Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Strackholter Fest strahlte bis Amerika aus

| | 13.04.2024 16:01 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Ein Missionsfest war ein geselliges Zusammentreffen. Es wurde unter freiem Himmel gepredigt – aber es wurden von den Besuchern auch viele Neuigkeiten ausgetauscht. Der Zeichner Carl Grote hielt einen solchen Moment für „Die Illustrierte Welt" fest. Foto: Ullrich
Ein Missionsfest war ein geselliges Zusammentreffen. Es wurde unter freiem Himmel gepredigt – aber es wurden von den Besuchern auch viele Neuigkeiten ausgetauscht. Der Zeichner Carl Grote hielt einen solchen Moment für „Die Illustrierte Welt" fest. Foto: Ullrich
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In Strackholt gelang Remmer Janssen mit seinem Missionsfest ab 1882 eine Verbindung von Geselligkeit, Religion und Kultur. Missionsarbeit für Ostfriesland und die Welt wurde partytauglich.

Strackholt - In Strackholt verstand man es schon in den 1880er Jahren zu feiern. Bei den Missionsfesten gingen Religion und ostfriesische Lebensfreude eine Verbindung ein, die weit über die Grenzen Ostfrieslands ausstrahlte. Sogar in der Neuen Welt, in Amerika, hinterließ dies auf vielfältige Weise Spuren. Aber die Missionsfeste brachten auch Erzählungen über das Unbekannte zu den Ostfriesen und erweiterten ihren Horizont: „Es waren besondere Festtage, die das Leben vieler ostfriesischer Familien geprägt haben“, sagt Dr. Detlef Klahr, bis 2023 Landessuperintendent für den Sprengel Ostfriesland-Ems der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. 3000 bis 5000 Menschen seien in den Jahren 1882 bis 1922 auf Einladung von Pastor Remmer Janssen aus ganz Ostfriesland nach Strackholt geströmt.

Der Strackholter Pastor Remmer Janssen. Foto: Bildarchiv der Ostfriesischen Landschaft
Der Strackholter Pastor Remmer Janssen. Foto: Bildarchiv der Ostfriesischen Landschaft

Jürgen Hoogstraat ist Pastor der Kirchengemeinde Victorbur. Darüber hinaus ist der 62-Jährige Kenner der Regional- und Kirchengeschichte – die in den zurückliegenden Jahrhunderten anders als heute untrennbar miteinander verbunden waren. Hoogstraat ist für die Upstalsboom-Gesellschaft in Aurich und die „Ostfriesen Genealogical Society of America“ (OGSA) aktiv, da auch die Auswanderergeschichte in diesem Zusammenhang großen Raum einnimmt. Er forscht und publiziert seine Forschungsergebnisse in beiden Sprachen. Eine seiner Arbeiten ist die zum „Netzwerk Strackholt 1865-1915“. Sie beleuchtet das Wirken der „Auswanderinnen und Auswanderer, Diakonissen, Missionare, Prediger zur Zeit Remmer Janssens“. Klahr schrieb in seiner Funktion als damaliger Regionalbischof das Vorwort.

Wanderprediger besuchten amerikanische Gemeinde

Remmer Janssen ist in diesem Netzwerk der Dreh- und Angelpunkt: Seine Predigten zogen die Menschen in ihren Bann. Klahr: „Er gilt darum zu Recht als der bedeutendste lutherische Erweckungsprediger Ostfrieslands.“ Er brachte die Menschen in seiner St.-Barbara-Kirche zusammen. „Die Berichte bei den Missionsfesten von Pastoren, die auf anderen Erdteilen tätig waren, erweiterten den Blickwinkel und halfen, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken.“ Auf einem Missionsfest entstand zudem die Idee, einen Missionsverein und damit verbunden eine Missionsvorschule zu gründen: In den Jahren 1889 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 wurden insgesamt 40 zukünftige Pastoren auf ihre weitere Ausbildung und ihren Einsatz in Übersee vorbereitet.

Pastor Jürgen Hoogstraat ist Kenner der Regionalgeschichte Ostfrieslands. Foto: Archiv/Ullrich
Pastor Jürgen Hoogstraat ist Kenner der Regionalgeschichte Ostfrieslands. Foto: Archiv/Ullrich

Von 1847 bis 1899 wanderten geschätzt 50.000 Ostfriesen aus, berichtet Hoogstraat im Gespräch mit der Redaktion. Das Ziel der meisten Strackholter war Amerika. „Das östliche Süd-Dakota konnte man auch Klein Ostfriesland nennen.“ Überall im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten ließen sich Auswanderer mit Wurzeln auf dem Fehn oder in der Krummhörn nieder. Manche Ostfriesen verschlug es nach Südafrika oder Brasilien, führt der geschichtsinteressierte Pastor aus. Egal, wo sie neu begannen: Sie hatten den Wunsch nach einem Prediger, einem Seelsorger, der ihre Sprache sprach und ihre Werte teilte. Diese aber waren rar. Immer wieder gab es Hilferufe: Nur wenige Gemeinden hatten einen eigenen Pfarrer. Die meisten Gemeinden im Mittleren Westen waren auf den Besuch von Reisepredigern angewiesen.

Illinois und Nebraska

Hoogstraat spricht in diesem Zusammenhang gar von „verpflanzten Gemeinden“ – sie warteten auf Pastoren aus der alten Heimat, schreibt er. Strackholter haben an verschiedenen Orten Amerikas Spuren hinterlassen: Bei der Gründung der ersten ostfriesisch-lutherischen Gemeinde in Adams County, Illinois, ließen sich einige Auswanderer, unter anderem aus Strackholt und Holtrop, ab 1852 nieder. Sie kauften ein altes Blockhaus und machten daraus ihre Kirche. Auch Nebraska sollte eine immense Sogwirkung auf Strackholt entwickeln: Die Gründung der Gemeinde Fiebing, benannt nach dem Herkunftsort des Gros der Siedler, löste eine „Kettenmigration“ aus: „In keinem anderen Bundesstaat finden sich so viele Familien aus der Kirchengemeinde, und hier entstanden in den nächsten Jahrzehnten gleich mehrere Tochtergemeinden der St.-Barbara-Kirche.“

In Flatville im US-Bundesstaat Illinois steht die „Kathedrale im Kornfeld“. Noch immer sind hier die Einflüsse der Gründer sichtbar. Foto: privat
In Flatville im US-Bundesstaat Illinois steht die „Kathedrale im Kornfeld“. Noch immer sind hier die Einflüsse der Gründer sichtbar. Foto: privat

Im Jahr 1867 wurde die Kirche von Fiebing erbaut und steht bis heute. Sie war die erste lutherische in ihrem Bundesstaat. 1874 entstand die Ziongemeinde Pickrell, ebenfalls dominiert von Strackholter Einwanderern. Unter anderem wurde hier aus den mitgebrachten Gesangsbüchern aus Ostfriesland gesungen. 1902 gelang es, einen ostfriesischen Pastor zu berufen. Hoogstraat zufolge begann da „die eigentliche Blütezeit der Strackholter Präriegemeinde“. Einen besonderen Stellenwert nimmt aber bis heute vermutlich Flatville im Staat Illinois ein: Dort wurden von Anfang an Gottesdienste in plattdeutscher Sprache gehalten – und werden es zu besonderen Anlässen noch heute. Auch das Missionsfest wird hier gefeiert wie einst in Strackholt: Die Amerikaner sehen ihr Fest in direkter Nachfolge des Strackholter Festes.

„Festivalcharakter“ in Strackholt

Missionsfeste gab es viele. Hoogstraat schreibt, dass die Anzahl dieser Zusammenkünfte seit Mitte des 19. Jahrhunderts von Jahr zu Jahr größer wurde. Das Fest unter der Federführung von Remmer Janssen nimmt dennoch bis heute einen besonderen Stellenwert ein. Der begnadete Prediger habe Maßstäbe gesetzt. „Diese sommerlichen Veranstaltungen trugen für viele Besucherinnen und Besucher eine Art Festivalcharakter und waren ein wichtiger Treffpunkt.“ Es wurde sozusagen über Gott und die Welt geredet.

In der St.-Barbara-Kirche in Strackholt predigte Remmer Janssen. Foto: Archiv/Trauernicht
In der St.-Barbara-Kirche in Strackholt predigte Remmer Janssen. Foto: Archiv/Trauernicht

„Der Blick weitete sich in vielerlei Hinsicht“, erläutert Hoogstraat den damaligen Zeitgeist. Die Feste trugen definitiv dazu bei, denn sie ermöglichten im größeren Stil einen Austausch als im Alltag. Zugleich veränderte der Weggang Einzelner auch die Wahrnehmung der Zurückbleibenden. „Einerseits sah man immer intensiver nach Nordamerika, das eine kaum zu unterschätzende Anziehungskraft auf viele Ostfriesen im Allgemeinen und auf Strackholter im Besonderen ausübte.“ Ähnlich war es mit Afrika und Asien, wohin zunehmend Missionare unterwegs waren.

Die Mission beschäftigte die Menschen schon länger: Seit 1798 gab es in Hatshausen die „Missionsgesellschaft vom Senfkorn“, die älteste Missionsgesellschaft auf dem europäischen Festland. Zugleich wuchs Hoogstraat zufolge das Bewusstsein für die Notwendigkeit, auch in Ostfriesland etwas zu verändern: Als erstes wichtiges Beispiel dieser inneren Mission gilt das 1864 von Johann Heinrich Leiner gegründete Rettungshaus in Mittegroßefehn, das heutige Leinerstift.

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