Was Sie heute wissen müssen

OZ-Reporter an ukrainischer Grenze | Taxifahrer am Limit | Thomas Heyen am Wasser

Joachim Braun
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Eine Kolumne von Joachim Braun
| 10.03.2022 06:26 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Das Wichtigste aus der Region, jeden Morgen um 6.26 Uhr zusammengefasst von der Chefredaktion der Ostfriesen-Zeitung.

Auch das Wetter passt zur Krise. Vom frühlingshaften Ostfriesland sind die beiden OZ-Reporter Claus Hock und Jasmin Keller ins winterliche Karpaten-Vorland gefahren, an die polnisch-ukrainische Grenze bei Medyka. Dort ist es eisig-kalt, und es schneit - eine weitere Beschwernis für die traumatisierten ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Gestern sprachen Claus und Jasmin mit dem 21-jährigen Leverkusener Philipp Lihs, der aufgrund seiner Polnisch-Kenntnisse zwischen der Verwaltung des Auffanglagers, den Flüchtlingen und deutschen Helfern vermitteln kann.

In einer WhatsApp-Sprachnachricht berichtete Claus Hock mir gestern, wie belastend die Eindrücke von der westukrainischen Grenze seien, obwohl der eigentliche Krieg weit weg sei. Im Liveblog schildern die OZ-Reporter in Echtzeit ihre Erlebnisse. Sie schreiben auch von Peter Krupp (82) und Armin Hethey (75). Die beiden älteren Herren aus Bad Zwischenahn waren mit einem Reisebus nach Medyka gefahren und gestern mit 31 Flüchtlingen zurück ins Ammerland.

Enorm groß ist auch die Spendenbereitschaft der Ostfriesen. Fast 130.000 Euro waren bis gestern Abend auf dem Konto unserer Organisation „Ein Herz für Ostfriesland“ eingegangen. Viele Menschen wollen aber nicht nur mit Geld, sondern auch mit Sachspenden helfen. Was Claus Hock und Jasmin Keller im Krisengebiet erleben, bestätigen auch die Hilfsorganisationen hier. An Kleidung fehlt es nicht. Vera Vogt hat sich mit Experten unterhalten, welche Sachen gerade dringend gebraucht werden - und welche nicht.

Schon jetzt bei uns spürbare Kriegsfolgen sind die galoppierenden Spritpreise. Gestern kostete an vielen Tankstellen der Liter E10 bereits 2,20 Euro. Selbst die Tankstellen-Betreiber haben keine Ahnung, wie’s weitergeht. „Wir können schlicht nicht einschätzen, wo das hingeht“, sagte Franziska Blohsei aus dem Marketing von Score in Emden. Und die Autofahrer? Viele Autofahrer, die bisher regelmäßig für kleinere Beträge getankt haben, würden den Tank inzwischen randvoll machen – weil nicht klar sei, ob das Benzin am kommenden Tag schon wieder einige Cent mehr kostet. Das berichtet Martin Alberts, der auch mit Spediteuren gesprochen hat.

Leidtragende der aktuellen Entwicklung sind auch die Taxifahrer. „Die letzten zwei Jahre waren für uns katastrophal. Erst kam wegen der Pandemie niemand und jetzt treffen uns die Spritpreise“, sagt Bastian Hogg, Inhaber des Leeraner Unternehmens Taxi Seichter, im Gespräch mit Michael Kierstein. Das Problem: Taxifahrer können die Fahrpreise nicht einfach anpassen, dazu brauchen sie die Zustimmung der Landkreise. Aber selbst wenn sie diese bekommen, ist unklar, wie die Kunden auf Preiserhöhung reagieren werden. Probleme über Probleme.

In diesen Tagen ist viel von der Abhängigkeit Deutschlands und Europas von russischem Erdgas die Rede, von Northstream 1 und 2. Was kaum jemand weiß, auch Ostfriesland spielt für unsere Gasversorgung eine große Rolle. Seit den 1970er-Jahren fließt norwegisches Gas durch eine Pipeline bis zur Knock bei Emden. In den 1990er-Jahren kam eine weitere Verbindung nahe Dornum (Landkreis Aurich) dazu. Mittlerweile deckt Deutschland ungefähr ein Drittel seines gesamten fossilen Gasbedarfs über diese beiden Orte. Gordon Päschel berichtet.

Dass der Krieg in der Ukraine kein Krieg des russischen Volks gegen das Nachbarland ist, sondern der einer machtgeilen Autokraten-Clique sollte eigentlich jedem klar sein. Ist es aber nicht. In Deutschland lebende Russen oder Deutsche mit russischen Wurzeln haben es in diesen Tagen schwer. Viele Menschen identifizieren sie automatisch als Putin-Anhänger. Solche mag es sicher auch geben, aber Pauschalurteile sind in jedem Fall falsch, wie Daniel Noglik gestern in einem Gespräch mit einer Spätaussiedlerin in Leer diskutierte. Vielfach ist die Haltung sicher auch eine Frage, inwieweit sich Russlanddeutsche in der deutschen Gesellschaft wohlfühlen oder stattdessen weiterhin ausschließlich russische Kultur, Sprache und Medien pflegen. Parallelgesellschaft hieß das schon mal.

Genau hinschauen lohnt sich auch bei der Analyse der Konflikte, die zu dem jetzigen Krieg geführt haben. Dass es eben nicht „Russland-Versteherin“ Angela Merkel war, die Putins Großmacht-Phobien Vorschub leistete, hat Burkhard Ewert, Politikchef unseres Partners Neue Osnabrücker Zeitung, gestern in seinem Newsletter „Rest der Republik“ dargestellt. Sein Zeuge war US-Präsident Joe Biden höchstpersönlich. Folgerichtig kommentierte Ewert gestern, dass der Ukraine nicht mehr viel Zeit bleibt, einen Frieden mit den russischen Usurpatoren zu vereinbaren.

Themenwechsel. Die Lage der Meyer-Werft bleibt kompliziert. Von einer Erholung des Kreuzfahrtmarkts und damit dem Bedarf für weitere Luxusschiffe ist gerade nichts zu spüren. Also suchen die Verantwortlichen neue Geschäftsfelder. Eines davon wurde gestern präsentiert. Diesmal geht es um schwimmende Häuser – wohl eher für eine gut verdienende Kundschaft, wie Martin Teschke schreibt. Es werde erwartet, dass der Bau von Immobilien auf dem Wasser exponentiell wachsen werde, denn es biete eine völlig neue Möglichkeit, hochwertige Immobilien in wertvollen Lagen zu entwickeln, sagt Werft-Chef Bernard Meyer.

Zum Schluss noch ein Thema fürs Herz: Wenn fast die ganze Gegend noch tief schlummert und die Nacht sich dunkel übers Land gelegt hat, wuchtet Thomas Heyen sich aus dem Bett hoch, weil die Wasser-Sehnsucht ihn wieder packt. Er greift sich ein Paar Gummistiefel und schleicht sich still aus seinem Haus in Neermoor-Kolonie. Heyen fotografiert Wasser, vorzugsweise die Ems. Porträtiert hat den Vermessungsingenieur mein Kollege Ole Cordsen, der selber ein herausragender Fotograf ist und Interessenten deshalb gute Tipps geben kann. Viel Spaß beim Ausprobieren!

Was heute wichtig wird:

  • Es ist Saisonstart für die Jugendherberge Borkum. Nach langer Corona-Flaute freut sich die Leiterin der größten Jugendherberge Deutschlands wieder auf Gäste. Die ersten kommen schon diese Woche. Dorothee Hoppe berichtet.
  • Die Jahre und das Wasser haben an der Treppe vor dem Haupteingang des historischen Rathauses in Leer genagt. Jetzt arbeitet der Steinmetz – und er hat einiges zu tun. Katja Mielcarek berichtet.
  • Zwischen März und November organisiert die Diakonie deutschlandweit Kältehilfen für Obdachlose. Wie wird diese Unterstützung in Aurich angenommen? Inwiefern wirkte sich Corona auf die Unterkünfte aus? Nora Kraft berichtet.
  • Ein 36-Jähriger aus Großefehn soll im August 2020 seine 24-jährige Halbschwester angegraben haben. Nun steht der Mann vor Gericht. Bettina Keller berichtet von der Verhandlung.
  • Die Anteilnahme für Menschen aus den ukrainischen Kriegsgebieten ist riesig. In Emden werden Dutzende Unterkünfte angeboten. Woher rührt die enorme Hilfsbereitschaft? Und was sollte beachtet werden? Gordon Päschel fragt nach
  • Löwenzahn, Brennnessel oder auch Giersch: Was für viele einfach Unkraut ist, kommt bei anderen inzwischen immer häufiger wieder auf den Tisch. Wildkräuter erleben ein Comeback, schreibt Stephanie Tomé in der Serie „Leckerst & Best“.
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