Eine Woche Filmfest Emden-Norderney und keinen Film gesehen? Geht gar nicht, denkt sich OZ-Redakteurin Nikola Nording und bleibt einen Tag am Stück im Kino.
Emden - Vor drei Jahrzehnten fand das erste Filmfest in Emden statt. Damals wollten die Mitglieder des VHS-Filmclubs eigentlich nur den Erhalt ihres Vereins feiern. Es waren Leute, die sich für Filme begeisterten. Aus dem Fest aus Liebe zum Film ist eines des größten Publikumsfestivals der Branche in Deutschland geworden. Zahlreiche Stars und Filmemacher kommen jedes Jahr nach Emden, um ihre Streifen vorzustellen.
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Filmfest: Ein Tag im Kino
17.06.2019
Nicht wenige erzählen zwischen Sektempfang und Mitternachtstalk, dass sie vor lauter Verpflichtungen gar nicht dazu kommen, sich Filme anzusehen. Ein Unding, denke ich, und starte ein Experiment. Ich setze mich am Sonnabend des 30. Internationalen Filmfest Emden-Norderney um 11.45 Uhr ins Kino und schaue mir einen Film nach dem anderen an.
In Jogginghose ins Kino
Bevor ich überhaupt ins Kino gehe, überlege ich, welche Kleidung am besten ist. Da ich lange sitze, wähle ich etwas Bequemes: Jogginghose (es ist ja schließlich dunkel im Saal), ein T-Shirt und eine Strickjacke. Den sogenannten Zwiebellook haben mir einige Tage vorher zwei Filmclub-Mitglieder empfohlen. Es sei mal zu warm in den Sälen und mal fürchterlich kalt.
„Der Affront“ Bilder (5): Internationales Filmfest Emden-Norderney
Ich kaufe mir Popcorn und Cola und gehe ins Kino. „Der Affront“ ist fast ausverkauft. Bei den Filmfestfilmen gilt freie Platzwahl und so bekomme ich – kurz vor Filmbeginn kommend – nur noch den Katzenplatz in der ersten Reihe. Das ist allerdings auch nicht weiter tragisch, denn so kann ich niemandem mit meinem Popcorn stören. Mir fällt auf, dass ich mich als Einzige im Saal mit dem süßen Zeug ausgerüstet habe. Auch in den weiteren Vorstellungen wird es kaum Popcorn- oder Nacho-Esser geben. Der Film selbst begeistert mich sehr. „Der Affront“ wird in Erinnerung an Regisseur Bernhard Wicki – ein Freund des Emder Filmfestes – gezeigt. Das Nahost-Drama zeigt atemberaubend, wie leicht ein kleiner Konflikt – in diesem Fall unter zwei Männern – eine Spirale der Gewalt anstoßen kann und ein ganzes Land an den Rand eines Bürgerkrieges bringen kann.
Geteilte Meinung
„Der Klavierspieler vom Gare du Nord“
Nach 113 Minuten ist Schluss. Bis zum nächsten Film habe ich gut 30 Minuten. Ich treffe mich mit einer Freundin am Schalter, hole mir die nächste Karte, trinke noch einen Kaffee und dann geht es schon weiter. „Der Klavierspieler vom Gare du Nord“ ist typisch französisch und sehr viel leichter als noch „Der Affront“.
Ein Junge aus der Pariser Unterschicht mit großem Klaviertalent wird am Konservatorium aufgenommen und kämpft gegen die Vorurteile und seine eigenen Unzulänglichkeiten. Kein neues Thema – aber allein durch die Klaviermusik ein Genuss. Das sehen aber offensichtlich nicht alle so: Vor der Tür höre ich „Der schlechteste Film, den ich seit Langem gesehen habe.“ Huch, das hatte ich anders empfunden.
Inzest-Drama kommt nicht an
„A Gschicht über d´Lieb“
Während ich auf den Einlass in Film drei warte, läuft Schauspieler Bjarne Mädel an mir vorbei. Der „Tatortreiniger“-Star macht Selfies mit Fans und verschwindet dann in einen Saal. Nicht in meinen, dort erklärt Regisseur Peter Evers gerade, dass sein Film auf Schwäbisch ohne Untertitel sei. Ich ahne schon Schlimmes. Doch die Sprache ist wirklich nicht das Schrecklichste an dem Film. Eine Inzest-Liebe kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einem schwäbischen Dorf. Ich kann damit nichts anfangen und gehe sofort nach der letzten Szene.
Weltpremiere – auch in Jogginghose
„Zoros Solo“
Das liegt aber auch daran, dass ich nach drei Filmen nicht mehr sitzen kann. Außerdem muss ich erstmals das Kino wechseln. Während ich die ersten drei Filme im Cine-Star gesehen habe, geht es jetzt ins Neue Theater. Dort findet die Weltpremiere von „Zoros Solo“ statt. Die Atmosphäre im Theater ist gleich eine andere, die Stühle auch. Während ich mich im Kinosessel bequem lümmeln konnte, ist das im ausverkauften Theater anders. Zudem fühle ich mich falsch angezogen: Die Jogginghose ist zwar im dunklen Kino eine gute Idee, für eine Weltpremiere bin ich damit definitiv falsch angezogen.
Der Film „Zoros Solo“ ist unterhaltsam. Allerdings bemerke ich die ersten gedanklichen Aussetzer. Bei einigen Witzen fällt mein Groschen zeitverzögert zum übrigen Publikum. Auch zappel ich vermehrt auf meinem Sitz herum, beuge mich vor, überschlage die Beine. Meine Sitznachbarn dürften reichlich genervt sein.
Untertitel am Schluss
„Zoros Solo“
Nach dem Film führe ich einige Interviews und mache mich dann auf den Weg ins Cine-Star. Mein letzter Film des Abends ist „Made in China“. Im Kino bin ich überrascht: Ich hatte die Filmbeschreibung nur überflogen und nun sitze ich einem französischen Film, der nur mit Untertiteln übersetzt wurde. Das überfordert mich.
Ich schaue mir den Film an, klebe an den Untertiteln und kann das nur schwierig zusammen bewerten. Um 22.45 Uhr falle ich aus dem Kino. Ich könnte noch um 23.30 Uhr einen Film mit Jürgen Vogel sehen – der kommt mir auf dem Weg entgegen – aber ich verzichte. Es ist genug.