Regierungskonsultationen Tusk setzt Merz bei Entschädigung unter Druck

Michael Fischer, Doris Heimann und Carsten Hoffmann, dpa
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Von Michael Fischer, Doris Heimann und Carsten Hoffmann, dpa
| 01.12.2025 16:49 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Bei Verteidigung und Ukraine einig, bei der Kriegs-Vergangenheit nicht. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Bei Verteidigung und Ukraine einig, bei der Kriegs-Vergangenheit nicht. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
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Die russische Bedrohung hat Deutschland und Polen enger zusammenrücken lassen. Es bleibt aber ein Problem aus der Vergangenheit, bei dem ein Einvernehmen weiter nicht in Sicht ist.

Polen drängt Deutschland zu einer schnellen Entschädigung der noch lebenden Opfer der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. „Beeilt euch, wenn ihr wirklich diese Geste machen wollt“, sagte Polens Ministerpräsident Donald Tusk nach den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Berlin bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).

Der polnische Regierungschef verwies darauf, dass die Zahl der noch lebenden Opfer des Nazi-Terrors in seinem Land ständig zurückgehe. Als der damalige Kanzler Olaf Scholz im Juli 2024 diese Unterstützung versprochen habe, hätte es nach Angaben der Stiftung für deutsch-polnische Aussöhnung noch 60.000 lebende Opfer gegeben, mittlerweile seien es noch 50.000. Rechnet man das um, sind seitdem pro Tag mehr als 20 Opfer gestorben.

„Wenn wir hier nicht bald eine eindeutige und schnelle Erklärung bekommen, erwäge ich, im kommenden Jahr die Entscheidung zu treffen, dass Polen diese Bedürfnisse aus eigenen Mitteln befriedigt.“ Mehr wolle er dazu zunächst nicht sagen. 

Merz will „jetzt hier keine Summen nennen“

Merz wurde bei dem Thema nicht konkret. „Ich bitte um Verständnis, dass wir jetzt hier keine Summen nennen. Aber gehen Sie bitte davon aus, dass auch die ja von mir geführte Bundesregierung sich ihrer historischen Verantwortung gegenüber unserem Nachbarn Polen sehr bewusst ist und dass wir Gespräche auch weiter miteinander führen“, sagte er lediglich.

Der Umgang mit den dramatischen Folgen der deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg ist ein Dauerthema in den Beziehungen beider Länder. Weiterhin stehen polnischen Reparationsforderungen in Billionenhöhe für die damals angerichteten Schäden im Raum, die zuletzt im September von Polens Präsidenten Karol Nawrocki bei seinem Antrittsbesuch in Berlin erhoben wurden. Sowohl Merz und als auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte diese Forderungen erneut zurückgewiesen. 

Merz: „Die Vergangenheit hört nie auf“

Die Idee der sogenannten humanitären Geste an die Opfer kam bei den letzten Regierungskonsultationen in Warschau vor 16 Monaten auf, als die Ampel noch regierte. Ein konkreter Vorschlag wurde daraus aber nicht. 

Merz bekannte sich auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Tusk zwar mehrfach zur deutschen Verantwortung für das die von Nazi-Deutschland angerichtete Leid und die Zerstörung in Polen. „Die Vergangenheit hört nie auf“, sagte er, bekräftigte aber auch: „Die Frage nach Reparationen ist aus deutscher Sicht juristisch und politisch seit vielen Jahren abschließend beantwortet.“

Tusk hielt entgegen, man kenne die deutsche Position, an einem formellen diplomatischen Akt aus den 1950er Jahren festzuhalten. Der Verzicht auf Reparationen 1953 durch die damalige kommunistische Führung sei aber „keine Entscheidung im Sinne des polnischen Volkes gewesen, denn das polnische Volk hatte damals nichts zu sagen.“ In Polen seien daher „alle ohne Ausnahme“ der Meinung, dass das Land keine Entschädigung für die Verluste und Verbrechen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs erhalten habe.

Kriegsvergangenheit Dauerthema in Beziehungen

Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 war der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit insgesamt mindestens 55 Millionen Toten - andere Schätzungen kommen sogar auf bis zu 80 Millionen. Genaue Zahlen gibt es nicht. Polen blieb über mehrere Jahre von den Deutschen besetzt und hatte gemessen an der Gesamtbevölkerung so viele Tote zu beklagen wie kein anderes Land.

Der Umgang mit den dramatischen Folgen der deutschen Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg ist ein Dauerthema in den Beziehungen beider Länder. Weiterhin stehen polnischen Reparationsforderungen in Billionenhöhe für die damals angerichteten Schäden im Raum, die zuletzt im September von Polens Präsidenten Karol Nawrocki bei seinem Antrittsbesuch in Berlin erhoben und von Merz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zurückgewiesen wurden. 

Anders als der rechtskonservative Präsident Polens thematisiert die Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident Tusk die Reparationsfrage nicht mehr offensiv - sie erwartet von der Bundesregierung aber zunächst einmal mindestens diese Geste der Unterstützung für die noch lebenden Opfer. 

Das Projekt einer festen Gedenkstätte für die polnischen Kriegsopfer in Berlin wollen beide Seiten aber vorantreiben. Dafür sollen konkrete Ausschreibungsverfahren gestartet werden.

Vertiefte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich 

Im Zentrum der Konsultationen stand eigentlich die Vertiefung der Beziehungen in den Bereichen Verteidigung, Wirtschaft und Infrastruktur. Tusk wertete die Ergebnisse des Treffens als „eine historische Veränderung“. 

Er würdigte vor allem die „umfassende polnisch-deutsche Zusammenarbeit in Bezug auf die Verteidigung der Ostgrenze Europas bezeichnen“. Dazu soll zum 35. Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags im nächsten Jahr ein Abkommen mit konkreten Projekten unterzeichnet werden. 

Merz nannte Deutschland und Polen „unverzichtbare Nachbarn und Partner“. Bei der Modernisierung der Infrastruktur geht es unter anderem um die Bahnlinie zwischen dem brandenburgischen Angermünde und der polnischen Grenzstadt Stettin sowie um die Straßenverbindung an der Grenze bei Frankfurt an der Oder.

Merz beschwört Zusammenhalt in Ukraine-Politik 

Merz beschwor auch die Einigkeit europäischer Partner bei den Ukraine-Verhandlungen und trat Spekulationen entgegen, Polen sei dabei außen vor. Anfang Mai war Merz zusammen mit Tusk, Macron und Starmer in Kiew, um die Solidarität mit der Ukraine zu demonstrieren. 

Den aktuellen Verhandlungsprozess über einen Friedensplan führen nun aber Deutschland, Frankreich und Großbritannien ohne Polen, das lediglich konsultiert wird - obwohl Polen als Nachbarland der Ukraine und Russlands besonders von dem Krieg betroffen ist. In Polen hat das zuletzt für Enttäuschung gesorgt. „Derzeit sieht es so aus, als wären wir bei den Verhandlungen überflüssig“, schrieb die „Gazeta Wyborcza“, eines der wichtigsten polnischen Medien, kurz vor den Konsultationen.

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