Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Brautpfad – blumige Tradition mit tragischem Hintergrund
Eine wunderschöne Fürstentochter starb aus Kummer um den Tod ihres Geliebten. Das Brautpfadlegen erinnert noch heute an ihr Schicksal. Am 9. Mai schaut sich eine Delegation aus Amerika die Bilder an.
Großefehn - Am Himmelfahrtstag gibt es in der Gemeinde Großefehn an einigen Häusern und gesammelt an der Schmiede Striek in Ostgroßefehn einige besonderes kunstvoll gestaltete Blütenbilder zu bewundern. Wer am Donnerstag, 9. Mai 2024, ganz sicher sein will, einige dieser vergänglichen Kunstwerke zu sehen zu bekommen, sollte von 14 bis 17 Uhr an der Schmiede für Tee, Kaffee und Kuchen haltmachen. Denn hier erinnern viele fleißige Hände mit ihren prachtvollen Blumenkreationen an das Schicksal einer unglücklichen Fürstentochter Ostfrieslands. Eines dieser Bilder hat Anneliese Schoon beigesteuert. Die 77-Jährige hat ein durchaus typisches Motiv aus Herz, Kreuz und Anker ausgewählt.
Es ist ein blumiger Brauch mit tragischem Hintergrund – und den wird sich diesmal auch eine Reisegruppe aus den USA ansehen. Lin Cornelius Strong von der Ostfriesen Genealogical Society of America (OGSA) kommt mit einer 15-köpfigen Reisegruppe nach Großefehn. Strong führt die Gruppe auf die Spuren ihrer Vorfahren in Ostfriesland. Ihre eigenen Großeltern hatten Ostfriesland 1913 verlassen. Ihr Großvater sei Dorfschiffer in Campen gewesen. Auch die Teilnehmer der Reisen der OGSA sind zumeist Nachkommen von Auswanderern. Lin Strong war bereits zweimal beim Brautpfadlegen in Ostgroßefehn dabei, erzählt Lisa Buß, Vorstandsmitglied des Trägervereins „Historische Schmiede Striek“. Bei einer Tasse Ostfriesentee werden die Amerikanerinnen sich das Museum ansehen. Auch die Schmiede öffnet am Donnerstag ihre Türen. Bodo Ley fertigt Kunstvolles im Schmiedefeuer.
Warum der Brautpfad gelegt wird
Das Brautpfadlegen am Himmelfahrtstag ist der Ostfriesischen Landschaft zufolge ein Brauch, der überwiegend im Landkreis Aurich zu finden ist. Die frühere Leiterin der Kulturagentur der Landschaft, Katrin Rodrian, fasst die Hintergründe im 2013 erschienenen „Moden un Maneren: Ostfrieslands Bräuche, Traditionen und Besonderheiten“ zusammen: „Der Sage nach wollte eine Fürstentochter aus dem Hause der Cirksena heiraten. Die Trauung war auf Himmelfahrt festgelegt. Auf dem Weg zur Hochzeit starb der Bräutigam durch die Hand eines Nebenbuhlers.“ Diese „tragische Liebesgeschichte“ soll sich in Aurich zugetragen gaben. „Vor lauter Kummer darüber verstarb auch die Braut, und die Blumen, die für ihre Hochzeit ausgestreut lagen, zierten nun den Trauerzug.“ Traditionelle Motive wie Kreuz, Herz und Anker für Glaube, Liebe, Hoffnung würden beim Brautpfad durch ortstypische Motive wie Schiffe, Windmühlen oder Leuchttürme ergänzt.
Auch die Leeraner Schriftstellerin Wilhelmine Siefkes verewigte diese Adelstragödie um die leider namenlose Fürstentochter 1951 in „Ostfriesische Sagen“: „Es war eine wunderschöne Prinzessin aus dem Auricher Fürstenhause Cirksena. Viele junge Männer von nah und fern hielten um ihre Hand an, aber sie wies alle ab, bis eines Tages ein fremder Prinz kam.“ In den Worten der ostfriesischen Schriftstellerin klingt es fast nach einer Liebesgeschichte, der Walt Disney einen Film widmen würde: „Er war sehr reich und auch aus vornehmem adligem Hause und von edler Gestalt, und sie liebte ihn sofort über alle Maßen und verlobte sich alsbald mit ihm.“
Der tragische Tod zweier Liebender
Im Schloss Aurich sollte am Himmelfahrtstag unter der Mai-Sonne die Hochzeit stattfinden. Und dafür wurde die Stadt Siefkes‘ Ausführungen zufolge prachtvoll herausgeputzt: „Die Kinder und Jugendlichen holten frühmorgens von den Feldern und Wiesen alles, was man an Blüten finden konnte, und schmückten damit den Pfad, auf dem das Brautpaar vom Schloss zur Kirche schreiten sollte.“ Dann nahm das Drama seinen Lauf: Die Braut stieg die Wendeltreppe des Schlossturmes hinauf und wartete auf ihren Bräutigam. Der ritt ihr entgegen, durch eine Menschenmenge hindurch: „Doch in der Menge der Wartenden stand einer, der dem Prinzen die Braut nicht gönnte. Vielleicht war er einer der Männer, die abgewiesen worden waren.“
Der Prinz wurde ermordet. Sein Fuß hing noch im Steigbügel, als sein Pferd ihn tot auf den Schlosshof schleifte. „Dieser Anblick brach der schönen Braut das Herz. Sie wurde zusammen mit ihrem Liebsten im Schloss aufgebahrt, und statt des Hochzeitszuges schritt später ein Trauerzug über die verwelkten Blüten des Brautpfades.“ Das ist Wilhelmine Siefkes zufolge der Grund, warum noch heute im Auricher Land zu Himmelfahrt Bilder aus Blüten am Wegesrand liegen.
Wie aus Blüten Bilder werden
Anneliese Schoon hat im Laufe der Jahre schon viele Brautpfade gelegt, erst mit ihren beiden Töchtern. „Die gingen noch nicht zur Schule und haben das gesehen. Und haben Blüten in den Sandkasten gelegt.“ Zuletzt bei einem Aktionstag der Schmiede vor wenigen Tagen. Schoon ist in der Gartengruppe aktiv, die sich um Strieks Tuun kümmert. Sie verrät, wie das Brautpfadlegen funktioniert: Sand dient als Basis. Er wird verdichtet und etwas angefeuchtet, damit die Blumen möglichst lange halten. Mit einem Zahnstocher oder kleinen Stock werden Löcher in den Sand gebohrt, in die dann die Stängel gesteckt werden. Schoon kam erst durch ihre Heirat erstmals mit dem Brautpfadlegen in Kontakt, verrät sie. „Wie ich Kind war in Bagband, da kannten wir das gar nicht.“
Für die Lücken zwischen den Blüten nutzt sie eine spezielle Moossorte. Noch heute legt sie den Brautpfad in einem Rahmen, den einst ihre längst erwachsenen Töchter vom Opa bekamen. Damit nahmen die Schülerinnen auch an einem von Lisa Buß initiierten Wettbewerb des Förderkreises der Kooperativen Gesamtschule (KGS) Großefehn teil. Buß hatte den 1978 ins Leben gerufen – nachdem ihr aufgefallen war, dass der Brauch zunehmend in Vergessenheit geriet. Lisa Buß liegt der Erhalt des Brauchtums sehr am Herzen: Als junges Mädchen habe sie wie viele andere Fehntjer Kinder selbst Brautpfade gelegt. Viele hätten die Blüten in kunstvollen Bildern seinerzeit direkt in den Sand der Wege gelegt. Sie wollte Kinder und Jugendliche wieder mit dieser Tradition vertraut machen. Bis zu 50 Kinder beteiligten sich in den ersten Wettbewerbsjahren mit Kunstwerken auf den heimischen Grundstücken. Bis heute prämiert eine Jury die schönsten Bilder der Kinder der Klassen fünf bis zehn.
Für die jüngeren Kinder gibt es eine eigene Ausstellung am Himmelfahrtstag an der Schmiede Striek. Wer sein Werk am Mittwoch, 8. Mai 2024, in der Zeit von 17 bis 19 Uhr und am Tag darauf zwischen 10 und 11 Uhr bringt, erhält dafür ein kleines Geschenk vom Verein. Auch Arbeiten von Erwachsenen sind willkommen. Wichtig sei, dass die Bilder transportabel gestaltet werden, rät Buß. Beispielsweise in einer niedrigen Kiste oder auf einem alten Backblech oder Tablett, auf das Sand kommt. Etwas sollten die Blütenkünstler unbedingt beachten: „Bitte pflückt keine geschützten wilden Blumen aus der freien Natur.“