Kolumne „Alles Kultur“ „Ku’damm ’59“ ist ein relevantes Musical
Das Musical „Ku’damm ’59“ hat in Berlin Premiere gefeiert – und unsere Kolumnistin begeistert. Sie erklärt, warum das Stück nicht nur Spaß macht, sondern auch gesellschaftlich wichtig ist.
Theater oder Popkonzert? Am 5. Mai im Theater des Westens bei der Premiere von „Ku’damm ’59“ war es manchmal schwer, das zu unterscheiden. Glücklicherweise ertönte zwischen den Songs in Berlin ein Theaterton auf der Bühne, der zwar eine gewisse Distanz schuf, jedoch das Genre klar definierte. Und ich liebe dieses Genre: Musical.
Und dieses lieferte eine großartige choreographische Bebilderung von Emotionen, eine fantastische Band, die direkt auf der Bühne und nicht versteckt im Orchestergraben saß – und immer wenn klar war, jetzt geht es ans Eingemachte, die Figuren müssen miteinander Tacheles reden, da fingen sie an zu singen.
Das Musical nimmt sich selbst aufs Korn und die umwerfende und vor Können strotzende Steffi Irmen in der Rolle der opportunistischen Regisseurin Christa Moser stößt eine austausch- und ersetzbare Tänzerin nach der anderen von der Treppe. Sie hat mich mit ihrer Darstellung nicht nur an den Rand meines Sitzes gebracht, sondern auch die Produkte ihrer Arbeit, Filme der Endfuffziger eben, als „keine Probleme, nur Missverständnisse“ definiert. Und ganz ehrlich ist es doch das, was wir auch von einem Musical erwarten – leichte und etwas überdramatisierte Kost.
Doch dieses Musical wartet mit zeitlos gesellschaftsrelevanten Themen wie Zwangsadoption, Freitod und Abwesenheit vaginaler Orgasmen auf. Und inmitten des ganzen Spektakels fällt auf einmal der Satz eines für mich im Nachhinein Namenlosen an den, so dachte man, unbeschwerten Protagonisten Freddy: „Erinnerst du dich nicht? Ein Löffelchen für dich, ein Löffelchen für mich. Ich bin’s. Wir haben Auschwitz zusammen überlebt.“ Ich bin auf einmal ganz wach und zähle die Jahre, auf der Bühne sind es erst 14 seit Ende des Grauens. Freddy und all die anderen sind zerrissen und versuchen ihre Fesseln zu sprengen, zwischen gesellschaftlichem Druck und eigenen Sehnsüchten. Es gibt kein Happy End für alle, dafür schenkt uns die Abschlussszene ein Traumbild, wie sie alle Kinder der Glückseligkeit sind und nicht mehr ihrer Zeit. Meine Empfehlung: Hingehen!
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