Frankfurt/Main (dpa)

Bundesliga fürchtet Corona-Herbst - Watzke rügt Politik

Patrick Reichardt, dpa
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Von Patrick Reichardt, dpa
| 18.10.2020 11:27 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Dem deutschen Fußball droht ein harter Herbst. Vielerorts gibt es keine oder nur wenige Zuschauer in den Stadien, Clubs beklagen neue Corona-Fälle nach Länderspielreisen. Die Branche will mit aller Kraft den schlimmsten Fall abwenden.

Die Fallzahlen steigen deutlich an, die Zuschauer werden wieder aus den Stadien verbannt, und auch bei den Profis häufen sich die Infektionen: Die Bundesliga steht vor einem knüppelharten Corona-Herbst mit vielen Fragezeichen.

BVB-Boss Hans-Joachim Watzke thematisierte am Wochenende des vierten Spieltags gar das Worst-Case-Szenario für den Profifußball. „Es muss weitergehen. Wir brauchen zumindest diese Geisterspiele. Wenn wir die auch nicht mehr haben sollten, dann wird es ganz eng“, sagte Watzke im ZDF-„Sportstudio“ am späten Samstagabend.

Eine abrupte Unterbrechung wie Mitte März steht derzeit trotz einer Rekordzahl an Neu-Infektionen zwar nicht zu befürchten. Vereine und Verantwortliche werden sich aber dennoch auf Unannehmlichkeiten einstellen müssen, die sie beim Saisonstart im September noch mit viel Optimismus beiseite geschoben hatten. 

Ein Auszug aus diesem Wochenende: Mehrere Profis, darunter Torjäger Andrej Kramaric von der TSG Hoffenheim, fehlten, weil sie sich in der Länderspielpause infiziert hatten. Die mit der Politik in harten Verhandlungen erkämpfte Zahl von 20 Prozent Zuschauern waren nur noch in einem von neun Bundesliga-Stadien möglich, und in der 2. Liga wurde schon zum zweiten Mal in dieser Spielzeit eine Partie verlegt.

Alarmierend wirkten die Worte von BVB-Coach Lucien Favre. „Wir müssen weiter probieren zu spielen, so lange wie möglich“, sagte der Schweizer. Er geht von weiteren Fällen aus und fügte an: „Es ist nicht gut zu reisen.“ Doch während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Bürger angesichts der dynamischen Lage am Samstag dazu aufrief, Kontakte zu beschränken und weniger zu reisen, sieht der Plan der Clubs in den nächsten Wochen so aus: wöchentlich  Europapokal-Reisen, häufig in Risikogebiete, und schon im November der nächste Dreierpack an Länderspielen, die oftmals weite Wege quer über den derzeit von Corona geplagten Kontinent erfordern.

Genau an diesen Länderspielen stören sich einige Liga-Bosse. Hoffenheims Sportchef Alexander Rosen, den es mit drei Corona-Ausfällen nach der Länderspielpause am härtesten traf, forderte ein Umdenken. „Das ist ein Ausrufezeichen, das wir jetzt mal setzen müssen, vielleicht als Liga, vielleicht über die DFL, dass wir in der nächsten Abstellungsperiode anders agieren“, sagte Rosen bei Sky. Zur Not müsse man „intensiver drüber nachdenken, die Jungs nicht gehen lassen“, fügte der Funktionär an. 

Leipzigs Sportdirektor Markus Krösche sieht die Situation ähnlich. „Wenn man die steigenden Zahlen sieht, muss man sich schon Gedanken machen, ob es in der nächsten Abstellungsperiode Sinn macht, abzustellen“, forderte Krösche. Bei den Vereinen klingt zwischen den Zeilen stets durch: Europapokal-Reisen ins Risikogebiet sind okay, da müssen Länderspiele nicht auch noch sein. Dass die Verbände den Ligen im Frühjahr mit ihrer EM-Verschiebung auf 2021 entgegengekommen sind, scheint bei einigen Liga-Verantwortlichen bereits wieder verdrängt.

Stuttgarts Sportdirektor Sven Mislintat warb indes für gegenseitiges Verständnis. „Ganz ehrlich: Ich finde, wir müssen es einfach so nehmen, wie es kommt. Wir können jetzt nicht jede Woche darüber diskutieren, wenn es uns betrifft, dass ein Nationalspieler mal zwei oder drei Spiele machen muss“, sagte der 47-Jährige. Vom VfB werde es kein Gejammer geben.

Mislintat sieht die Gefahr einer Ansteckung oder Quarantäne eines seiner Spieler dagegen nicht als größer an als in anderen Lebensbereichen. „Wenn ein Spieler von uns von der Nationalmannschaft zurückkommen sollte und er ist positiv - seien wir mal ehrlich: Das kann auch passieren, wenn er auf dem Schlossplatz ein Eis isst“, sagte er. „Wir müssen da schon ein gesundes Maß finden, und das machen die meisten.“

Neben infizierten Spielern bleibt vor allem die Zuschauerfrage ein Reizthema. Watzke rechnete im Fernsehstudio anschaulich vor, was die gestiegenen Coronazahlen für die Vereinskasse seines BVB bedeuten: „Wir haben eine riesige Kostenstruktur, und wir müssen irgendwann Geld einnehmen. Das war jetzt wieder ein Rückschlag, dass wir ohne  Zuschauer spielen müssen. Schalke wird uns eine Million kosten, gegen Sankt Petersburg das gleiche.“ Bei der aktuellen Entwicklung ist zudem nicht damit zu rechnen, dass die Clubs ihre Zuschauerzahlen in Richtung Adventszeit schnell wieder erhöhen können.

In den Tenor mancher Funktionärskollegen, dass man wegen der gründlichen Hygienekonzepte auch bei Grenzwert-Überschreitungen mit Publikum spielen könne, wollte Watzke nicht einstimmen. „Wir haben ein Konzept vorgelegt und haben der Politik diese 35 als Zahl angeboten“, sagte der 61-Jährige mit Blick auf den Inzidenzwert, der die Zahl der infizierten Menschen der vergangenen sieben Tage pro 100 000 Einwohner angibt. „Verlässlichkeit heißt, dass wir zu dem Angebot, das wir gemacht haben, stehen und nicht jetzt schon wieder versuchen, nachzuverhandeln“, fügte Watzke an.

Einen Seitenhieb auf die Politik konnte er sich trotzdem nicht verkneifen. Der BVB-Boss kritisierte das seiner Ansicht nach „populistische Fußball-Bashing“, das zuletzt „teilweise aus der Bundesregierung“ gekommen sei. „Ich fand es nicht zielführend“, sagte Watzke über eine Merkel-Aussage zur Bedeutung des Fußballs, die er aber nicht mehr konkret in Erinnerung hatte. Merkel hatte in der Vorwoche gesagt: „Man kann überlegen, ob man bei Fußballspielen weniger Leute oder gar keine hereinlässt.“ Watzke mahnte: „Wir müssen nicht die Frage nach Wichtigkeit stellen, sondern die nach Gefährdungspotenzial.“

© dpa-infocom, dpa:201018-99-984258/4

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