Analyse zur Krankenhaus-Planung Wird die ostfriesische Zentralklinik doch kein Maximalversorger?

| | 09.11.2023 19:02 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 10 Minuten
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Welches medizinische Versorgungsniveau wird die in Georgsheil geplante Zentralklinik des Krankenhausverbunds Aurich-Emden-Norden haben? Grafik: gmp International GmbH, Aachen
Welches medizinische Versorgungsniveau wird die in Georgsheil geplante Zentralklinik des Krankenhausverbunds Aurich-Emden-Norden haben? Grafik: gmp International GmbH, Aachen
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Die Kosten der Zentralklinik Georgsheil haben sich verdreifacht. Welches Versorgungslevel gibt es für 792 Millionen Euro? Laut Gesundheitsministerium kann die Frage derzeit „nicht beantwortet werden“.

Ostfriesland/Hannover/Berlin - „Welches Level soll die Zentralklinik laut Landeskrankenhausplanung haben (Grundversorgung, Regelversorgung, Maximalversorgung, oder anderes)?“ Die Antwort auf diese Frage, die unsere Redaktion am 5. Oktober an das niedersächsische Gesundheitsministerium gerichtet hat, glauben die Bürger im Landkreis Aurich und der Stadt Emden längst zu kennen.

Was und warum

Darum geht es: Um das medizinische Leistungsspektrum, das in der künftigen Zentralklinik geplant ist – oder auch nicht geplant ist.

Vor allem interessant für: Bürgerinnen und Bürger des Landkreises Aurich und der Stadt Emden

Deshalb berichten wir: Weil unsere Redaktion aus dem Umfeld des Emder Krankenhauses gehört hat, dass die Zentralklinik-Planungen medizinisch keine Maximalversorgung hergeben würden.

Den Autor erreichen Sie unter: a.ellinger@zgo.de

Im April 2022 sagte Claus Eppmann, der damalige Geschäftsführer der Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden mbH, welche die Zentralklinik bauen will, im Interview mit der Ostfriesen-Zeitung: „Mit einem 800-Betten-Neubau, der mindestens in Niedersachsen der größte und modernste wird, wollen wir dem Anspruch eines Maximalversorgers gerecht werden.“ Und: „Ein Maximalversorger soll die Behandlungen zum Beispiel in den Bereichen Kardiologie, Gefäße, Innere Medizin oder Geburtshilfe bei den wesentlichen Erkrankungen in einer Tiefe und Fallschwere anbieten, die es für bestimmte Patienten sonst nur in weiter entfernten Zentren wie Hannover oder Münster gibt.“

So ist die klinische „Maximalversorgung“ in Niedersachsen definiert

Zwei Monate davor hatte eine Equetekommission des niedersächsischen Landtags ihren Bericht zur „Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen – für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung“ vorgestellt. Darin hat eine Arbeitsgruppe definiert, was „Krankenhäuser der Maximalversorgung“ sind.

Ein Lageplan der Zentralklinik, wie sie in Uthwerdum (Georgsheil) gebaut werden soll. Grafik: gmp International GmbH, Aachen
Ein Lageplan der Zentralklinik, wie sie in Uthwerdum (Georgsheil) gebaut werden soll. Grafik: gmp International GmbH, Aachen

Neben „Universitären Maximalversorgern“ sollten dieser Versorgungsstufe demnach Krankenhäuser angehören, „die an der umfassenden Notfallversorgung“ teilnehmen und „über mindestens 600 Planbetten verfügen“. Und: „Die Krankenhäuser sollen darüber hinaus hochspezialisierte Behandlungsangebote vorhalten sowie die Teilnahme an der allgemeinen Krankenhausversorgung sicherstellen“ sowie „weitere Fachabteilungen als hauptamtlich geführte Fachabteilung vorhalten“. Genannt sind Nephrologie, Thorax- und Herzchirurgie sowie Humangenetik. Hinzu kommen „eigene Fachabteilungen“ in den Fachgebieten Augenheilkunde, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Neurochirurgie, Neurologie, Nuklearmedizin und Strahlentherapie.

Aus zwei Maximalversorgern in Niedersachsen sollen acht werden

Bereits 2021 berief sich der damalige gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Uwe Schwarz, auf die Enquetekommission, als er in einer Rede ankündigte: „Unter dem Strich führt das dazu, dass es sieben anstelle von heute zwei Maximalversorgern geben soll.“ Das „Ärzteblatt“ berichtete im selben Jahr über die Maximalversorger-Vorschläge: „Künftig sollen es nach Vorstellung der Kommission sieben sein, indem Braunschweig, Oldenburg, Osna­brück, Rotenburg und demnächst Georgsheil in Ostfriesland hinzukommen.“

Im Rahmen der aktuellen Krankenhausgesetzgebung hat das Land die Zahl der Maximalversorger sogar auf acht erhöht, damit es in jeder der geplanten Versorgungsregionen einen gibt: „So wird gewährleistet, dass jede Patientin und jeder Patient wohnortnah die notwendige und beste Versorgung in der jeweiligen Region erhält“, erklärt das Gesundheitsministerium auf seiner Internetseite. Die Zentralklinik in Georgsheil sollte folglich zum Krankenhaus der Maximalversorgung in der Region Weser-Ems werden, zu der außer den Landkreisen Aurich, Leer und Wittmund sowie der Stadt Emden auch der Kreis Friesland und die Stadt Wilhelmshaven gehören.

Zentralklinik: „Leistungs- und Qualitätsanspruch eines Maximalversorgers“

Emdens Oberbürgermeister Tim Kruithoff kommentierte das im Januar 2022 in einem Interview mit der „Emder Zeitung“ wie folgt: „Bei aller Bescheidenheit entspricht die Entscheidung des Landes bereits dem Anspruch, den das Planerteam an den Neubau gestellt hat. Der Klinikbau ist nach modernsten Gesichtspunkten konzipiert und wird damit dem Leistungs- und Qualitätsanspruch eines Maximalversorgers unabhängig von der Entscheidung gerecht. Das gilt für alle Versorgungsformen, ob ambulant, tagesklinisch oder stationär.“

Die Trägergesellschaft der Kliniken Aurich und Emden teilte jetzt, also ganz aktuell, „im Auftrag der Stadt Emden und des Landkreises Aurich“ mit: „Die Planung und Dimensionierung der Zentralklinik orientiert sich am Feststellungsbescheid des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 24. August 2016. Demnach sind 814 Planbetten für die Zentralklinik vorgesehen – dies übersteigt sogar die Anzahl, die gemäß Niedersachsens Definition von 2021 für einen Maximalversorger vorgesehen ist, um 214.“ Zum Vergleich: Der aktuelle Niedersächsische Krankenhausplan – er ist aus dem Jahr 2022 – sieht im Zentralklinik-Gebiet 888 Planbetten vor. Sie verteilen sich auf die Standorte Emden (350 Betten), Aurich (283) und Norden (255).

Von 2016 bis 2023 haben sich die Zentralklinik-Kosten verdreifacht

Im Jahr 2016 ging der Vorhabenträger des Bau-Projekts – also der ostfriesische Klinikverbund – „von Kosten in Höhe von 250 Millionen Euro inklusive der Kosten für das Grundstück für das Zentralklinikum“ aus. Das geht aus einer damaligen Antwort von Niedersachsens Gesundheitsministerium auf eine Landtags-Anfrage hervor, die unter anderem die seinerzeitige Emder FDP-Landtagsabgeordnete Hillgriet Eilers gestellt hatte. Im April 2023 teilte das Gesundheitsministerium auf eine Anfrage der Auricher CDU-Landtagsabgeordneten Saskia Buschmann mit: „Die Gesamtprojektkosten inklusive aller vom Träger zu finanzierenden Vorab-, Infrastruktur- und Teilmaßnahmen belaufen sich auf 792.152.998 Euro.“ Und: „Die Landesregierung plant, das Projekt mit 460.000.000 Euro zu fördern.“

Aufgrund dieser Verdreifachung der Kosten wollte unsere Redaktion vom niedersächsischen Gesundheitsministerium aktuell nicht nur wissen, welches Versorgungsniveau die Zentralklinik „laut Landeskrankenhausplanung“ haben soll. Die zweite Frage lautete: „Welches Level (Grundversorgung, Regelversorgung, Maximalversorgung, oder anderes) wird die Zentralklinik aufgrund der faktisch erstellten Planungen und der gestellten Anträge (Bauanträge, Förderantrag, und ähnliches) erlangen können?“

Auf eine Verordnung des Landes-Gesundheitsministeriums kommt es an

Die Beantwortung schien dem Gesundheitsministerium schwerzufallen. Nachdem auf die Presseanfrage vom 5. Oktober bis zum 29. Oktober immer noch keine Antwort da war, hat unsere Redaktion eine Erinnerungs-Mail geschrieben. Darauf reagierte das Ministerium am 1. November: „Ihre Frage kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden.“

Das Landesministerium wies darauf hin, dass das neue Krankenhausgesetz Anfang des Jahres inkraftgetreten sei. Darin wird die „Versorgungsstufe III“ als „Maximalversorgung“ definiert. „Das Nähere zu den Versorgungstufen“ hat nach Paragraf 34 das Gesundheitsministerium durch Verordnung zu bestimmen – insbesondere, was die „Anforderungen an ein Allgemeinkrankenhaus“ betrifft, „die für die Zuordnung zu einer Versorgungsstufe in qualitativer, räumlicher und organisatorischer Hinsicht zu erfüllen sind“.

Die Krankenhausplanung für niedersächsische Versorgungsregionen

Ein Entwurf einer solchen Verordnung ist laut Gesundheitsministerium „in der Verbandsbeteiligung“. Weiter heißt es: „In diesem Entwurf planen wir mit acht Versorgungsregionen.“ Formal seien die Versorgungsregionen also noch nicht eingerichtet worden: „Allerdings orientieren wir uns in der tagtäglichen Arbeit bereits an den Versorgungsregionen als sinnvollen räumlichen Einteilungen für eine zukunftsfähige Krankenhausplanung.“ Was das für die ostfriesische Zentralklinik bedeutet, wird aber verschwiegen.

Unsere Redaktion hat gleich am 1. November beim Ministerium nachgehakt, welches Leistungsniveau der aktuelle Verordnungsentwurf für die Zentralklinik vorsehe – aber bislang keine Antwort erhalten (Stand: 9. November, 9 Uhr). Unsere Redaktion hat außerdem die Frage gestellt, „ob die Landesregierung mit ihrer Investition von 460 Millionen Euro in die Zentralklinik ein Krankenhaus schaffen will, das die Aufgaben eines Maximalversorgers übernimmt beziehungsweise eine Behandlung bietet, wie sie nur in Kliniken der Maximalversorgung vorgehalten wird – oder ob der Zentralklinik nur die Aufgaben eines Schwerpunktversorgers, Regelversorgers oder anderen Versorgers zukommen sollen“?

Landrat und OB mit Auskunft des Ministeriums konfrontiert

Weiter heißt es in der Presseanfrage an das Gesundheitsministerium: Nachdem das Land seine Investitionsentscheidung über 460 Millionen Euro auf der Grundlage von Planungen getroffen hat, interessiere „insbesondere auch, welches Leistungsniveau beziehungsweise Leistungsspektrum die bisher erstellten/eingereichten Planungen abbilden“. Auch dazu gibt es nach einer Woche immer noch keine Auskünfte des Gesundheitsministeriums.

Unsere Redaktion hat Aurichs Landrat Olaf Meinen und Emdens Oberbürgermeister Tim Kruithoff mit den bisherigen Auskünften des Gesundheitsministeriums konfrontiert, wonach die Frage nach dem geplanten Versorgungslevel der Zentralklinik angeblich nicht beantwortet werden kann. Der Klinikverbund Aurich-Emden-Norden gehört dem Landkreis Aurich und der Stadt Emden.

Landrat Meinen und OB Kruithoff scheuen persönliche Beantwortung

Unsere Redaktion wollte von Kruithoff und Meinen „als Vertretern der Eigentümer der Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden mbH und als Führungs-Duo des entsprechenden Aufsichtsrats“ unter anderem wissen, ob sie die ministeriale Antwortlosigkeit überrascht und welchen Versorgungsstandard die Zentralklinik aus ihrer Sicht erhält. Kruithoff und Meinen wollten sich dazu persönlich offenbar nicht äußern. Denn daraufhin kam die erwähnte Auskunft der Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden mbH im Auftrag der Stadt und des Landkreises.

Darin heißt es: „Die Einschätzung des Niedersächsischen Gesundheitsministeriums ist nachvollziehbar. Die Krankenhausreform des Bundes ist noch nicht abgeschlossen und dadurch herrscht derzeit noch sehr viel Unklarheit hinsichtlich der geplanten Strukturierungsmerkmale wie Leistungsgruppen und Levelzuordnung. Bund und Länder vertreten zudem unterschiedliche Positionen und Kategorien, die es zunächst zu einen gilt.“

Leistungsgruppen gemäß Bundesgesetz noch nicht zugewiesen

Nach Auskunft des Landes-Gesundheitsministeriums sieht der Entwurf eines Transparenzgesetzes auf Bundesebene vor, dasss „den Krankenhäusern zum 1.10.24 zunächst fiktive Leistungsgruppen zugewiesen werden sollen“. Und weiter: „Die tatsächliche Leistungsgruppenzuweisung im Rahmen der Krankenhausreform werden die Länder aber erst später vornehmen können. Das sind dann die echten Leistungen, die auch aktuell in den Krankenhäusern angeboten und mit den Krankenkassen abgerechnet werden.“

Eine Innenansicht der Zentralklinik, welche die Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden mbH bauen will. Grafik: gmp International GmbH, Aachen
Eine Innenansicht der Zentralklinik, welche die Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden mbH bauen will. Grafik: gmp International GmbH, Aachen

Der Bundesgesetzentwurf sieht als höchste Versorgungsstufe das „Level 3U“ vor, das nur Hochschulkliniken mit einem bestimmten Leistungsspektrum erreichen können. Krankenhäuser der zweithöchsten Versorgungsstufe („Level 3“) sollen Kliniken werden, die nicht an einem Hochschulstandort sind, aber dieselben Leistungen wie die „3U“-Kliniken erbringen – „Leistungen aus mindestens fünf internistischen Leistungsgruppen, mindestens fünf chirurgischen Leistungsgruppen, der Leistungsgruppe Intensivmedizin, der Leistungsgruppe Notfallmedizin sowie zusätzlich aus acht weiteren Leistungsgruppen“.

Die Zentralklinik wird womöglich nur ein „Level 2“-Krankenhaus

Laut Klinikverbund Aurich-Emden-Norden würde aus den Reformvorschlägen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die er im Dezember 2022 vorgesellt hat, „eine Einstufung als Level-2-Versorger resultieren“. Das stehe aber „aufgrund der noch nicht finalisierten Reformvorschläge nicht fest“.

Das vom Bundestag beschlossene Krankenhaustransparenzgesetz, das dem Bundesrat vorliegt, definiert die Versorgungsstufe „Level 2“. Danach müsste ein Krankenhaus „die Leistungen aus mindestens zwei internistischen Leistungsgruppen, mindestens zwei chirurgischen Leistungsgruppen, der Leistungsgruppe Intensivmedizin, der Leistungsgruppe Notfallmedizin sowie zusätzlich drei weiteren Leistungsgruppen“ erbringen. Das sind drei internistische, drei chirurgische und fünf weitere Leistungsgruppen weniger als in einem „Level 3“-Krankenhaus.

Welches medizinische Angebot sieht das Land für die Zentralklinik vor?

„Für unsere Planung ist die Gesetzgebung des Landes Niedersachsen mit der Zuordnung von Versorgungsregionen maßgeblich“, schreibt der Klinikverbund Aurich-Emden-Norden im Auftrag von Landkreis und Stadt. „Darin sind bislang keine Änderungen vorgenommen worden.“ Warum sieht sich dann Niedersachsens Gesundheitsministerium erklärtermaßen außerstande, „zum jetzigen Zeitpunkt“ – am 1. November 2023 – das Versorgungslevel der Zentralklinik „laut Landeskrankenhausplanung“ zu benennen?

Unsere Redaktion hat in der Nachfrage vom 1. November klargestellt, dass die Frage nach Versorgungsleveln „im Wortsinne zu verstehen ist und nicht etwa inhaltlich auf die definitorischen Begrifflichkeiten der Krankenhaus-Reform auf Bundesebene begrenzt ist“. In der in beiden Fragen enthaltenen Aufzählung – „Grundversorgung, Regelversorgung, Maximalversorgung, o. a.“ - sei bewusst „oder anderes“ enthalten. „Das heißt, die Fragen sind so formuliert, dass sich das Gesundheitsministerium unbeschränkt zum Level/Niveau der geplanten Zentralklinik äußern kann.“

Das Leistungsspektrum der Zentralklinik ist unklar

Das Gesundheitsministerium hätte also auf diese Presseanfrage hin nur die medizinischen Leistungen aufzuzählen brauchen, die gemäß der Landeskrankenhausplanung – also unabhängig von der Bundesgesetzgebung – zum medizinischen Angebot der Zentralklinik gehören sollen. Das würde allerdings voraussetzen, dass die Landes-Förderung in Höhe von 460 Millionen Euro auf einer entsprechend belastbaren Landeskrankenhausplanung basiert. Aber wie erwähnt: Eine Reaktion des Ministeriums steht seit 1. November aus.

Ausgeblieben ist sogar eine für den 2. November vom niedersächsischen Gesundheitsministerium erbetene Rückmeldung, ob – notfalls erst in einigen Tagen – mit einer Beantwortung der Anfrage zu rechnen sei. Das alles deutet darauf hin, dass es ziemlich unklar ist, welche medizinischen Leistungen die verteuerte Zentralklinik überhaupt erbringen kann und soll.

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