Wandel in Geschäftswelt Geschäft „Einhorn“ sucht einen neuen Betreiber

| | 20.12.2023 11:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Raoni Aili Issac sucht einen Nachfolger für ihr Geschäft „Das Einhorn“. Fotos: Ortgies
Raoni Aili Issac sucht einen Nachfolger für ihr Geschäft „Das Einhorn“. Fotos: Ortgies
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Eigentlich wollte Raoni Aili Issac das Naturwarengeschäft „Einhorn“ in Aurich schließen. Das wäre für sie jetzt die letzte Option, falls sich kein Interessent für den Laden findet.

Aurich - Beim Fototermin ist die Spannung mit Händen zu greifen: Links ragt das orangerote Banner mit dem Aufdruck „Ausverkauf“ ins Bild, rechts das liebevoll gestaltete Blechschild des Naturwarenhauses „Das Einhorn“ mit seinem Logo. Dazwischen steht Raoni Aili Issac. Die Inhaberin des Geschäfts in der Auricher Burgstraße ist buchstäblich zerrissen. Sie hat vor etwas mehr als sechs Wochen öffentlich gemacht, dass sie ihren Laden aus familiären Gründen nicht mehr betreiben und ihn Ende Januar 2024 schließen werde.

Am 30. Oktober hat der Ausverkauf der Produkte begonnen. Ein Schritt, der für die 42-Jährige „emotional ganz schwer war“, wie sie im Gespräch mit der Redaktion sagt. Auch viele, viele Kunden seien bestürzt über das nahende Ende ihres Lieblingsgeschäfts gewesen, hätten sie gefragt, ob es nicht eine Perspektive für „Das Einhorn“ geben könnte. Das habe sie nachdenklich gestimmt, sagt die Geschäftsfrau. Sie habe sich mit ihrem Steuerberater unterhalten und beschlossen, einen Nachfolger zu suchen.

Wie sieht es wirtschaftlich aus?

Raoni Aili Issac versichert auf Nachfrage, dass ihr Betrieb ökonomisch auf gesunden Füßen stehe. Das Ladengeschäft befinde sich in der Auricher Fußgängerzone, es existiere seit 1999. Angeboten würden Spielwaren, Textilien sowie nützliche oder schöne Dinge für den Alltag oder zum Verschenken.

Im "Einhorn" gibt es auch Kleidung für die Allerkleinsten.
Im "Einhorn" gibt es auch Kleidung für die Allerkleinsten.

„Unser Sortiment besteht aus liebevoll und sorgfältig ausgewählten Produkten, die nachhaltige und sozial vertretbare Kriterien erfüllen. Vieles wurde in Deutschland oder Europa unter Einhaltung nachhaltiger Standards produziert“, sagt die Geschäftsfrau. Aktuell gebe es drei festangestellte Mitarbeiter und vier Aushilfen. Sie selbst habe bis vor anderthalb Jahren, bis zur Geburt ihrer Tochter, werktags immer im Geschäft mitgearbeitet. Nur das Wochenende habe sie bei ihrem Mann in Emsdetten verbracht. Als junge Mutter sei das ständige Bewältigen einer Entfernung von rund 180 Kilometern für eine Strecke nicht mehr machbar. Deshalb habe sie sich zum Verkauf des Unternehmens entschlossen.

Woher kommen die Kunden?

Laut Raoni Aili Issac hat „Das Einhorn“ Stammkunden in ganz Ostfriesland. Die Marken, die sie führe, seien selten zu bekommen. Dafür gebe es etliche Liebhaber. Viele Touristen, die in den Sommerferien, aber auch jetzt während des Weihnachtszaubers, die Stadt besuchten, steuerten regelmäßig ihren Laden an. „Es wird lange Gesichter geben für den Fall, dass ich keinen Nachfolger finde und der ein oder andere Stammgast aus Nordrhein-Westfalen oder anderenorts plötzlich vor verschlossenen Türen steht“, vermutet die Geschäftsfrau.

Weil der Räumungsverkauf bereits begonnen hat, stehen die Waren dicht gedrängt.
Weil der Räumungsverkauf bereits begonnen hat, stehen die Waren dicht gedrängt.

Derzeit nutzen viele den Online-Shop, der seit 2014 am Netz ist. Bereits ihre Mutter Birgit Issac, die das Geschäft 17 Jahre lange geführt habe, sei sehr früh aktiv geworden und habe sich den Domain-Namen www.das-einhorn.de sichern lassen.

Wie wurde die Nachfolgersuche publik gemacht?

Am vergangenen Wochenende hat die Inhaberin des Naturwarenhauses über die sozialen Medien, also über Facebook und Instagram, Anzeigen geschaltet. Außerdem habe sie über das Portal „Nexxt-Change“ (www.nexxt-chance.org) auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht. Die Unternehmensnachfolge-Börse wird seit rund sieben Jahren vom Bundes-Wirtschaftsministerium betrieben. Sie dient dazu, Firmenchefs und Existenzgründer erfolgreich zusammenzubringen. Für den Vermittlungsprozess stehen dort auch Checklisten zum Download bereit, unter anderem eine, die eine Prüfung der Finanzsituation ermöglicht.

Wie stehen die Chancen für eine Übergabe?

Wer sich als Firma unsicher ist, was er in den Checklisten auf dem Portal „Nexxt-Change“ angeben soll, kann sich mit Anke Hölscher in Verbindung setzen. Die Mitarbeiterin der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Emden dient als Ansprechpartnerin. Ihre Daten werden auf der Website veröffentlicht. Derzeit habe sie pro Woche im Schnitt ein bis zwei Anfragen von Interessenten, die einen Nachfolger für ihre Firma suchten.

Sehr gut nachgefragt sind im "Einhorn" diese Mäusefamilien der Marke Maileg.
Sehr gut nachgefragt sind im "Einhorn" diese Mäusefamilien der Marke Maileg.

„Jetzt gehen die Baby-Boomer in den Ruhestand, viele wollen vorher ihr Unternehmen veräußern“, sagt sie. Das werde nach ihrer Beobachtung immer schwieriger. Es sei nicht einfach, Bewerber und Verkäufer zueinander zu führen. „Derjenige, der verkaufen möchte, will meistens sehr viel Geld. Der Interessent kann vielfach keine Sicherheiten bieten“, so Hölscher. Schon sei der Deal geplatzt. Zudem müsse man für die Suche nach einem Nachfolger im Einzelhandel im Schnitt mit einem Jahr Suche rechnen. Bei größeren Unternehmen könnten auch schon mal bis zu zwei Jahre ins Land gehen.

Wer unterstützt Geschäfte bei der Übergabe?

Beratung bekommen Geschäftsleute beim Einzelhandelsverband für Ostfriesland. Dessen Geschäftsführer Johann Doden sagt, dass sein Team Unterstützung gewähre: „Wir haben Checklisten, die wir herausgeben. Darin geht es unter anderem darum, wie die Verträge mit Mitarbeitern gestaltet werden könnten.“ Auch bei rechtlichen Fragen könne man Hilfestellung leisten. Es gebe im Verband keine Statistik darüber, wie oft Unternehmensnachfolgen in den vergangenen Jahr in Ostfriesland geglückt seien. Aktuell fielen ihm allerdings zwei konkrete Beispiele ein, wo es zu Lösungen außerhalb der Familie gekommen sei. So habe der Lederwarenbetrieb Fischer in Norden einen Mitarbeiter dafür gewinnen können, den Betrieb zu übernehmen. Gleich drei Angestellte übernehmen Ende des Jahres das Bettenhaus Barghoorn in Emden, das seit mehr als 180 Jahren besteht. Die Inhaber Peter und Dirk Barghoorn werden nur noch als Gesellschafter der Firma im Hintergrund tätig bleiben. In ihren eigenen Familien waren keine Nachfolger oder Nachfolgerinnen in Aussicht.

Das ist nach Beobachtung von Anke Hölscher vielfach der Fall: „Selbst wenn Kinder da sind, wollen die das Unternehmen nicht übernehmen, weil sie über viele Jahre gesehen haben, dass ihre Eltern sehr viel arbeiten mussten.“ Für zahlreiche Unternehmen in der Region wird der Generationenwechsel zur Herausforderung. Deshalb gibt es in Ostfriesland das Netzwerk Unternehmensnachfolge. Es besteht aus Wirtschaftsförderern, Kreishandwerkerschaften, Kammern und weiteren Partnern. So wie die miteinander reden, muss das auch der Kaufmann tun, der sein Geschäft veräußern möchte. „Wer etwas will, muss auch darüber reden“, rät Johann Doden. Raoni Aili Issac hat den ersten Schritt gemacht, jetzt sind andere dran.

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