Berlin (dpa)

Lehrerverband warnt vor „Durcheinander“ im neuen Schuljahr

| 28.07.2020 07:36 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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In einigen Bundesländern gehen die Sommerferien bald zu Ende. Die Frage, die sich Eltern, Lehrern und Schülern stellt: Ist ein Regelbetrieb, wie er im neuen Schuljahr geplant ist, realistisch? Zumal die Infektionszahlen zuletzt wieder gestiegen sind.

Kurz vor dem Ende der Sommerferien in einigen Bundesländern bleibt die Skepsis groß, ob es mitten in der Corona-Pandemie mit der geplanten Rückkehr in den Regelbetrieb an den Schulen klappt.

Nach Ansicht des Deutschen Lehrerverbandes sind die Schulen dafür nicht ausreichend vorbereitet. Er befürchte ein „großes Durcheinander“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der Deutschen Presse-Agentur. Der Bundeselternrat rechnet wegen Corona mit erneuten Schulschließungen und geht davon aus, dass das Schuljahr „keineswegs planmäßig verläuft“, wie der Vorsitzende Stephan Wassmuth sagte.

Kritisch äußerten sich auch Vertreter der Oppositionsparteien im Bundestag. Das Robert Koch-Institut forderte eine strikte Trennung von Gruppen in den Schulen. Unterstützung für die Bundesländer mit Blick auf deren Planungen für eine Rückkehr in den Regelbetrieb kam von der obersten deutschen Ärztevertretung, der Bundesärztekammer. Ohne ausreichend Unterricht über einen längeren Zeitraum drohten Kindern „enorme Folgeprobleme, etwa in Bezug auf die körperliche und psychische Entwicklung“, sagte der Ärztekammerpräsident Klaus Reinhardt, der dpa. „Der Anspruch muss sein, einen weitestgehenden Regelbetrieb an den Schulen zu sichern - im Sinne der Kinder.“

Baden-Württemberg geht an diesem Donnerstag als letztes Bundesland in die Sommerferien, während in Mecklenburg-Vorpommern am nächsten Montag bereits das neue Schuljahr beginnt. Mehrere andere Bundesländer starten kurze Zeit später. Die Kultusminister der Länder hatten vor dem Sommer vereinbart, den Regelbetrieb an den Schulen wiederaufzunehmen und dabei auch auf die Abstandsregel zu verzichten - mit der Einschränkung: „sofern es das Infektionsgeschehen zulässt“. Mitte Juli hatten sie dafür ein neues Hygiene-Rahmenkonzept vorgelegt.

Meidinger bemängelte, für einen Vollbetrieb ohne Abstandsregeln fehlten die Lehrkräfte. Bildungsgewerkschaften schätzen, dass bis zu 20 Prozent der Lehrer zur Risikogruppe gehören und für den Präsenzunterricht ausfallen könnten. Auch die Hygieneregeln der Kultusminister der Länder für die Schulen werden als wenig praktikabel kritisiert, beispielsweise die Vorgabe, regelmäßig „intensiv“ stoßzulüften.

„An vielen Schulen lassen sich die Fenster in höher gelegenen Klassenräumen aus Sicherheitsgründen nicht oder nur einen Spalt öffnen“, sagte Meidinger. Zudem sei die Idee fester Lerngruppen vielleicht an Grundschulen umsetzbar, aber kaum an einer gymnasialen Oberstufe mit Kurssystem, wo die Schüler ständig mit anderen Mitschülern zusammen seien.

Genau das müsste nach Ansicht des Präsidenten des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, aber eine zentrale Maßnahme sein. Es sei wichtig, dass man Klassenverbünde zusammenhalte und die Klassen nicht mische, sagte Wieler am Dienstag in Berlin. Es müssten sogenannte „epidemiologische Einheiten“ gebildet werden. Auch in der Freizeit sei es sinnvoll, wenn sich Schüler dann nur mit den Schülern treffen, mit denen sie schon in der Schule waren.

Zu den Skeptikern mit Blick auf das neue Schuljahr zählt auch der Bundeselternrat, die Dachorganisation der Landeselternvertretungen in Deutschland. Zwar wünschten sich Eltern sicheren und flächendeckenden Präsenzunterricht, sagte der Vorsitzende Wassmuth. Er rechnet pandemiebedingt regional dennoch wieder mit Schulschließungen und fordert von den Ländern konkrete Planungen auch für ein „Szenario B“ mit einer Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht. „Wer das nicht vorbereitet hat, handelt höchst fahrlässig und gegen die Schülerinnen und Schüler.“

Die dem Verband bekannten Planungen seien nicht abschließend zu Ende gedacht. Der Elternvertreter rechnet nicht damit, dass unter den gegebenen Bedingungen der Lehrplan zu schaffen ist, und fordert eine „Entrümpelung“. Auch Lehrerverbandspräsident Meidinger hält es für sinnvoll, wenn die Bundesländer sicherheitshalber Listen mit Stoffgebieten erstellen, „deren Vermittlung im nächsten Schuljahr verzichtbar ist“. „Man muss sich ehrlich machen. Ideale Unterrichtsbedingungen wird es noch lange nicht geben“, sagte er.

Zur Vorbereitung auf weitere mögliche Schulschließungen müssten Meidingers Ansicht nach die für die Schuldigitalisierung vorgesehenen Milliarden-Fördergelder jetzt „mit Hochdruck in die Schulen gepumpt werden“. Bislang tröpfelten diese nur.

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping, sagte am Dienstag, es gebe ein „dramatisches Versagen der Bildungspolitik durch Untätigkeit“ und forderte Schul-Laptops für alle Schüler und die Einrichtung von Expertengruppen auf Bundes- und Länderebene, die sich um die Erstellung von Material für Online-Unterricht kümmern. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding rief Schulträger und Länder dazu auf, die verbleibende Ferienzeit zu nutzen, um sicherzustellen, dass Präsenzunterricht nach den Ferien in größtmöglichem Umfang stattfinden könne. „Ein Unterrichtsdesaster wie zu Beginn der Corona-Krise darf es kein zweites Mal geben.“

© dpa-infocom, dpa:200728-99-947917/5

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