Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Greta und Johann Schoon – wenn Dichtkunst in der Familie liegt

| | 01.06.2024 11:11 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 7 Minuten
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Dies ist eines der wenigen Fotos, die beide Schriftsteller Greta und Johann Schoon zusammen zeigt. Foto: Heinrich Hippen/Archiv Wojak
Dies ist eines der wenigen Fotos, die beide Schriftsteller Greta und Johann Schoon zusammen zeigt. Foto: Heinrich Hippen/Archiv Wojak
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Greta und Johann Schoon wuchsen im gleichen Haus in Spetzerfehn auf. Das Martinilied „Mien lüttje Lateern“ erinnert an die Lyrikerin, die sich mehrfach neu erfand – und kein Wort zu viel machte.

Spetzerfehn - Bei ihnen liegt die Liebe zum Wort augenscheinlich in der Familie: Schon die Veröffentlichung von Greta Schoons erstem Gedichtband „Kuckuckssömmer“ im Jahr 1977 lenkte überregionale Aufmerksamkeit auf die plattdeutsche Mundartschriftstellerin. Im Alter von 68 Jahren war sie mit diesem Schritt mehr oder weniger in die Fußstapfen ihres Onkels Johann Schoon (1894-1968) getreten. Anders als seine Nichte lebte der sein Leben lang in Spetzerfehn und darf wohl als klassischer ostfriesischer Heimatschriftsteller bezeichnet werden. So jedenfalls nennt ihn Andreas Wojak. Der Autor und Historiker lebt in Oldenburg – und stammt wie die beiden Dichter aus Spetzerfehn. Und zwar nicht zufällig: Johann Schoon war sein Großvater und Greta Schoon war „Tant‘ Heti“ für ihn. Die Cousine seiner Mutter sei eine besondere Tante gewesen, erinnert er sich: „Sie hatte eine Aura.“

Ein Familienfoto aus dem Jahr 1910: Vor dem Haus der Familie Schoon in Spetzerfehn ist Greta Schoon noch als Kleinkind auf dem Arm ihrer Mutter. Ihr 15 Jahre älterer Onkel Johann Schoon steht ganz rechts, hinter der Hecke. Foto: Archiv Wojak
Ein Familienfoto aus dem Jahr 1910: Vor dem Haus der Familie Schoon in Spetzerfehn ist Greta Schoon noch als Kleinkind auf dem Arm ihrer Mutter. Ihr 15 Jahre älterer Onkel Johann Schoon steht ganz rechts, hinter der Hecke. Foto: Archiv Wojak

Wojak hat sich intensiv mit seiner Familiengeschichte befasst. Dafür hat er etwa 1200 Feldpostbriefe gesichtet. Die Ergebnisse veröffentlichte er in dem Buch „Kriegsbriefe einer Familie in Deutschland 1939-1945“. Wojak ergänzt diese Erkenntnisse mit eigenen Erinnerungen und teilt sein Wissen: Er veröffentlichte zudem zahlreiche Artikel und gestaltete die Internetseite johann-schoon.de, die die Werke seines Opas lebendig hält und ihnen die Würdigung zukommen lassen soll, die sie seiner Meinung nach verdienen. Darüber hinaus hält er Vorträge und Lesungen. Mit „Wilhelmine Siefkes und Greta Schoon: Zwei große ostfriesische Literatinnen im Blick“ wird er am Donnerstag, 26. September 2024, um 18.30 Uhr, im Klottjehuus beim Heimatverein in Leer zu Gast sein.

Greta Schoon

Greta Schoon hieß mit vollem Namen Margaretha Gretina Börcherts Schoon. Sie wurde am 11. Juli 1909 in Spetzerfehn geboren und starb 1991 in Leer. Sie wuchs zunächst im selben Haus wie schon ihr 15 Jahre älterer Onkel Johann auf, fasste der in Oldenburg lebende Autor in dem Text „Zwei Fehntjer Dichter in einem Haus“ zusammen. Der Artikel erschien 1995 in „Spetzerfehn – Geschichte(n) und Bilder eines Fehns“, herausgegeben von der Arbeitsgruppe „Spetzerfehngeschichte(n). Dieses Haus, in dem sich die Bahnhofswirtschaft und die Post befanden, stand in der Nähe der Mühle und direkt am Kanal, an der Strecke der früheren Kleinbahn, erzählt er im Gespräch mit der Redaktion. Greta Schoons Vater fiel im Ersten Weltkrieg, ihre Mutter musste die vier Kinder allein durchbringen. Ab 1919 besuchte die Spetzerfehntjerin dann die Höhere Töchterschule in Aurich. Anschließend wurde sie in Bremen zur Kindergärtnerin ausgebildet.

Autor Andreas Wojak hat sich intensiv mit seiner Familiengeschichte befasst. Er ist der Enkel von Johann Schoon. Seine Mutter war die Cousine Greta Schoons. Foto: privat
Autor Andreas Wojak hat sich intensiv mit seiner Familiengeschichte befasst. Er ist der Enkel von Johann Schoon. Seine Mutter war die Cousine Greta Schoons. Foto: privat

Mit 24 Jahren verließ die junge Ostfriesin Deutschland für zwei Jahre und betreute als Mitglied einer Schwesternschaft Kinder in Brasilien. Dorthin kehrte sie später noch einmal für mehrere Monate zurück. Den Großteil ihres Lebens aber verbrachte sie in Ostfriesland. Sie arbeitete bis zum Ende ihres Berufslebens 1970 unter anderem als Kindergartenleiterin sowie zunehmend verstärkt sozialpädagogisch. Im Ruhestand war sie noch über Jahre hinweg beratend in Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen in Leer tätig.

Besondere literarische Qualität

Trotz dieser Vita ist die Dichtkunst fest im Wesen der Frau verankert, stellt Cornelia Ibbeken klar: „Greta Schoon empfindet sich als Lyrikerin, die sich ihren Lebensunterhalt als Kindergärtnerin verdienen muss; sie ist keine Kindergärtnerin, die nebenbei Gedichte schreibt.“ Ibbeken engagiert sich ehrenamtlich für die Landschaftsbibliothek der Ostfriesischen Landschaft – und hat eine Schwäche für gute Lyrik. „Für mich gehört sie zu den größten Lyrikerinnen.“ Ibbeken sagt, für Greta Schoon sei die Lyrik das Mittel der Wahl gewesen, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Anders als ihr Onkel schrieb sie nicht über die Schönheit der Natur. Ibbeken beschreibt die Herangehensweise der Dichterin so: „Die Gedichte werden für Greta Schoon zu einem ‚Refugium‘, in das sie ihre Angst, ihren Kummer, ihre persönlichen Erfahrungen hineintragen kann.“

Greta Schoon war gelernte Kindergärtnerin. Das Foto zeigt sie 1961 mit Jungen und Mädchen des evangelischen Kindergartens Hoheellern in Leer. Foto: Stadtarchiv Leer
Greta Schoon war gelernte Kindergärtnerin. Das Foto zeigt sie 1961 mit Jungen und Mädchen des evangelischen Kindergartens Hoheellern in Leer. Foto: Stadtarchiv Leer

Erstmals kam dies offenbar zum Tragen, als die junge Ostfriesin etwa 18 Jahre alt war. Ihr erstes Gedicht in plattdeutscher Sprache „Uns egen Strate“ thematisierte ihre Einsamkeit in der Stadt und Verlust. Die Kriegs- und Nachkriegszeit hatten Spuren hinterlassen: Tristesse und Not gehen mit Isolation und Entfremdung einher. Das schlägt sich in Schoons literarischem Wirken nieder. „Ihre Verse reimen sich nicht mehr“, fasst Ibbeken zusammen. Einfach, weil dies nicht den Zeitgeist widerspiegeln würde. Nach 1970 verändert sich ihre Herangehensweise erneut. 1983 erscheint der Gedichtband „Dat wi överleven“. Jedes Wort stand für sich. Wo ein Wort reichte, wollte Schoon keine zwei Worte machen. Überleben – es ist für Cornelia Ibbeken das Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Werke von Greta Schoon zieht. In der allgegenwärtigen Bedrohung lasse sich stets ein leichter Hoffnungsschimmer erahnen.

Schwere Kost – und heitere Kinderreime

Greta Schoon widmet sich existenziellen Fragen, meint auch Andreas Wojak: „In großartigen Sprachbildern werden die Themen Einsamkeit, Tod, Verlorenheit, Vergeblichkeit, Verstrickung, Hoffnung behandelt.“ Für ihn steht ebenfalls fest, dass sie herausragend war: „Sie war die mit Abstand beste Lyrikerin, die das Plattdeutsche hervorgebracht hat.“ Ihr erster kleiner Gedichtband „Kuckuckssömmer“ habe große Wirkung gehabt. „Geradezu enthusiastisch wurde das Buch von der Kritik aufgenommen, und Greta Schoon war in jenen Jahren so etwas wie eine ‚Entdeckung‘ am niederdeutschen Literaturhimmel“ – und auch weit darüber hinaus. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die letzten 15 Jahre ihres Lebens war sie ein „Lyrikstar“, erinnert sich Wojak. Nach „Kuckuckssömmer“ und „Dat wi överleven“ erschien mit „Dat Bladenhuus“ 1990 ein dritter und letzter Gedichtband.

Greta und Johann Schoon wurden im Familiengrab auf dem Friedhof Spetzerfehn beigesetzt. Erinnerungstafeln weisen auf das literarische Wirken der Dichter hin. Foto: privat
Greta und Johann Schoon wurden im Familiengrab auf dem Friedhof Spetzerfehn beigesetzt. Erinnerungstafeln weisen auf das literarische Wirken der Dichter hin. Foto: privat

Bekannt wurde Greta Schoon bereits vor ihrer Zeit als gefeierte Schriftstellerin. Zum einen druckten Ostfrieslands Tageszeitungen ihre Gedichte schon vor 1977 ab. Und die Kindergärtnerin textete sehr erfolgreich für Kinder. Sie vermochte es, die Kleinen in ihren Bann zu ziehen, erinnert sich der Sohn ihrer Cousine. Viele der Gedichte wurden vertont und als Lieder unsterblich, allen voran „Mien lüttje Lateern“ oder auch „Lüttje Mann will danzen“. Ostfriesische Liedermacher wie Jan Cornelius hätten daran ihren Anteil. Der Gegensatz könnte größer kaum sein: Heitere Kinderlieder auf der einen, schwere existentielle Fragen auf der anderen Seite. Greta Schoon war eine Frau, die ihre seelischen Abgründe scheinbar gut in ihrer Lyrik verarbeiten konnte, denn im Alltag sei sie eine meist heitere, humorvolle Frau gewesen, erinnert sich Wojak.

Heimatschriftsteller Johann Schoon

Ihr Onkel Johann Schoon ist ein eher stiller Mann gewesen. Auch er, so sagt sein Enkel, war für ihn ein ganz Großer: „Er war seiner Zeit weit voraus.“ Schon in der Schule muss einem Lehrer sein Interesse für Literatur aufgefallen sein: So habe der ihn mit immer neuem Lesestoff versorgt, berichtet Wojak. Als junger Mann musste er im Ersten Weltkrieg an die Front, nach Russland und Frankreich. In dieser Zeit seien erste „ironisch-kritische Erzählungen und Gedichte“ entstanden.

Johann Schoon in seinem Arbeitszimmer. Das Foto entstand 1964. Foto: Archiv Wojak
Johann Schoon in seinem Arbeitszimmer. Das Foto entstand 1964. Foto: Archiv Wojak

Johann Schoon kehrte zurück nach Spetzerfehn. Neben seiner Arbeit als Postbote begann er, zunächst auf Hochdeutsch zu schreiben. „Mit viel Pathos und Gefühl“ habe er sich in den 1920er und 1930er Jahren zunächst dem Thema Heimat gewidmet. In den 1950ern sah das schon anders aus: Schoon schrieb gut 500 hochdeutsche Naturbetrachtungen. „Hinzu kamen zahlreiche Artikel über Volkskunde und Brauchtum und plattdeutsche Sprache“, fasst Wojak zusammen. Zunehmend schrieb der Teehändler da auch auf Plattdeutsch: Gedichte und humoristische Kurzgeschichten. Sie erschienen in ostfriesischen Tageszeitungen und Periodika. Posthum erst erschien 1988 mit „Wulfsblömen“ eine kleine Auswahl seiner Arbeiten in Buchform. Auch Johann Schoons Wirken ist preisgekrönt. Er sei nicht müde geworden, „sein Ostfriesland und sein Fehn zu beschreiben“ – und habe sein Können ganz in den Dienst seiner Arbeit gestellt.

„Meine Achtung vor beiden ist noch gewaltig gestiegen, seit ich mich intensiv damit befasse“, verrät Andreas Wojak. Er bewundere sehr, welche Wirkung ihre Zeilen noch heute auf das Publikum haben – und schildert ein berührendes Erlebnis nach einem Vortrag: Ein Besucher sei auf ihn zugekommen und habe gesagt: „Ich habe gerade beschlossen, dass ‚Wat blifft‘ (‚Was bleibt‘) der Abschluss meiner Beerdigungsfeier sein soll.“

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