Fehntjer „Kieker“ So entsteht eine preisgekrönte Schülerzeitung

| | 19.03.2024 08:07 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Der Moment, in dem Fabian, Imme und Roman (von links) klar wird, dass ihre Schülerzeitung gerade den ersten Platz abgeräumt hat. Foto: Victor Hedwig/JPN
Der Moment, in dem Fabian, Imme und Roman (von links) klar wird, dass ihre Schülerzeitung gerade den ersten Platz abgeräumt hat. Foto: Victor Hedwig/JPN
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Der „Kieker“ aus Mittegroßefehn ist als beste Grundschulzeitung Niedersachsens ausgezeichnet worden. Volontärin Deike Terhorst hat sich vor Ort zeigen lassen, wie richtig gute Journalisten arbeiten.

Mittegroßefehn - An einem sonnigen Donnerstagmittag mache ich mich auf den Weg nach Mittegroßefehn. Hier soll ich die Redaktion des „Kieker“ treffen, die Zeitung der hiesigen Grundschule. Während viele Schüler bereits in den Bus nach Hause steigen, laufe ich über den Parkplatz und betrete das Schulgebäude. Im Foyer haben sich die Jungreporter bereits in Position gebracht. Mit blauen Pullovern treten sie der Volontärin als geschlossene Einheit gegenüber. Später wird Schulleiterin Cordula Aulke mir verraten, wie nervös ihre Schützlinge waren. Anmerken lassen haben sie sich nichts.

Anni Maibach trägt ihren „Kieker“-Pullover voller Stolz. Foto: Terhorst
Anni Maibach trägt ihren „Kieker“-Pullover voller Stolz. Foto: Terhorst

Der „Kieker“ besteht aktuell aus acht Kindern der vierten Klassen. Jeden Donnerstag treffen sie sich zur Redaktionssitzung im Klassen- oder Computerraum. Hier wird gemeinsam mit Frau Aulke besprochen, was für die aktuelle Ausgabe noch zu tun ist. Die 58-Jährige ist genau wie ihre Schüler stets mit Begeisterung bei der Sache: „Der ‚Kieker‘ ist keine Stunde, die ich zwingend geben muss. Das macht mir einfach Spaß!“

Hinkieken ist die Devise

Die 28-seitige Schülerzeitung erscheint alle zwei Monate mit einer Auflage von ungefähr 250 Exemplaren. Jedes Schulkind bekommt eine Gratis-Ausgabe. Darüber hinaus werden Verwandte und sonstige Interessierte mit den neusten Informationen aus dem Alltag der GS Mittegroßefehn versorgt. Dazu gehören auch der Bürgermeister und der Pastor.

Im schuleigenen Computerraum wird aus den Ideen der Kinder nach und nach eine Zeitung. Foto: Terhorst
Im schuleigenen Computerraum wird aus den Ideen der Kinder nach und nach eine Zeitung. Foto: Terhorst

Jeder „Kieker“ hat zudem ein Schwerpunktthema. Zu diesem recherchieren die Schüler, schreiben Rezepte, Buchtipps und Berichte, führen Interviews und Umfragen durch, integrieren Fotos oder malen Bilder. Ein weiterer Teil berichtet aus der Schulpolitik, der Kinderrat hat einen eigenen Auftritt. Die letzte Seite gehört „Kieki“, der Schulmöwe, die plattdeutsche Anekdoten zum Besten gibt. Kieki ist auch das „Kieker“-Maskottchen. Warum gerade dieses Tier? „Möwen kommen viel herum und schauen sich alles genau an“, erklärt Fabian. Daraus ergibt sich für den Neunjährigen aus Timmel auch der Zeitungstitel: „Wir sind der ‚Kieker‘, weil wir genau hinkieken.“

Fragerunde im Stuhlkreis: Sowohl die „Kieker“-Redaktion als auch Volontärin Deike Terhorst sind neugierig auf die Arbeit des jeweils anderen. Foto: Aulke
Fragerunde im Stuhlkreis: Sowohl die „Kieker“-Redaktion als auch Volontärin Deike Terhorst sind neugierig auf die Arbeit des jeweils anderen. Foto: Aulke

Bei der fremden Volontärin wird besonders aufmerksam hingekiekt. Noch bevor ich meinen Katalog abgearbeitet habe, werde ich von den Nachwuchsjournalisten mit Fragen bombardiert. „Wie viele Seiten hat eine Zeitung?“, „Wie lange habt ihr für Artikel Zeit?“, „Steht da dann auch dein Name?“. Im Gespräch mit den Schülern fühle ich mich teilweise wie eine Lehrkraft. Wir sitzen im Stuhlkreis, vor jeder Antwort auf eine meiner Gegenfragen wird aufgezeigt.

Es muss nicht immer fröhlich sein

Stolz erzählen die Schüler von ihren Veröffentlichungen. Sie blättern die einzelnen Hefte durch und präsentieren mir Deckblatt, Inhaltsverzeichnis, Editorial und Impressum. „Wow“, denke ich. „Hier wird wirklich an alles gedacht.“ Als Themen hat die Redaktion zuerst „Essen und Trinken“ und „Natur, Umwelt und Klima“ gewählt. Dann kam die Zukunfts-Ausgabe. „Das war kein leichtes Thema“, berichtet Cordula Aulke. Der letzte „Kieker“ aus dem vergangenen Winter ging leichter von der Hand, denn hier stand die kenianische Partnerschule im Fokus. Diese Ausgabe kann auf der Internetseite der Grundschule eingesehen werden.

Der Kinderreporterausweis öffnet in Großefehn jede Tür. Foto: Terhorst
Der Kinderreporterausweis öffnet in Großefehn jede Tür. Foto: Terhorst

Der aktuelle „Kieker“ steht derzeit in den Startlöchern und wird nach den Osterferien erscheinen. Das Thema: Haustiere. Im Stuhlkreis höre ich Geschichten von Katzen, Hunden, Meerschweinchen und Kaninchen. Mattheo erklärt mir, was für eine Herausforderung es war, seine dreijährige Hündin Alba stubenrein zu bekommen. Anni berichtet von einer Katze: leider mit einem traurigen Ende. Erst wollte die Zehnjährige darüber gar nicht schreiben – so etwas gehöre doch nicht in eine Schülerzeitung. Frau Aulke überzeugte sie vom Gegenteil: „Wir dürfen auch traurige Geschichten erzählen.“

Teilhabe der Schüler soll gefördert werden

Für seine ersten zwei Ausgaben wurde der „Kieker“ Ende Februar von der Jungen Presse Niedersachsen (JPN) als landesweit beste Schülerzeitung im Bereich Grundschule ausgezeichnet. Dabei wird erst seit etwas über einem Jahr gekiekt. Im Februar 2023 fiel der Startschuss für die Schülerzeitung. Anlass war die Bewerbung der GS Mittegroßefehn als Internationale Nachhaltigkeitsschule / Umweltschule in Europa.

Mattheo Scharf, Roman Husanow, Laura Scheutwinkel, Anni Maibach, Maxi Schütte, Fabian Jehl (von links), Levian Hinrichs und Imme von Aswege (vorne) bilden die Redaktion des „Kieker“. Foto: Terhorst
Mattheo Scharf, Roman Husanow, Laura Scheutwinkel, Anni Maibach, Maxi Schütte, Fabian Jehl (von links), Levian Hinrichs und Imme von Aswege (vorne) bilden die Redaktion des „Kieker“. Foto: Terhorst

Diese Schulen „verfolgen das Ziel, über einen Zeitraum von zwei Jahren durch konkrete Projekte und schulgestaltende Maßnahmen die Bereitschaft zu nachhaltigem und gerechtem Handeln zu erhöhen“, heißt es auf der Internetseite des Bildungsportals Niedersachsen. Dafür wählt jede Schule entsprechende Schwerpunkte. In Mittegroßefehn hat man sich auf „Partizipation und demokratisch handeln“ konzentriert und neben dem Kinderrat auch den „Kieker“ ins Leben gerufen.

Mit dem Taxi nach Hannover

Beim „unzensiert“-Wettbewerb der JPN traten rund 50 Redaktionen aus ganz Niedersachsen gegeneinander an. Die Jury, selbst Profi- und Nachwuchsjournalisten, überreichte die Auszeichnungen im Verlagsgebäude der Madsack-Mediengruppe in Hannover. Die Anreise von Großefehn aus gestaltete sich dabei schwieriger als gedacht, erzählt Cordula Aulke. Die Warnstreiks der Bahn machten Roman, Imme, Fabian und ihr einen Strich durch die Rechnung und so musste die kleine Gruppe letztendlich mit dem Taxi in die Landeshauptstadt reisen. Für die drei Viertklässler war es nicht nur deswegen ein aufregender Tag. „Da waren so viele wichtige Leute“, berichtet der neunjährige Roman.

Die Preisverleihung fand bei der Madsack-Mediengruppe in Hannover statt. Foto: Victor Hedwig/JPN
Die Preisverleihung fand bei der Madsack-Mediengruppe in Hannover statt. Foto: Victor Hedwig/JPN

Einer davon war Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). „Es gibt eine solche Flut von Fake News, dass wir ein riesiges Interesse an unabhängiger, kritischer, gut recherchierter Berichterstattung haben. Informationen dürfen nicht das Ziel haben, andere zu lenken“, sagte der Schirmherr des Wettbewerbs in seinem Grußwort. Diese Meinung teilt „Kieker“-Redakteur Mattheo. Und ergänzt: „Wir wollen nicht das schreiben, was die Leute hören wollen“. Am „Kieker“ gefällt dem Zehnjährigen vor allem sein kreativer Freiraum: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viele Ideen einbringen darf.“ AG-Leiterin Aulke legt aber genau darauf großen Wert. Die Zeitung funktioniere am besten, „wenn die Kinder nichts von oben gesagt bekommen“.

Preisgeld wird sinnvoll investiert

Von den 300 Euro Preisgeld möchte die „Kieker“-Redaktion einen Ausflug machen. Wohin, ist noch nicht klar. In der Diskussion stehen das Klimahaus in Bremerhaven und das Wissenschaftsmuseum „Universum“ in Bremen in Anlehnung an das Herzensprojekt von Redakteurin Imme: eine Ausgabe zum Thema Technik.

Auf der Preisverleihung hatten die Schüler aus Mittegroßefehn die Möglichkeit, in den Zeitungen der Konkurrenz zu blättern. Foto: Victor Hedwig/JPN
Auf der Preisverleihung hatten die Schüler aus Mittegroßefehn die Möglichkeit, in den Zeitungen der Konkurrenz zu blättern. Foto: Victor Hedwig/JPN

Nach ungefähr zwei Stunden intensivster Volontärsschulung mache ich mich auf den Weg zurück an den Schreibtisch. Auf dem Schulparkplatz höre ich eine Möwe kreischen. Womöglich Kieki? Schmunzelnd steige ich in den Wagen, begeistert von dieser neuen Reporter-Generation.