München (dpa)

Von Hochachtungsvoll zu LG: Der Geschäftsbrief wird lockerer

Roland Losch, dpa
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Von Roland Losch, dpa
| 13.01.2022 08:13 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Grußformeln wie „Guten Tag Familie...“ werden auch in der Geschäftspost häufiger. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Grußformeln wie „Guten Tag Familie...“ werden auch in der Geschäftspost häufiger. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
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Immer mehr Unternehmen verzichten in Briefen und Mails auf althergebrachte Förmlichkeiten. Damit tun sich jedoch neue Fallgruben auf. Und gendersensible Sprache wird wichtiger.

Konzernchefs treten in Turnschuhen auf, Unternehmen duzen ihre Kunden ungefragt - der Stil der Kommunikation in der Wirtschaft hat sich verändert. „Die Reduzierung von Förmlichkeiten entspricht dem Zeitgeist“, sagt Führungskräfte-Beraterin Jana Völkel-Kitzmann.

Aber damit tun sich auch neue Fallgruben auf: „Wie trete ich niemandem auf die Füße?“ Audi-Chef Markus Duesmann zum Beispiel könnte man mit „Sehr geehrter Herr Duesmann“ anschreiben und den Brief schließen „Mit vorzüglicher Hochachtung“ oder „Mit freundlichen Grüßen“ - so schlagen es die Protokoll-Experten der Bundesinnenministeriums in ihrem Ratgeber vor. Allerdings führt Audi seit März 2021 schrittweise die gendersensible Sprache ein. „Bei Anreden nutzen wir in der Regel ausschließlich Vor- und Nachnamen und beginnen Briefe oder E-Mails an Kund_innen beispielsweise mit „Guten Tag Vorname Nachname“ oder „Sehr geehrte Audi Kund_innen“ und verzichten auf geschlechtsspezifische Angaben“, erklärt eine Sprecherin in Ingolstadt.

Audi gehört damit zu den Pionieren. „Viele Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen - darunter auch Großkonzerne - haben uns seitdem zu unseren Erfahrungen kontaktiert“, sagt die Sprecherin.

Die alten Formeln fallen nicht ganz weg

Auch die Haufe-Akademie berichtet von großem Interesse bei ihren Fortbildungsseminaren: „Das Thema Gendern, wie wähle ich die politisch korrekte Ansprache, wird aktuell von allen Teilnehmer:innen und insbesondere aus dem Bereich Banken, Versicherungen und Behörden sehr hoch priorisiert und wird so zum alltäglichen Standard“, sagt ein Sprecher.

„Sehr geehrte Damen und Herren“, kann eine E-Mail oder ein Brief noch so beginnen? Die bisherigen Formen werden weniger benutzt, aber sie fallen nicht weg, sagt Völkel-Kitzmann vom Management-Institut Kitzmann. Umgangssprachliche Anreden, wie sie bei Whatsapp und Tiktok üblich sind, tauchen zunehmend in E-Mails und Briefen auf. Aber: „Geschäftspartner sollten nicht mit moin moin oder hej angeschrieben werden, sondern höflich und respektvoll, wenn man professionell kommuniziert“, sagt die Beraterin. „Taktlos ist auf jeden Fall, jemanden ungefragt mit dem Vornamen anzureden, wie in der Werbung an der Bushaltestelle. Das übernehmen junge Mitarbeiter vielleicht aus den sozialen Medien.“ Nicht jeder wolle so kumpelhaft angesprochen werden.

Korrespondenzberaterin Claudia Marbach wird in ihren Seminaren oft gefragt, ob eine Anrede oder Grußformel falsch sei. „Falsch ist das nicht, sofern keine Rechtschreib- oder Grammatikfehler enthalten sind. Es ist möglicherweise nur nicht originell, vielleicht langweilig, fad, kompliziert, distanziert“, sagt sie. „Und darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Das empfindet jeder anders.“ Entscheidend sei es, „wertschätzend, respektvoll und positiv zu kommunizieren“.

Je nach Branche ist der Ton ein anderer

Wenn förmliche Anreden und Grußformeln durch individuelle, persönliche ersetzt werden sollen, aber die Zeit drängt, muss mitunter auch in E-Mails ein kurzes „Hallo“ reichen und am Schluss ein „LG“. Geht gar nicht, findet Marbach: „Wer Liebe Grüße schicken möchte, kann sich auch die Zeit nehmen, die Wörter auszuschreiben“, sagt sie. „Wenn mein Mann sagt „Ich liebe dich“, sage ich ja auch nicht „dito“, nur weil es schneller geht.“

Der Stil hängt auch von der Branche ab. In Banken und Versicherungen ist der Ton konservativer, in der Technologie-, Sport- und Modebranche tendenziell lockerer. Aber „locker ist nicht gleich gut, positiv, respektvoll oder wertschätzend. Locker ist nicht zwangsläufig besser“, sagt Marbach. „Ich zum Beispiel finde es übergriffig, wenn mich mein Mobilfunkanbieter in E-Mails duzt: „Hallo Claudia““.

Die Gratwanderung zwischen klassisch und originell, distanziert und anbiedernd, altbacken und schnoddrig erfordert Fingerspitzengefühl. Da wünschen sich manche wieder verbindlichere Umgangsformen. Bei der Haufe-Akademie „spüren wir eine starke Nachfrage nach Unterstützung in der formellen Kommunikation nach außen“, sagt ihr Sprecher. „Viele Kundinnen und Kunden wollen Stil und Form in der offiziellen Geschäftskommunikation jetzt wieder stärken und unternehmensweit vereinheitlichen.“

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