Meinung

Woher der Hass kommt

Joachim Braun
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Von Joachim Braun
| 21.02.2020 15:32 Uhr | 5 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
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Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft? Warum greifen Hass und Rassismus immer mehr um sich? Gedanken nach dem Blutbad von Hanau von Chefredakteur Joachim Braun.

Es beschleunigt sich. Zwischen den Amokläufen in München (2016) und Halle (2019) lagen noch drei Jahre. Zwischen Halle und Hanau nur viereinhalb Monate. Wo und wann, so die Frage, schlägt der grassierende Hass, schlagen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Wahnsinn als nächstes zu? Das ist die Frage und nicht, ob es passiert.

Und jedes Mal ist erst die Fassungslosigkeit groß. Dann kommen die Beileidsbekundungen und zuletzt das Nachdenken, wie die Gesetze verschärft werden können, um solche Anschläge auf die Menschlichkeit und auf unsere Demokratie zu verhindern. Das greift leider viel zu kurz.

OZ-Chefredakteur Joachim Braun.
OZ-Chefredakteur Joachim Braun.
Denn Hass und Rassismus sind längst Alltag in unserer Gesellschaft. Die AfD, die sich ja ganz unverhohlen auf die Fahnen geschrieben hat, die Grenzen des „Sagbaren“ immer weiter auszudehnen, ist die demokratisch legitimierte Speerspitze im Vernichtungskampf gegen die offene Gesellschaft. Sie hat es schon geschafft, völkisches Gedankengut, Hetze gegen Ausländer, aber auch gegen Politiker und Medien salonfähig zu machen. Und der wahnsinnige Attentäter von Hanau ist dabei ein willfähriges Werkzeug. Er vertieft den Keil, den die faschistischen Meinungsführer der AfD mit voller Absicht in unsere Gesellschaft treiben.

„Man wird ja wohl noch sagen dürfen, dass ...“. Nein, man darf nicht muslimische Mitbürgerinnen als „Kopftuchmädchen“ (Alice Weidel) diffamieren, man darf auch nicht die NS-Zeit als „Vogelschiss“ (Alexander Gauland) verniedlichen. Und die Ausländerpolitik als „bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“ (Björn Höcke) zu bezeichnen, ist rassistisch, faschistisch und, ganz nebenbei gesagt, völliger Propaganda-Unsinn, der durch nichts belegt ist.

Natürlich läuft in unserer Gesellschaft nicht alles rund. Es gibt Ungerechtigkeit, es gibt Korruption, es gibt Verbrechen, Zukunftsängste wegen der laufenden Veränderungen, es gibt in unserem System Gewinner und Verlierer – wie zu allen Zeiten der Menschheit. Und trotzdem ist die auf dem Grundgesetz von 1949 aufbauende Demokratie der erste deutsche Staat, der uns allen aufgrund seiner Offenheit Wohlstand und sozialen Ausgleich gebracht hat.

Neulich kündigte ein 71-jähriger Abonnent, ein früheres CDU-Mitglied, diese Zeitung mit dem Hinweis, in den Kommentaren würden „Millionen von AfD-Anhängern permanent beleidigt“. Es folgte ein Mailaustausch, an dessen Ende der Leser schrieb: „Ich lebe inzwischen in einer Parallelwelt, sehe keine Nachrichten und Talkshows mehr und höre mir im Internet meine Favoriten an“. Die von ihm genannten „Favoriten“ waren keine Nazis, aber solche, die mit Parolen und Pauschalkritik Zweifel und Hass nähren.

Ich glaube, dieser Mann steht für viele verunsicherte Menschen, die in den vermeintlich einfachen Antworten der selbsternannten „Alternative für Deutschland“ Erlösung finden wollen. Im Internet wird er mit seinen Ängsten bestätigt, und die AfD holt ihn in der realen Welt ab. Dass er mit seiner Wahlentscheidung Rassismus und Hass fördert und Wegbereiter einer Radikalisierung innerhalb der Gesellschaft ist, an deren vorläufigem Ende der Amoklauf von Hanau steht, wird der Mann nicht einsehen. Aber andere vielleicht schon. Dafür aber müssen wir Demokraten auch endlich aktiv für unsere Demokratie kämpfen.

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