Kommentar zum Klinikverbund Aurich-Emden-Norden Keine Auskünfte aus dem Millionengrab – Gift für die Demokratie

Andreas Ellinger
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Ein Kommentar von Andreas Ellinger
| 03.01.2024 18:56 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 7 Minuten
Ein Auskunftsverweigerer: Dirk Balster, Geschäftsführer des Klinikverbunds Aurich-Emden-Norden. Archivfoto: Ortgies
Ein Auskunftsverweigerer: Dirk Balster, Geschäftsführer des Klinikverbunds Aurich-Emden-Norden. Archivfoto: Ortgies
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Der Klinikverbund Aurich-Emden-Norden kostet die Bürger jährlich Millionen. Einer öffentlichen Lage-Analyse entzieht sich der Geschäftsführer durch Auskunftsverweigerung.

Muss ein Journalist beziehungsweise ein Zeitungsverlag wirklich gegen einen Krankenhaus-Konzern klagen, damit er über die wirtschaftliche und sonstige Situation von Kliniken diejenigen informieren kann, denen die Kliniken gehören?

Der Klinikverbund Aurich-Emden-Norden ist Eigentum der Bürgerinnen und Bürger des Landkreises Aurich und der Stadt Emden. Er hat als einziges Krankenhaus-Unternehmen in Ostfriesland eine Umfrage unserer Redaktion mit 17 Fragen nicht beantwortet. Die Umfrage basierte unter anderem auf Auskünften des niedersächsischen Gesundheitsministers Dr. Andreas Philippi (SPD) am 21. November 2023 in Aurich. Eine Reaktion des Klinikverbunds erfolgte erst nach einer Erinnerung an die Presseanfrage – und sie bestand nur aus einem Satz: „Die Trägergesellschaft wird Ihre Anfrage nicht beantworten.“ Eine Begründung fehlte.

Deshalb bleibt der Klinikverbund eine Begründung schuldig

Dass auf die Rückfrage unserer Redaktion vom 6. Dezember 2023, auf welcher Rechtsgrundlage die Auskünfte verweigert werden, keinerlei Antwort kam, verwundert nicht. Es scheint der (schlechte) Stil des neuen Geschäftsführers Dirk Balster zu sein, Kommunikation zu verweigern. Davon berichten auch Ärzte, die medizinische Kooperationspartner des Klinikverbunds sind – und folglich vom Klinikverbund wie Partner behandelt werden müssten. Statt zu versuchen, sie mit Entscheidungen zu ihrem Nachteil vor vollendete Tatsachen zu stellen. Gehört das zum Misserfolgskonzept der Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden mbH? Falls es bei ihr im Jahr 2023 nach Plan gelaufen ist, hat sie es mit einem Rekord-Defizit von mehr als 24 Millionen Euro abgeschlossen.

Hinzu kommt: Es gibt keine Rechtsgrundlage, mit welcher der Klinikverbund seine Auskunftsverweigerung rechtfertigen könnte. Geschäftsführer Balster wäre gut beraten, das EWE-Urteil des Landgerichts Oldenburg vom Januar 2023 zu lesen, das aus der Klage eines Reporters der „Tageszeitung“ (taz) resultierte. Auf dieser Grundlage musste der Energie- und Telekommunikationskonzern Presseauskünfte erteilen, die er zunächst verweigert hatte.

Unternehmen können Auskunftspflichten wie Behörden haben

Der Auskunftsanspruch ergibt sich laut Landgericht aus dem Pressegesetz: „Danach hat die Presse gegenüber ,Behörden‘ ein Recht auf Auskunft; die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.“ Das Gericht ist der Auffassung, dass die EWE „trotz ihrer zivilrechtlichen Rechtsform als Aktiengesellschaft eine Behörde im Sinne des Niedersächsischen Pressegesetzes“ ist.

Die Oldenburger Richter berufen sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, auf dessen Basis sie feststellen: „Nach diesen Grundsätzen kann auch eine Aktiengesellschaft auskunftspflichtig sein, wenn sie nach ihrem Gesellschaftszweck öffentliche Aufgaben wahrnimmt und von der öffentlichen Hand beherrscht wird.“ Eine Beherrschung sei anzunehmen, „wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen“. Und: „Indem 21 Städte und Landkreise aus dem Ems-Weser-Elbe Bereich über zwei verschiedene Beteiligungsgesellschaften insgesamt 74 Prozent der Anteile an der Beklagten halten, wird sie durch die öffentliche Hand beherrscht.“ Unter den EWE-Eigentümern sind beispielsweise die Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie die Stadt Leer.

Ein sprichwörtliches Armutszeugnis von OB und Landrat

Dem Landkreis Aurich gehört – zusammen mit der Stadt Emden – auch die Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden mbH, die damit zu 100 Prozent von der öffentlichen Hand beherrscht wird. Öffentliche Aufgaben übernimmt sie in Form der stationären Patientenversorgung ebenfalls. Bei Landrat Olaf Meinen, der in der EWE-Verbandsversammlung sitzt und den Aufsichtsrat des Klinikverbunds führt, müssten also juristisch die Alarmglocken läuten, wenn sich eine Redaktion nach der Rechtsgrundlage für eine uneingeschränkte Auskunftsverweigerung erkundigt. An ihn ging die entsprechende E-Mail an den Klinikverbund in Kopie – genauso an Emdens Oberbürgermeister Tim Kruithoff, dem entsprechende juristische Erfahrung vielleicht noch fehlt. Von beiden kam keine Reaktion.

Der Landrat des Landkreises Aurich, Olaf Meinen, trägt die Auskunftsverweigerung des kreiseigenen Klinikverbunds bisher mit. Archivfoto: Ellinger
Der Landrat des Landkreises Aurich, Olaf Meinen, trägt die Auskunftsverweigerung des kreiseigenen Klinikverbunds bisher mit. Archivfoto: Ellinger

Das ist nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern auch demokratietheoretisch ein Armutszeugnis des Kreis- und des Stadtoberhaupts. Denn es dürfte wenige Bereiche politischen Handelns geben, in denen noch mehr Transparenz geboten ist als bei der Krankenhaus-Versorgung. Es geht um das gesundheitliche Wohl der Bevölkerung im Landkreis Aurich und der Stadt Emden – einer Bevölkerung, der die Krankenhäuser letztlich gehören. Und einer Bevölkerung, die das wirtschaftliche Klinik-Desaster jedes Jahr Millionen kostet. Denn der Landkreis Aurich und die Stadt Emden übernehmen die Defizite, um die Zahlungsfähigkeit und – mehr noch – den Bestand des Klinikverbundes zu sichern.

Norder 255-Betten-Klinik ist Geschichte – aber „Borro“ kann sich halten

Manche Krankenhaus-Insolvenzen in Deutschland lassen erahnen, wie schlecht die gesundheitspolitsich zu verantwortenden Rahmenbedingungen für Kliniken sind. Ein Millionen-Defizit, wie es die Trägergesellschaft der Stadt Emden und des Landkreises Aurich seit Jahren verursacht, ist trotzdem kein unabwendbares Übel. Das zeigt ein Blick in die Jahresabschlüsse des Klinikums Leer, das zeitgleich Millionen-Gewinne erwirtschaftet hat – oder in die Bilanzen des Wittmunder Krankenhauses und des Leeraner Borromäus-Hospitals, die sich in der Regel im Bereich einer schwarzen Null bewegt haben.

Auch dass die Norder Klinik zum „Regionalen Gesundheitszentrum“ mit 25 Betten für die kurzstationäre Versorgung degradiert wird, wirft Fragen auf. Begründet wurde diese Entscheidung auch und gerade mit dem „akuten Fachkräftemangel“. Unter dem leiden aber auch andere ostfriesische Krankenhäuser wie das Leeraner Borromäus-Hospital. Während sich das kirchliche 256-Planbetten-Haus in Leer bisher als gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (gGmbH) halten kann, soll das Norder 255-Planbetten-Haus nicht einmal mehr als Standort eines Klinikverbunds zu betreiben gewesen sein?

Klinikverbunds-Management entzieht sich öffentlicher Kontrolle

Das erschließt sich nicht, jedenfalls nicht zwingend. Denn einem Norder Krankenhaus-Arzt können zur Abwechslung auch medizinisch anspruchsvollere Einsätze in Emden und Aurich geboten werden, wie es sie am „Borro“ gar nicht gibt. Beispielhaft seien Herzkatheter-Messplätze und Neurologie erwähnt. Das dürfte Arztstellen an der bisherigen Norder Klinik attraktiver gemacht haben als Arztstellen am Leeraner Hospital – und damit die Bewerbersuche einfacher. Doch der Klinikverbunds-Geschäftsführung will am Fachkräftemangel gescheitert sein. Pressefragen mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen im Klinikverbund zu eruieren, sind – wie beim Klinikverbund üblich – nicht, verspätet oder nur bedingt beantwortet worden.

Nach Millionen-Verlusten über sechs Jahre hinweg, ist es höchste Zeit, das Management des Klinikverbunds öffentlich unter die Lupe zu nehmen. Dem verweigert sich der neue Geschäftsführer Balster jedoch noch weitergehend als die zweiköpfige Geschäftsführung vor ihm. Oberbürgermeister Kruithoff und Landrat Meinen tragen das bisher mit.

Intransparenz ist Gift für die Demokratie

Dieses Vorgehen ist geeignet, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung noch größer zu machen – und damit politisch verwerflich. Wer so handelt, braucht sich nicht zu wundern, wenn eine rechtsextremistische Partei wie die AfD immer erfolgreicher wird. Nicht, weil sie überzeugende Lösungen bieten würde, sondern weil sie vom Unvermögen und vom Unwillen anderer pollitischen Kräfte profitiert. Intransparenz ist Gift für die Demokratie.

Der Emder Oberbürgermeister, Tim Kruithoff, trägt die Auskunftsverweigerung des stadteigenen Klinikverbunds bisher mit. Archivfoto: Ellinger
Der Emder Oberbürgermeister, Tim Kruithoff, trägt die Auskunftsverweigerung des stadteigenen Klinikverbunds bisher mit. Archivfoto: Ellinger

Aufgabe einer Zeitung ist es, auf Transparenz hinzuwirken. Im Juni 2023 hat der damalige OZ-Chefredakteur Joachim Braun dem Klinikverbund eine Klage in Aussicht gestellt: „Da es keinen Spaß macht, immer wieder schreiben zu müssen, dass die Fragen nicht beantwortet wurden, haben wir inzwischen einen Fachanwalt eingeschaltet. Er berät uns, wie wir unsere Anfragen gerichtsfest machen und wird – so wie das Auskunftsverhalten ist – demnächst für uns Klage einreichen. Entweder gegen die Geschäftsführung des Klinikums Leer oder die der Zentralklinik Emden-Aurich-Norden.“

Eine neue Presseanfrage mit unbeantworteten Fragen

Dass diese Klage nicht längst eingereicht ist, liegt an einer Verkettung zeitlich ungünstiger Umstände. Die Hinweise des Fachanwalts liegen unserer Redaktion jedoch vor.

Nachdem nun die Weihnachts- und Neujahrs-Feiertage vorbei sind, die ein gerichtliches Eilverfahren auch nicht gerade begünstigt hätten, ist es an der Zeit, die Fragen, die der Klinikverbund Aurich-Emden-Norden in den vergangenen Monaten nicht beantworten wollte, zu aktualisieren und zu ergänzen.

Die entsprechende Presseanfrage geht in Kürze raus. Sie wird auch die Frage enthalten, ob der Klinikverbund 2024 einen neuen Minus-Rekord plant. Wobei die Kosten für eine etwaige Rechtsberatung, die im Falle einer Auskunfts-Klage gegen den Klinikverbund anfallen könnten, noch zu addieren wären.

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