Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ „Lüttje Soeke“ – das wohl kleinste Original Westgroßefehns

| | 25.05.2024 12:54 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Im Gebäude der Gattersäge erinnert eine Tafel an den Kleinwüchsigen, der hier einst arbeitete. Dieses Passbild stammt aus dem Jahr 1950. Der Arbeitskreis Fehnmuseum ließ die Tafel anfertigen. Foto: Ullrich
Im Gebäude der Gattersäge erinnert eine Tafel an den Kleinwüchsigen, der hier einst arbeitete. Dieses Passbild stammt aus dem Jahr 1950. Der Arbeitskreis Fehnmuseum ließ die Tafel anfertigen. Foto: Ullrich
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Mit der Körpergröße eines Sechsjährigen betrieb der leicht schrullige Soeke Schoon die Gattersäge auf dem Eiland von Westgroßefehn. Trotz geringer Größe hatte er enorme Kräfte – und kannte Tricks.

Westgroßefehn - Soeke-Hans Oltmanns Schoon war ein Original Westgroßefehns. Möglicherweise war er das wider Willen: Denn Schoon war kleinwüchsig und schon allein aufgrund seiner Körpergröße von 1,18 Metern im ganzen Dorf bekannt. Damit war das Unikum so groß wie ein durchschnittlicher Sechsjähriger. Gemeinhin wurde er nur „Lüttje Soeke“ oder auch „Lüttje Soek“ genannt. Geboren wurde Schoon am 22. Dezember 1880 in Timmel. Im Alter von 75 Jahren verstarb er am 9. Januar 1956 in Westgroßefehn. Sein Leben war geprägt von schwerer körperlicher Arbeit, der er unermüdlich nachging. Er war Sägemüllerknecht, wie es schon sein Vater war. Der hatte mit Hilke Janssen von Aswegen eine Fehntjerin geheiratet. Die Familie lebte auf dem Eiland von Westgroßefehn neben der Frerichs′schen Sägemühle.

Bis heute wird mit der Gattersäge auf dem Eiland gesägt. Foto: Ullrich/Archiv
Bis heute wird mit der Gattersäge auf dem Eiland gesägt. Foto: Ullrich/Archiv

Im Jahr 1792 wurde diese ursprünglich erbaut, brannte aber insgesamt dreimal ab. Heute gibt es auf dem erhöhten Areal am Ortsrand von Westgroßefehn keine Mühle mehr. Die Sägerei aber wurde wieder aufgebaut. Die Gattersäge wird von einer Gruppe ehrenamtlicher Mitglieder des Fehnmuseums Eiland betrieben, die auch das benachbarte Haupthaus mit Leben und historisch relevanten Exponaten füllen und zu geschichtlichen Themen Großefehns und Ostfrieslands forschen und publizieren. Einer der aktivsten Forscher zur Geschichte Großefehns und Timmels war Siegfried Lüderitz.

Gesägt wurde bei Tag und bei Nacht

Über „Lüttje Soeke“ schrieb Lüderitz, der repräsentiere ein Stück Zeit- und Sozialgeschichte auf dem Eiland: „Wegen seiner ständigen Anwesenheit und seines nimmermüden Einsatzes wurde er von dem langjährigen Timmeler Arzt Dr. Schapp als zum Inventar gehörig bezeichnet.“ Schoon hatte das Handwerk des Sägemüllers von seinem Vater erlernt, an dessen Seite er über Jahre hinweg wirkte. Die Zeit der Binnenschifffahrt war da längst vorbei: Die Produktion der Segelschiffe war auf den Fehntjer Werften größtenteils eingestellt worden. Der Zimmermeister Jan Dannholz war damals Lüderitz zufolge Besitzer der Sägemühle. Es war eine Lohnsägerei. Verarbeitet worden sei vor allem das Eichenholz der umliegenden Höfe, welches auf den Wallhecken der umliegenden Bauernhöfe wuchs. Was dort gefällt wurde, wurde mit Pferd und Wagen aufs Eiland gebracht.

Die Onken’sche Kornmühle steht unweit des Eilands. Hier wuchs Heyo Onken auf, der sich noch an das Fehntjer Original „Lüttje Soeke" erinnert, mit Herold Diekmann über ihn sprach und dies auf Film für die Nachwelt festhielt. Foto: Ullrich/Archiv
Die Onken’sche Kornmühle steht unweit des Eilands. Hier wuchs Heyo Onken auf, der sich noch an das Fehntjer Original „Lüttje Soeke" erinnert, mit Herold Diekmann über ihn sprach und dies auf Film für die Nachwelt festhielt. Foto: Ullrich/Archiv

Gesägt wurde auf dem Eiland übrigens bei Tag und bei Nacht. Wann immer der Wind wehte und sich die Flügel der Sägemühle drehten, wurde gesägt – zumindest bis 1905, als diese endgültig abbrannte. Oft wurde auch mitten in der Nacht gesägt. Feste Arbeitszeiten gab es ohnehin nicht für „Lüttje Soeke“, auch keine Wochenenden. Schoon konnte zupacken. Diese körperlich anspruchsvolle Arbeit blieb auch Heyo Onken in dessen Kindheit nicht verborgen. Er wuchs auf dem Gelände der benachbarten Kornmühle seiner Familie auf. Heute ist er Vorstandsmitglied im Fehnmuseum und filmt seit 2009 für ein Langzeitprojekt Zeitzeugen. Diese erzählen im Interview mit Onken aus bestimmten Episoden ihres Lebens. Die Filme werden nach Fertigstellung jeweils im Museum einem Publikum präsentiert und können zudem jederzeit über die Seite des Museums aufgerufen werden.

Schoon arbeitete noch mit Verletzung weiter

Herold Diekhoff stammt eigentlich aus Timmel, hatte sein Berufsleben aber auf dem Gelände der Sägemühle in Westgroßefehn begonnen, wo eine prosperierende Maschinenfabrik samt Tischlerei und Schlosserei entstanden war. Dreschmaschinen, Bauernmühlen, Windfegen und anderes wurde hier produziert. Herold Diekhoff arbeitete somit mehr oder weniger Seite an Seite mit dem kleinen Sägemüller, der auch etwas schrullig sein konnte. Dessen Arbeits- und Lebensweise hätten nicht nur ihm oft Anlass zum Schmunzeln gegeben. Gegen Kost und Logis, so Diekhoff, sei der vor allem hier tätig gewesen. Viel Geld habe „Lüttje Soek“ nie gehabt. Fleißig aber sei er stets gewesen.

Das Fehnmuseum Eiland in Westgroßefehn. Foto: Schönig/Archiv
Das Fehnmuseum Eiland in Westgroßefehn. Foto: Schönig/Archiv

Onken erinnert sich daran, dass Schoon ein für seine geringe Größe sehr kräftiger Mann war. Seine Aufgabe war es schließlich, dicke Stämme auf dem Sägegatter in Position zu bringen. Wo Kraft allein nicht ausreichte, kannte der kleinwüchsige Mann Tricks, erinnerte sich auch der von Onken befragte Diekhoff. So habe der beispielsweise eine Handwinde genutzt, um die Stämme zu heben. Krank war der Kleinwüchsige nie, ackerte stets voller Tatendrang. Mitstreiter aus der damaligen Zeit schilderten ihn Lüderitz zufolge als absolut pflichtbewusst: „Als er sich einmal den Arm im Schwungrad verletzte und von Dr. Schapp krankgeschrieben war, arbeitete er mit dem gesunden Arm weiter.“

Schrullen zogen Spott an

Bis zum Tode seiner Eltern lebte „Lüttje Soeke“ bei ihnen. Als 1905 die Mühle niederbrannte, verloren sie ihr Heim. Sie bekamen eine Notbehausung aus Backstein errichtet, in der Schoon nach dem Tod von Mutter (1914) und Vater (1921) allein lebte. Zuletzt sei diese so baufällig gewesen, dass das Dach abgestützt werden musste, schrieb Lüderitz. Der skizziert das Leben des Kleinwüchsigen als arbeitsreich, simpel, entbehrungsreich: „Lange schlief er in einer mit Stroh ausgelegten Holzkiste“, wusch sich selten und kochte seinen Tee mit Wasser aus dem Kanal. Vielleicht waren diese Schrullen der Grund dafür, dass er oft den Spott der anderen Arbeiter auf dem Eiland abbekam. Er aber nahm dies offenbar gelassen hin.

Ursprünglich wurde das Sägegatter mit Wind betrieben, später mit Dampf- und Dieselmotor. Foto: Ullrich/Archiv
Ursprünglich wurde das Sägegatter mit Wind betrieben, später mit Dampf- und Dieselmotor. Foto: Ullrich/Archiv

Die Aufgaben des Sägemüllers unterlagen laut Lüderitz einem steten Wandel: Nach dem Brand 1905 wurde von Wind auf Dampfbetrieb umgestellt. Schoons Aufgabe sei damals das Heizen gewesen. 1928 kam der Elektroantrieb, 1936 dann mit Dieselmotor. Arbeitete Soeke Schoon einmal nicht, besuchte er seine Familie in Stiekelkamp, erinnerte sich Diekhoff vor laufender Kamera. Zuweilen soll er diese Besuche jedoch nur vorgeschoben haben. So habe er stattdessen das Dach geteert. Neben dem Knobeln, Angeln oder Spazieren hatte er anscheinend wenige Freuden. Einmal ließ er sich vom Fehntjer Bürgermeister bescheinigen: „Soeke Schoon kann so lange arbeiten, wie er will.“ Damals sollte die Nacht- und Feiertagsarbeit unterbunden werden – doch das schmeckte dem kleinwüchsigen Fehntjer Original nicht.

Offenbar pflegte Schoon nur wenige Kontakte zu anderen Menschen. Im Alter lebte er noch zwei Jahre beim damaligen Besitzer des Eilands, Follrich Onneken, im heutigen Museumsgebäude. Als das schrullige Original Soeke-Hans Oltmanns Schoon, genannt Lüttje Soeke, Anfang 1956 starb, kümmerte das offenbar kaum jemanden. Schoon wurde auf dem Timmeler Friedhof beigesetzt – im Beisein von nur einer Handvoll Trauergästen.

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