problematik der Elterntaxis habe ich in diesem Jahr viele Rückmeldungen aus der Leserschaft erhalten. „Da steckt Musik drin“, hätte ein ehemaliger Mitarbeiter dieser Zeitung gesagt.

Die Geschichte von Melina (links), Amke und Sohn Lönne hat viele Menschen berührt. Foto: Nobel
Die Geschichte von Melina (links), Amke und Sohn Lönne hat viele Menschen berührt. Foto: Nobel

Und das freut mich besonders: Denn vor allem in schwierigen Zeiten ist die Familie wichtiger denn je. Deshalb wünsche ich allen Leserinnen und Lesern fürs kommende Jahr den Mut, sich ihre Familie so zu gestalten, wie sie es möchten und das Glück, liebe Menschen um sich zu haben, die sie Familie nennen dürfen – ganz egal, ob es nun Blutsverwandte, Partner oder Freunde sind.

Andreas Ellinger registriert wachsende Unzufriedenheit

Digitalisierung, Energiewende, Öffentlicher Personen-Nahverkehr, Lehrerversorgung – Politikversagen allenthalben. In diesem Jahr haben sich viele Leserinnen und Leser bei mir gemeldet, die nicht nur ein bisschen unzufrieden sind, sondern verzweifelt bis zornig. Bei etlichen ist das Vertrauen in den Staat massiv beschädigt.

Unsere Demokratie ist marode. Ein grundlegendes Problem ist der Mangel an Transparenz. Informationen sind die Voraussetzung, um Fehlentwicklungen erkennen und beseitigen zu können. Doch politische Gremien wie Kreisausschüsse tagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Presseanfragen werden oft nicht oder nur mangelhaft beantwortet. Dass es in Niedersachsen immer noch kein Informationsfreiheitsgesetz gibt, ist ein Skandal.

Funktioniert der Rettungsdienst in Ostfriesland fragte Andreas Ellinger immer wieder. Foto: Führer/dpa
Funktioniert der Rettungsdienst in Ostfriesland fragte Andreas Ellinger immer wieder. Foto: Führer/dpa

Die medizinischen Versorgungsdefizite in Ostfriesland sind ein Beispiel dafür, wie sich das auswirkt. Insbesondere Klinik-Unternehmen verweigern Presseauskünfte. Verwaltungen sind nur bedingt auskunftsbereit: Sie erwecken etwa den Eindruck, als funktioniere der Rettungsdienst trotz aller Personalengpässe ausreichend. Soweit recherchierbar, bleiben Defizite über Jahre hinweg bestehen – oder sie vergrößern sich sogar. Ergebnis: Es gibt kapazitätsschwache Kliniken, zu wenige Ärzte für die ambulante Versorgung und immer wieder Fälle, in denen ein Rettungswagen spät kommt oder fragwürdigerweise nicht mal geschickt wird. Es ist nicht absehbar, dass sich an diesen Zuständen etwas ändert. Ein unzensiertes Lagebild wäre essenziell für Korrekturen. Die Unzufriedenheit wächst.

Claus Hock schreibt über Neonazis

Für viele Ostfriesen war es ein Schock: Auch bei uns gibt es Neonazis und auch noch solche, die Verbindungen zu den mittlerweile verbotenen Hammerskins haben. Dabei wird von offizieller Seite immer wieder betont, dass es in unserem schönen Ostfriesland keine rechten Strukturen gibt, sondern nur Einzelpersonen. Ein Konzert im August in der Gemeinde Krummhörn im Landkreis Aurich zeigte dann aber, dass auch Einzelpersonen durchaus dazu in der Lage sind, einige zum Teil gewaltbereite Neonazis unter dem Deckmantel einer „unpolitischen“ Veranstaltung nach Ostfriesland zu holen.

Claus Hock hat Schockierendes aufgedeckt. Foto: Ortgies
Claus Hock hat Schockierendes aufgedeckt. Foto: Ortgies

Mich persönlich hat das nicht überrascht, zu oft gab es schon Hinweise darauf, dass es neben Mooren auch einen braunen Sumpf in unserer Region gibt. Positiv an dem Konzert war, dass es erstmals Namen gab. Namen, die auf eine längere Tradition rechter Umtriebe in der Region hindeuten. Namen, die einen Blick auf die „persönlichen Kennverhältnisse“ erlauben, die der Staat nicht als Netzwerke anerkennen will. Oft und lange, so mein Eindruck, hat man bei uns im Hinterland lieber weggesehen als das zu benennen, was ist: Auch hier gibt es Neonazis. Und egal, wie oft mich Leser ins Gulag wünschen oder mich auf Sozialen Netzwerken beleidigen: Ich werde weiter hinsehen.

Daniel Noglik freut sich über Erfolge

Journalistisch besonders gemacht hat das Jahr 2023 für mich ein Format, das ich gemeinsam mit den beiden Kolleginnen Nikola Nording und Ulrike Grensemann aufbauen durfte: der True-Crime-Podcast „Aktenzeichen Ostfriesland“. Zwar sind ein paar Folgen schon im Dezember des vergangenen Jahres erschienen, aber so richtig los ging es für uns und das neue Format erst in diesem Jahr. In der ersten Staffel haben wir uns mit der Wiesmoor-Connection beschäftigt, die den Großteil meiner Recherche-Arbeit im Jahr 2022 bestimmt hat – und wir waren überwältigt davon, wie viele Menschen uns zugehört haben.

Daniel Noglik ist stolz auf den Podcast „Aktenzeichen Ostfriesland“. Foto: Ortgies
Daniel Noglik ist stolz auf den Podcast „Aktenzeichen Ostfriesland“. Foto: Ortgies

Mit der zweiten Staffel über den Todesfall der Millionärin Gerda Basse aus dem Herbst 2016 konnten wir in diesem November aber noch eins draufsetzen: Wir erreichten noch mehr Hörerinnen und Hörer und konnten erstmals einen Werbe-Partner für unseren Podcast gewinnen. Der Erfolg der beiden Staffeln hat uns und dem ganzen Verlag gezeigt, dass Podcasts eine wichtige Säule journalistischer Arbeit sind – auch im Regionalen. Dabei ersetzen sie keine Videos oder die geschriebenen Artikel. Stattdessen ist der Audio-Bereich ein ganz eigenständiges Format.

Wo, wenn nicht im eigenen Ohr, können wir unseren Nutzerinnen und Nutzern ganz nah sein? Mit keinem anderen journalistischen Format können Emotionen so gut transportiert, können auch ganz persönliche Einblicke so plastisch gewährt werden wie mit einem Podcast. Dass mit „Aktenzeichen Ostfriesland“ unser aktuelles Flaggschiff ein Format über Kriminalfälle in der Region ist, ist kein Zufall: Es ist kein Geheimnis, dass diese Art Podcast am beliebtesten ist und die meisten Nutzer und Nutzerinnen erreicht.

Martin Teschke hat VW im Blick

Nach annähernd drei Jahrzehnten in der Wirtschaftspolitik darf ich behaupten, selten zuvor solch ein Auf und Ab bei nur einem einzigen Industrieunternehmen erlebt zu haben wie in diesem Jahr bei VW. An manchen Tagen wusste man gar nicht mehr, ob man weiter bangen sollte oder vielleicht schon ein wenig hoffen durfte angesichts der Neuigkeiten, die da aus dem Volkswagen-Universum ans Licht der Öffentlichkeit kamen.

Martin Teschke erlebte Höhen und Tiefen mit VW. Foto: Ortgies
Martin Teschke erlebte Höhen und Tiefen mit VW. Foto: Ortgies

Tatsächlich hat das Emder Werk – mit seinen 8500 Mitarbeitern ein Eckpfeiler der Kernmarke VW – in diesem Jahr sämtliche Turbulenzen mitgenommen, die man sich ausdenken kann. Zuerst die Vorfreude auf den ID.7 bei der Präsentation Ende März in Spanien, der feierliche Produktionsstart Ende August in Emden, die Wahl zum „Auto des Jahres“ Anfang Oktober. Und zwischendurch die Hiobsbotschaften. Der Absatz des ID.4 läuft konjunkturbedingt miserabel, Schichten werden reduziert, Zeitarbeiter verlieren ihre Arbeit. Dann auch noch Produktionsstopps beim Dauerbrenner Passat, weil Zahnkränze wegen Hochwassers in Slowenien nicht lieferbar sind. Und obendrein die Entscheidung aus Berlin, Nutzern von Dienstwagen – also der Kernkundschaft von VW Emden – den Umweltbonus zu streichen. Erwähnt werden müssen wohl auch holprige Wolfsburger Strategien im Vertrieb und in der Software-Sparte.

Zum Jahresende gab es gute Nachrichten für das Emder VW-Werk. Foto: Penning/dpa
Zum Jahresende gab es gute Nachrichten für das Emder VW-Werk. Foto: Penning/dpa

Der Beschluss aus der Konzernzentrale, weitere Hunderte Millionen in Emden zu investieren, war da wirklich eine Befreiung zum Jahresende. Sicher ist nur: Auch 2024 wird turbulent. Wir behalten VW im Blick.

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