Was tun nach dem Arbeitsleben? Rentner knackt ikonisches Bild – Analyse von „Der Mönch am Meer“

| | 18.01.2024 15:05 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Bernd Sauerbrey und sein frisch erschienenes Buch. Foto: Oltmanns
Bernd Sauerbrey und sein frisch erschienenes Buch. Foto: Oltmanns
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Bernd Sauerbrey aus Friedeburg ist ein Mann der Zahlen und Fakten. Der studierte Betriebswirt hat sein Leben lang in Unternehmen gearbeitet. Bis Kunst und Philosophie ihn packten.

Friedeburg - Man sieht es dem Haus von außen nicht an, aber hier wohnt auch die Philosophie. Das Haus von Bernd Sauerbrey steht am Rande von Friedeburg, ein großzügiges und dunkel geklinkertes Gebäude, umstanden von Bäumen. Drinnen ist es gemütlich, an den Wänden hängen viele Bilder; nicht wenige vom Hausherrn selbst gemalt. Hier lebt Sauerbrey mit seiner Familie und hier hat er in den vergangenen neun Jahren an einem Projekt gearbeitet, das vielleicht etwas ausgeufert ist. Jedenfalls liegt das Ergebnis ziemlich schwer in der Hand.

Der 73-Jährige hat ein Buch geschrieben, das im November erschienen ist. Knappe 800 Seiten für knappe 80 Euro. Der Titel geht nicht ganz leicht von der Zunge: „Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher und Caspar David Friedrich oder Religion und Kunst dargestellt am Bild ‚Der Mönch am Meer‘“. Sauerbrey hat sich intensiv mit diesem einen Bild von Caspar David Friedrich beschäftigt, seine Wirkung ergründet und in Zusammenhang gestellt mit einer Theologietheorie. „Das ist schon ein spezielles Buch, das wird nicht so weggehen wie ein Krimi“, räumt er bei einem Besuch in Friedeburg freimütig ein. Es wurden auch nur 40 Exemplare gedruckt. Die Frage ist also: Warum hat er sich überhaupt diese Mühe gemacht? Bei einer Tasse Tee gibt es ein paar Antworten.

Der Mann

Sauerbrey ist eigentlich ein Mann der Zahlen und Fakten. Er hat Betriebswirtschaft studiert und in verschiedenen Firmen gearbeitet, bei Olympia in Roffhausen zum Beispiel. Oder später beim Heizungsunternehmen Brötje in Rastede, Controlling und Kundendienst. Von Philosophie also erstmal keine Spur. Doch Sauerbrey wurde älter und irgendwann zeichnete sich am Horizont der Ruhestand ab; in seinem Fall offenbar kein ausschließlich freudig erwarteter Moment. „Angesichts der Rente bin ich etwas in Panik geraten“, berichtet er. Was machen mit den vielen Stunden am Tag, die sonst mit Arbeit ausgefüllt waren? Gartenarbeit, sagt er, sei nicht so seins, und bloß rumsitzen schon gar nicht.

Bernd Sauerbrey in seinem Wohnzimmer in Friedeburg. Foto: Oltmanns
Bernd Sauerbrey in seinem Wohnzimmer in Friedeburg. Foto: Oltmanns

Schließlich schrieb er sich als Gasthörer bei der Uni Oldenburg ein, für Philosophie und Religion. Da war er 62 Jahre alt. Er nahm an Vorlesungen und Seminaren teil, nur so aus Interesse, einen Abschluss will er gar nicht machen. Dass dabei Jahre später ein Buch von 800 Seiten herauskommen würde, war auch nicht geplant.

Die Theorie

800 Seiten in wenigen Zeilen zusammenzufassen, kann hier natürlich nicht klappen. Deswegen nur ein grober Umriss: Der Friedeburger machte in der Uni die Bekanntschaft mit der Gedankenwelt des Theologen und Philosophen Friedrich Schleiermacher und er begeisterte sich dafür. „Ich kann auch religiös sein, ohne an Gott zu glauben“, so fasst es Sauerbrey im Gespräch zusammen. Dabei gebe es aber immer eine Verbindung zur Natur. Und das wiederum, findet er, habe viel mit den Bildern von Caspar David Friedrich zu tun. Ganz konkret sogar mit dem einen Bild „Der Mönch am Meer“. Es zeigt eine einzelne dunkel gekleidete Figur an einem Strand, die aufs Meer blickt. Meer und Himmel sind dabei beherrschend, die Figur selbst steht winzig davor.

Der Autor und das Bild „Der Mönch am Meer“. Foto: Oltmanns
Der Autor und das Bild „Der Mönch am Meer“. Foto: Oltmanns

Friedrich malte es zu Beginn des 19. Jahrhunderts, das Bild hängt heute in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Und findet sich gleich mehrfach in Sauerbreys Haus, in verschiedenen Größen und als Bildschirmschoner auf dem Computer. „Ich bin der Meinung, Schleiermachers Ideen passen 1:1 auf dieses Bild“, sagt er. Bei dieser persönlichen Meinung sollte es aber nicht bleiben. Der Friedeburger wollte wissen, ob auch andere Menschen das so empfinden. Und auf diesem Wege scheute er keine Mühen.

Der Aufwand

Sauerbrey entwarf – in Abstimmung mit seinem Professor – eine Umfrage dazu, wie das Bild auf Menschen wirkt, die es sich gerade ansehen. Ein umfangreicher Fragebogen, nachzulesen in seinem Buch. Ebenso wie die Ergebnisse, die in Grafiken und Tabellen dargestellt sind. So ganz hat er den Betriebswirt nicht ablegen können. Sauerbrey nahm also die Fragebögen sowie einen großformatigen Abzug des Bildes und stellte sich damit auf Wochenmärkte, vor Kunsthallen, auf Schulhöfe. Er ging mit seiner Umfrage in Altenheime und fuhr nach Worpswede. Er präsentierte sie sogar in Depressions-Selbsthilfegruppen. Fünf Jahre ging das so, zum Schluss hatte er 1000 Leute befragt.

Das kleine Reclam-Heft zu Schleiermachers Ideen ist mittlerweile ziemlich beansprucht. Foto: Oltmanns
Das kleine Reclam-Heft zu Schleiermachers Ideen ist mittlerweile ziemlich beansprucht. Foto: Oltmanns

Sauerbrey reiste auch nach Berlin und setzte sich drei Tage lang in die Alte Nationalgalerie, dorthin, wo das Original hängt. Er wollte sehen, wie lange sich die Menschen das Bild überhaupt ansehen. „Acht Sekunden im Durchschnitt“, so seine Erkenntnis. Wie lange er es selbst angesehen hat in all dieser Zeit? Sauerbrey überlegt. Eine Antwort hat er nicht. Natürlich fuhr er mit seiner Frau auch nach Rügen, dorthin, wo die Szene mit dem winzig kleinen Menschen vor der übermächtigen Natur spielt. „Allerdings schien da die Sonne, da kam man nicht so in Stimmung“, sagt er.

Das Buch

Aus all diesen Überlegungen, Ortsbegehungen und Untersuchungen entstand schließlich sein Buch. Auf die Frage, warum er sich all diese Mühe gemacht habe, kommt die schöne Antwort: „Mühe? Das hat Spaß gemacht!“ Er habe viele interessante Gespräche geführt, er habe Fragen gehabt und Antworten gefunden. Auch habe er sich etwas beweisen wollen, sich durchkämpfen wollen durch ein Thema, das mit seinem ersten Leben so gar nichts zu tun hat.

Sauerbreys Buch ist über den Buchhandel zu bestellen und wird aktuell auch im Internet über Kleinanzeigen angeboten. Übrigens wird in Caspar David Friedrichs Heimatstadt Greifswald dieses Jahr der 250. Geburtstag des Malers gefeiert. Die Alte Nationalgalerie in Berlin widmet ihm aus diesem Anlass eine eigene Ausstellung. Vom 19. April bis zum 4. August werden dort etwa 60 Gemälde und 50 Zeichnungen zu sehen sein, „darunter weltberühmte Ikonen“, wie das Museum schreibt. Natürlich auch „Der Mönch am Meer“.

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