Drohende Abschiebung in der Krummhörn Eltern des schwerkranken Mohammed nach wie vor in Angst


Der zweijährige Mohammed ist dringend auf medizinische Hilfe angewiesen. Trotzdem ist eine Abschiebung noch immer nicht vom Tisch, befürchtet der Krummhörner Asylkreis. Nun äußert sich der Landkreis.
Rysum - Für die Familie Abdallah ist der 18. Februar ein wichtiger Stichtag. Denn bis dahin könnte sie theoretisch jederzeit aus Deutschland nach Spanien abgeschoben werden. Und das, obwohl ihr schwerbehinderter Sohn Mohammed dringend auf medizinische Behandlung angewiesen ist, die er hier in Deutschland bekommen könnte. Einmal hat der Landkreis Aurich schon versucht, die Abschiebung durchzuführen. Das war in der Nacht vom 14. auf den 15. Januar 2024, doch da war Mohammeds Vater, Ibrahim Abdallah, nicht zuhause.
Die Familie ist 2022 aus Gaza über Spanien nach Deutschland geflohen und lebt nun in Rysum in der Krummhörn. Damals herrschte in Gaza zwar noch kein Krieg, aber für den schwerkranken Mohammed gab es in seiner Heimat keine Perspektive auf Behandlung - Kinder mit Behinderungen werden dort oft verfolgt oder diskriminiert. „Wenn wir mit ihm dort auf die Straße gehen, werden wir mit Steinen beworfen“, sagte sein Vater Ibrahim Abdallah dazu im Januar gegenüber dieser Zeitung.
Das sagt der Landkreis Aurich
Mohammed leidet unter einer seltenen Krankheit, dem Crouzon-Syndrom. Dabei verschließen sich die knöchernen Verbindungen der Schädeldecke vorzeitig, wobei im Inneren des Kopfes ein großer Druck entsteht. Die Folge sind Verformungen des Schädels, des Gaumens, Fehlstellungen der Augen, Schluckstörungen sowie Probleme bei der Atmung. Als Folge der Krankheit hat der Zweijährige bereits die Hörfähigkeit verloren. Weil er seine Augen nicht vernünftig schließen kann, befürchten seine Eltern nun, dass er bald auch erblinden könnte.
Für seine Eltern und für den Krummhörner Asylkreis ist es deshalb nicht nachvollziehbar, dass der Landkreis Aurich trotz der Umstände an dem Überstellungsvorhaben festhält. Der Landkreis Aurich wollte sich auf Nachfrage dieser Zeitung aus datenschutzrechtlichen Gründen zunächst nicht zum konkreten Fall der Familie äußern. Also haben wir uns die Einverständniserklärung zur Einsicht und Freigabe personenbezogener Daten von der Familie Abdallah geben lassen und noch einmal nachgefragt.
Frist endet in Kürze
Kreissprecher Lennart Adam schreibt, dass es sich bei der versuchten Abschiebung der Familie um die „Umsetzung des geltenden EU-Rechts“ im Sinne der Dublin-Verordnung handele. Konkret bezieht er sich auf Artikel drei und Artikel 18. Dort wird festgelegt, dass innerhalb der Europäischen Union das Asylverfahren grundsätzlich in dem Land durchgeführt werden muss, welches die Asylsuchenden bei ihrer Flucht nach Europa als Erstes betreten haben. Im Fall der Familie Abdallah war das Spanien, weshalb die Familie auch nach Spanien abgeschoben werden soll. Die Frist, die Deutschland zur Überstellung nach Spanien hat, läuft am 18. Februar aus.
Immerhin: „Im vorliegenden Fall endet die Rücküberstellungsfrist in Kürze. Es ist fraglich, ob aufgrund der kurzen Zeit bis dahin ein weiterer Rücküberstellungsversuch erfolgen wird“, schreibt Lennard Adam. Aber: Bei Familie Abdallah ist nun ein neues Schreiben des Landkreises eingetrudelt, in dem Familienvater Ibrahim Abdallah eine Ordnungswidrigkeit vorgeworfen wird, weil er beim ersten Überstellungsversuch nicht zuhause war. Dieses Schreiben liegt der Redaktion vor. Demnach hätte er seine Abwesenheit spätestens einen Tag vorher bei der Ausländerbehörde des Landkreises melden müssen und zudem angeben müssen, wo er sich stattdessen aufhält. Nun befürchten die Abdallahs und der Asylkreis Krummhörn, dass die Frist zur Abschiebung deshalb über den 18. Februar hinaus verlängert werden könnte.
Deshalb war der Vater nicht zuhause
Zur Begründung der Abwesenheit von Ibrahim Abdallah schreibt Astrid Mull vom Asylkreis Krummhörn: „Der Tag des 14. Januars war ein sehr anstrengender Tag für die Familie. Frau Abdallah ist im vierten Monat schwanger und ihr ging es durch das tägliche Erbrechen nicht gut. Herr Abdallah hat sich weitgehend um die Rundumversorgung von Mohammed gekümmert.“ Ibrahim Abdallah habe das Haus um circa 23.45 Uhr verlassen, um zu rauchen und den Kopf freizubekommen. „Durch die immensen Sorgen, welche Herr Abdallah sich um seine Familie macht, brauchte er eine Auszeit und verließ die unmittelbare Umgebung des Hauses“, schreibt Astrid Mull. „An die Pflicht einer Mitteilung im Flur hat er dabei nicht gedacht.“ Als er circa 70 Minuten später nach einem langen Spaziergang nach Hause kam, habe er seine aufgelöste Frau im Flur vorgefunden, die ihm vom Abschiebungsversuch erzählte.
Der Asylkreis zeigt sich schockiert von diesem Vorfall. Eine Abschiebung „wäre das Todesurteil für den kleinen Mohammed“, schreibt Astrid Mull. Der Asylkreis sieht in dem Abschiebungsversuch eine Gefährdung des Kindeswohls, da die Behandlung des Kindes durch die Abschiebung mindestens unterbrochen und aufgeschoben werden würde, was eine Verschlechterung des Gesundheitszustands bedeuten würde.
MVZ Aurich: Reisefähigkeit „nicht gegeben“
Der Asylkreis hat sich als Reaktion auf das nun eingegangene Schreiben des Landkreises erneut mit ärztlichen Attesten an den Landkreis gewandt und hofft, die Abschiebung so stoppen zu können. Auch diese Unterlagen liegen unserer Redaktion vor. Die zuständige Hausärztin vom Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Aurich weist in einem aktuellen Schreiben vom Februar erneut darauf hin, „dass eine Reisefähigkeit nicht gegeben ist“. Es könne „mit Sicherheit“ gesagt werden, dass eine Verzögerung der Behandlung „zu einer fortschreitenden irreversiblen Schädigung des Gehirns führen würde“. Ob eine solche Versorgung in Spanien möglich wäre und dem Kind dann auch zuteil würde, „kann nicht beurteilt beziehungsweise sichergestellt werden“, heißt es in dem vorliegenden Arztbericht. Zudem würden die lebensbedrohlichen epileptischen Anfälle, unter denen das Kleinkind leidet, durch „psychischen Stress gefördert“.
Das sieht der Landkreis Aurich offenbar anders: „Es wurde keine Kindeswohlgefährdung festgestellt, weder für den Transport (weil medizinisch begleitet) noch für die medizinischen Betreuung in Spanien“, schreibt Pressesprecher Lennard Adam. Sofern das Bundesamt für Migration die Begleitung einer Maßnahme durch einen Arzt oder sonstiges medizinisches Personal empfiehlt, werde dieses seitens der Landesaufnahmebehörde für den Vollzug der rückführenden Maßnahme koordiniert. Bei dem ersten Überstellungsbesuch sei „dennoch“ ein Arzt hinzugezogen worden, obwohl dies nach amtsärztlicher Einschätzung „nicht erforderlich“ gewesen wäre.
Ob die neuen Bemühungen des Asylkreises nun doch Früchte tragen, wird sich zeigen müssen. Aufgeben wollen die Ehrenamtlichen jedenfalls nicht.
Geplante Abschiebung des zweijährigen Mohammed stößt auf Unverständnis
Mohammed darf bleiben
Behandlung des schwerkranken Mohammed zieht sich weiter hin
Nach lebenswichtiger OP – wie geht es mit Mohammed weiter?