Gastbeitrag Der Markt ist immer für alle gleich


Die Ausrede schlechthin: „Der Markt läuft gegen uns.“ Aber was kommt dann auf die verantwortlichen Entscheider zu, wenn sie Neues anpacken (müssen)? Ein exklusiver Gastbeitrag von Michael Wefers.
Oldenburg/Ostfriesland - Die Ausgangssituation für Unternehmen im Wirtschaftsleben ist immer für alle gleich: Unternehmerisch handeln heißt, sich zu verändern. Mehr noch: Veränderungen und Anpassungen sind zwingend nötig, um sich auf den schnell wandelnden Märkten zu behaupten.
Wenn in einem Unternehmen die Umsatzzahlen sinken, wird dafür zunächst gern der Markt verantwortlich gemacht. Man hört dann Aussagen wie: „Der Markt läuft gegen uns.“ Akzeptiert eine Unternehmensleitung solch einen Satz in ihrem Unternehmen, akzeptiert sie zugleich Passivität und Perspektivlosigkeit („Wir können ja nichts dafür!“). Doch dabei handelt es sich um eine Ausrede, um die eigene Handlungsunfähigkeit oder Handlungsunlust zu verschleiern. Geld und Größe sind nicht die entscheidenden Faktoren. Und: Der Markt war – und ist – in einer Branche immer für alle gleich.
Also kommt es darauf an, was ein Unternehmen aus den Gegebenheiten des Marktes macht und wie es sich seine Zukunft neu aufbauen will: Geschäftsfelder müssen überdacht und eine Gesamtstrategie mit attraktiven Zielbildern muss formuliert werden. Die Veränderungsfähigkeit eines Unternehmens beginnt in den Köpfen des Managements und ist ein, vielleicht sogar der entscheidende Erfolgsfaktor. Exzellente Führung ist dann der Schlüssel, um aus Veränderungen Chancen zu machen.
Logik der Gefühle bei herausfordernden Marktveränderungen
In der Managementforschung werden fünf typische Phasen von Emotionen der Betroffenen im Veränderungsprozessen beschrieben, die systemimmanent und unabdingbar aufeinander folgen. In der Literatur ist diese – natürlich idealtypische – Logik unter dem Stichwort „Change-Kurve“ oder „Phasenmodell“ bekannt. Jeder verantwortliche Manager sollte diese systemimmanente Logik und Abfolge dieser fünf Phasen kennen. Sie betrifft alle Akteure in organisatorischen Veränderungsprozessen, Führungskräfte und Mitarbeiter.
Wer die fast gesetzmäßige zeitliche Abfolge dieser fünf Phasen kennt, geht deutlich zuversichtlicher an Veränderungsprozesse heran: Zum einen hilft die Kenntnis dieser Phasen, sich auf die kommenden emotionalen Herausforderungen vorzubereiten, die man nicht umgehen kann. Zum anderen geben diese fünf Phasen eine zeitliche Orientierung, sodass man anhand der Stimmung in der Organisation erkennen kann, in welcher Phase sich die Mannschaft oder der Bereich gerade befindet.
Umgehen oder überspringen kann man keine dieser Phasen!
Phase 1 der Change-Kurve: Unsicherheit – kommt da was auf uns zu?
In der ersten Phase besteht große Unsicherheit darüber, ob überhaupt etwas unternommen werden muss, und wenn ja, was. Typisch ist, dass es zur Notwendigkeit der Veränderung und damit auch zur Dringlichkeit von Veränderungen extrem unterschiedliche Einschätzungen im Markt und im Unternehmen gibt. Diese Unsicherheit ist umso größer, je besser das Unternehmen derzeit dasteht. Erfolg kann hier sogar blind machen.
Ein Beispiel: Unternehmen und Markt: Geschäftsmodellwechsel?
1998 kamen in der Fotoindustrie die ersten Digitalkameras auf den deutschen Markt. Dies führte (erst) ab 2000 zu zunächst minimalen Umsatzrückgängen bei den Filmverkäufen. Zwei extrem gegensätzliche Meinungen prallten in der Fotoindustrie aufeinander: Die einen vertraten die Ansicht, dass es sich bei diesen (noch) leichten Rückgängen lediglich um eine kleine Marketing- und Vertriebsschwäche handeln würde. Die anderen, insbesondere die Bereiche Forschung und Entwicklung, erkannten frühzeitig, dass durch diesen technologischen Umbruch ein gravierender Geschäftsmodellwechsel anstand. Beide Pole hatten seinerzeit starke Verfechter.
Die Vorstellungen, in welche Richtung es weitergehen soll, sind erfahrungsgemäß sehr unterschiedlich und führen zu Konflikten. Anstatt sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen, wird immer wieder auf die Erfolge der Vergangenheit verwiesen. Erst allmählich wird der zukünftige Handlungsbedarf akzeptiert. Angesichts der Unsicherheit und dessen, was sie auf sich zukommen sehen, sinkt die Stimmung der von der Veränderung Betroffenen, also aller Mitarbeiter. Die Leistungsfähigkeit der gesamten Organisation leidet.
Phase 2 der Change-Kurve: Euphorie – wir schaffen das!
Am Anfang der zweiten Phase stehen die ersten Konzepte, Vorstellungen und Ideen zur zukünftigen Strategie. Ein neues Zielbild bekommt langsam Konturen, auch wenn es längst noch nicht fertig ist. In dieser Phase steigt die Stimmung wieder an, eine gewisse Starteuphorie macht sich breit. Ein entsprechender Umsetzungsplan zeigt, wie die mögliche Zukunft „Schritt für Schritt“ erreichbar ist. Die inhaltliche Unsicherheit im Hinblick auf das Zukunftsbild bleibt bestehen, aber alle Beteiligten bekommen ein gutes Gefühl im Hinblick auf den Prozess. Durch diese Prozesssicherheit fasst man wieder Vertrauen in die Zukunft und in seine eigene Leistungsfähigkeit.
Phase 3 der Change-Kurve: Das Tal der Tränen – was verlieren wir?!
In dieser Phase sind die zentralen strategischen Entscheidungen gefallen. Dennoch geht es bei den ersten Umsetzungsschritten mit der Stimmung systemimmanent bergab. Die Anfangseuphorie weicht einer Ernüchterung. Man erkennt, wie viel Umsetzungskraft das neue Zielbild erfordert. Beschlossene Konzepte müssen noch einmal überarbeitet werden. Die ersten Umsetzungsschritte sind nicht perfekt, und die operativen Probleme häufen sich. Das, was man an Können und Wissen aufzuweisen hatte, gilt auf einmal nicht mehr; das Neue wirkt noch fremd und bedarf der Übung. Es herrscht große Verunsicherung. Selbst die einfachsten Dinge scheinen nicht mehr zu funktionieren.
In Transformationen werden einzelne Abteilungen reduziert oder abgebaut, während zeitgleich neue Abteilungen aufgebaut werden. Es kommt zu zahlreichen Beziehungskonflikten aufgrund der Neupositionierung einzelner Abteilungen oder Mitarbeiter. Im Machtgerangel verteidigen einige das bisher Erreichte, andere kämpfen um die Eroberung der neuen Felder, um sich zu positionieren.
Der Abstieg in das tiefe Tal der Tränen hat begonnen. Dieses Tal ist ebenfalls systemimmanent und kann nicht umgangen werden.
Ein Beispiel: Unternehmen und Markt: tote Pferde reiten?
Als bei einem meiner Kunden auf einer Sitzung wieder einmal über die großen Umsatzverluste diskutiert wurde, beendete der Vorstand die Diskussion um zusätzliche Gelder für die bisherigen Marketing- und Vertriebsaktivitäten mit dem Satz: „Wenn das Pferd tot ist, steigen Sie bitte ab und gehen Sie zu Fuß weiter, meine Damen und Herren!“
Was bedeutet dies alles für Sie als Führungskraft oder Leiter des Veränderungsprozesses? Vermeiden können Sie dieses Tal nicht, Sie müssen da durch! Allenfalls können Sie versuchen, nicht allzu tief in dieses Tal hineinzufallen und nicht zu lange darin stecken zu bleiben. Und darin liegt der Wert eines guten Projektmanagements!
Von Ihnen als Führungskraft erfordert diese Phase einen hohen persönlichen Einsatz von Beginn an sowie den Mut und den Willen, mehr leisten zu wollen als das Durchschnittliche. Dafür sind Ihre Zuversicht (mentale Stärke) und Ihre Begeisterungsfähigkeit (positive Führungskommunikation) entscheidende Faktoren, um Ihre Vorbildfunktion für Ihre Mitarbeiter behaupten zu können. Im Sturm auf hoher See will die Mannschaft keinen zweifelnden Kapitän an der Spitze, sondern einen, der ihnen das Vertrauen und die Zuversicht gibt: „Wir schaffen das!“ Schnelle Erfolge (Quick Wins) haben in dieser Phase einen positiven Einfluss auf Ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen Ihrer Mitarbeiter in den Erfolg der Veränderung. Quick Wins motivieren zum Weitermachen. Die Kommunikation bereits erreichter Erfolge ist dabei ein wichtiges Instrument.
Phase 4 der Change-Kurve: Mut für Neues – wir sehen den Gipfel
In dieser Phase steigt durch eine konsequente Umsetzung die Stimmung Tag für Tag, alle klettern langsam aus dem Tal der Tränen heraus. Der Weg zum Gipfel ist jetzt jedem bekannt, aber verlangt wegen seiner Steilheit viel Kondition. Die Dinge beginnen wieder zu laufen, immer öfter stellt sich das Empfinden von Teilerfolgen ein. Das Neue wird zur neuen Routine. Statt der aus Phase 3 vorherrschenden Beziehungskonflikte geht es nun wieder um die Sache und damit um Sachkonflikte.
Was bedeutet das für Sie als Führungskraft, insbesondere für das mittlere Management als Treiber im Zentrum der Veränderung? Die Gefahr besteht hier darin, dass vor lauter Freude über den wiederentdeckten Horizont die Beharrlichkeit nachlässt. Unbewusst verliert man an Fahrt, der Druck lässt nach. Gute Führung zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie den Umsetzungsdruck unverändert bis zur vollständigen Zielerreichung aufrechterhält und damit Verantwortung zeigt. Immer wieder konsequentes Nachhaken und konsequente Kontrolle in diesem „Endspurt“ sind hier die dringlichste Managementaufgabe.
Phase 5 der Change-Kurve: Stabilisierung – das Neue wird uns jetzt vertraut
In dieser Phase stabilisieren sich trotz aller Aufs und Abs die Veränderungen endgültig, letzte Optimierungen des Neuen werden vorgenommen. Die Veränderung geht nach und nach in Fleisch und Blut über und verankert sich durch Üben, Üben, Üben in der Unternehmens- und Führungskultur. Ging es in den Phasen drei und vier eher um eine Innenorientierung, heißt es jetzt, mit voller Kraft und neuer Sicherheit nach außen zu gehen. Kunden und Lieferanten wollen starke Partner, auf die sie sich verlassen können – eine entsprechende intensive Außenkommunikation ist nun notwendig
Über Michael Wefers
Michael Wefers ist Managementtrainer und Führungsexperte für Leistungskraft und Souveränität in schwierigsten Belastungssituationen mit 25-jähriger operativer Führungsverantwortung. Er hat die digitale Transformation der Fotoindustrie als internationaler Personalvorstand beim Marktführer CEWE mitgestaltet. Seit 2009 berät er mittelständische Unternehmen beim Aufbau einer strategischen Führungskräfteentwicklung, insbesondere in unternehmerisch schwierigen Phasen. Überregional erfolgreich ist die Wefers & Coll. Unternehmerberatung zudem in der nachhaltigen Personalberatung und der ganzheitlichen Managementdiagnostik.
Über die Wefers & Coll. Unternehmerberatung GmbH & Co. KG
Die Wefers & Coll. Unternehmerberatung mit Fokus auf Führungsthemen bietet ihren Kunden drei Leistungsbereiche: die Personalberatung, die Managementdiagnostik und die Führungskräfteentwicklung. Mit fast 30 Jahren Erfahrung und besten Kenntnissen des inhabergeführten Mittelstands ist die Wefers & Coll. Unternehmerberatung überregional erfolgreich bei der nachhaltigen Besetzung von Führungs- und Spezialistenfunktionen. Im Bereich der Managementdiagnostik bietet Wefers & Coll. toolgestützte Hilfe bei der Auswahl von Top-Führungskräften, bei der Beförderung und Umbesetzung im Mittelmanagement, bei der Teamentwicklung, bei der Organisationsentwicklung sowie für Vertriebsaudits. In Seminaren, Webinaren und Inhouse-Trainings zur Führungskräfteentwicklung werden Mitarbeiter aller Führungsebenen gezielt auf ihre anstehenden Aufgaben vorbereitet oder individuell vereinbarte Kompetenzen trainiert – praxisnah und nachhaltig.
Mehr Informationen zu Wefers & Coll. Unternehmensberatung.