Gastbeitrag Warum Urlaub nicht länger ein Privatvergnügen sein darf


Viele sind der Meinung, dass Führungskräfte für ihr Geld mehr ackern sollten – gerade auch im Urlaub. Unser Gastautor Michael Wefers hat dazu eine Meinung, die womöglich nicht jedem gefallen wird.
„Erholung ist Voraussetzung für Spitzenleistung – nicht Belohnung.“ Dieser Satz hat in meinem Leben einiges verändert. Denn ich bin anders erzogen worden: Urlaub hat man sich erst dann verdient, wenn man erschöpft ist. Wenn nichts mehr geht. Wenn man so müde ist, dass der Körper nicht mehr mitspielt. Dann war es in Ordnung, sich eine Auszeit zu nehmen.
Heute sehe ich das anders. Heute weiß ich: Diese Haltung ist tief verankert in einer leistungsorientierten Kultur, in der Erschöpfung als Ehrenzeichen gilt. Doch sie ist gefährlich. Und sie ist falsch. Wer dauerhaft an der Leistungsgrenze arbeitet und erst dann innehält, wenn nichts mehr geht, lebt auf Verschleiß. Und führt auf Verschleiß.
Wer keine Pause macht, arbeitet gegen sich selbst
Ich erinnere mich gut an ein Gespräch mit einem Geschäftsführer, der mir mit einer Mischung aus Stolz und Ernst sagte: „Ich war das ganze letzte Jahr nicht im Urlaub.“ Ich glaube, er erwartete Anerkennung für seine hohe Ausdauer und Einsatzbereitschaft. Ich entgegnete ihm nur: „Vor diesem Verhalten habe ich wenig Respekt.“ Es wurde still im Raum.
Meine Reaktion war kein Affront, sondern Ausdruck einer Überzeugung, die ich in meiner Arbeit immer wieder betone: Wer keine Pause macht, arbeitet gegen sich selbst. Und früher oder später auch gegen sein Team. Denn wer dauerhaft führt, ohne sich gezielt zu regenerieren, verliert die Verbindung zur eigenen Klarheit – und damit auch zur Führungsstärke.
Die Belastung hat ein neues Niveau erreicht
Führung ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Belastungen für Führungskräfte haben in den vergangenen Jahren ein neues Niveau erreicht – nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ. Der Druck ist permanent: Restrukturierungen, digitale Umbrüche, zunehmende Verantwortung bei gleichzeitigem Ressourcenmangel, politische Unsicherheiten, ständige Erreichbarkeit. Es ist ein Dauerlauf, oft ohne sichtbare Ziellinie. Was viele übersehen: Die ständige mentale Anspannung hat unmittelbare Auswirkungen auf den Körper. Negatives Denken, Zweifel und Unsicherheit, innere Unruhe, Reflexionsschleifen – all das hinterlässt Spuren. Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, emotionale Erschöpfung. Und das Tragische ist: Häufig wird dieser Zustand nicht als Belastung (an-) erkannt, sondern als Normalität akzeptiert.
Ich kenne viele Führungskräfte, die meinen, dass das für sie nicht gilt. Der Gegenbeweis, das auch sie betroffen sind: Viele erleben das bekannte Phänomen der „Leisure Sickness“ – sie werden am vierten oder fünften Urlaubstag krank. Das ist kein Zufall. Erkältung, Kopfschmerzen, Erschöpfung. Genau dann, wenn die Spannung abfällt. Und in der beginnenden Entspannung holt sich der Körper, was er zuvor unterdrücken musste.
Erholung ist keine Belohnung für Spitzenleistung – sie ist Voraussetzung
Ich halte es für einen Irrtum, dass viele Führungskräfte Urlaub immer noch als Belohnung betrachten. Wenn alles geschafft ist, dann „darf“ man sich eine Auszeit nehmen. Aber so funktioniert unser Körper nicht. Wer dauerhaft unter Hochspannung steht, ohne Phasen echter Erholung, verliert seine Leistungsfähigkeit – nicht aus Mangel an Disziplin, sondern weil unser Organismus schlicht nicht für lange andauernde Überlastungen gemacht ist.
Arbeitsmedizinisch gilt: Drei Wochen Urlaub am Stück – das ist das, was unser System benötigt, um wirklich herunterzufahren. Erst nach mehreren Tagen beginnt der Körper, aus dem Alarmzustand auszusteigen. Erst dann sinkt der Cortisolspiegel, erst dann wird der Kopf freier, der Blick weiter, die Atmung tiefer. Wer nach einer Woche schon wieder erreichbar ist oder „nur kurz E-Mails checkt“, kommt gar nicht erst in diesen Zustand.
Urlaub ist Teil Ihrer Führungsaufgabe
Wenn ich mit Führungskräften arbeite, sage ich ihnen: „Urlaub ist kein Privatvergnügen. Er ist ein integraler Bestandteil Ihrer Führungsverantwortung.“ Wer sich nicht erholt, trifft schlechtere Entscheidungen, verliert Geduld, Klarheit, Empathie. Führt nicht mehr bewusst, sondern funktioniert irgendwann nur noch. Und wer sich selbst ignoriert, wird früher oder später auch andere überfordern.
Wir sollten Urlaub neu denken: nicht als Ausstieg, sondern als strategischen Bestandteil von Leistungsfähigkeit. Als Investition in Führungsqualität.
Ich selbst plane – leider erst – seit Beginn meiner Selbstständigkeit meine Urlaube inzwischen wie strategische Termine – mit der gleichen Priorität. Und ja: drei Wochen. Am Stück. Denn ich habe gelernt: Nur in echter Erholung entsteht neue Klarheit. Und damit Erfolg.
Ein Appell an Ihre Verantwortung und Selbstfürsorge
Führung unter Druck verlangt Präsenz, Konzentration, Entscheidungsstärke mit vollem Akku. All das wächst nicht im Dauerstress, sondern in der bewussten Regeneration. Urlaub ist keine Schwäche. Urlaub ist Stärke. Urlaub ist Führung.
Wenn Sie also beim nächsten Mal denken, Sie hätten keine Zeit für Urlaub, dann fragen Sie sich bitte: Was sagen Sie damit eigentlich über Ihr Selbstverständnis als Führungskraft? Keinen Urlaub zu machen, ist kein Zeichen von Stärke – es ist ein Zeichen von Selbstüberschätzung. Und diese hat noch nie gute Führung hervorgebracht.